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       # taz.de -- Weitere Verschärfung der Asylpolitik: 48 Stunden Zeit für Kritik
       
       > Innenministerin Faeser will Georgien und Moldau zu „sicheren
       > Herkunftsländern“ erklären. Für Kritik von Verbänden gibt es kaum Zeit.
       
   IMG Bild: Georgien und Moldau sichere Herkunftsländer? Innenministerin Faeser meint ja
       
       Berlin taz | Zeit bis Freitagmittag – nicht mehr als zwei Tage hat das
       Bundesinnenministerium von Nancy Faeser (SPD) den zivilgesellschaftlichen
       Verbänden in Deutschland eingeräumt, um Stellungnahmen zu einem neuen
       Referentenentwurf abzugeben. Dabei ist der Inhalt des Papiers brisant:
       Moldau und [1][Georgien] sollen zu sogenannten sicheren Herkunftsländern
       erklärt werden. Entsprechend scharf ist die Kritik nicht nur an dem Plan
       selbst, sondern auch an Faesers Vorgehen.
       
       Überlegungen, den Status der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten auf
       weitere Länder auszuweiten, gibt es schon länger. Wer von einem so
       eingestuften Ort nach Deutschland flieht, erhält in den allermeisten Fällen
       kein Asyl. Union und FDP hatten dieses Instrument zusammen mit der SPD in
       den 1990er Jahren explizit beschlossen, um Geflüchtete aus Deutschland
       fernzuhalten.
       
       [2][Im Falle Georgiens] und Moldaus ist höchst fraglich, ob die Situation
       sicher genug ist, um eine derartige Einstufung zu rechtfertigen. Über
       Georgien schreibt Amnesty International im jüngsten Länderbericht:
       „Oppositionelle wurden weiterhin Opfer selektiver Rechtsanwendung und
       politisch motivierter strafrechtlicher Verfolgung.“ Die Unabhängigkeit der
       Justiz sei gefährdet, Frauen und Mädchen oft sexualisierter Gewalt und
       Diskriminierung ausgesetzt. Berichten über Folter durch Sicherheitskräfte
       werde nicht sorgfältig nachgegangen. Belgien nahm aufgrund solcher Berichte
       Georgien dieses Jahr von seiner Liste der sicheren Herkunftsstaaten.
       
       [3][Auch in Moldau], berichtet Amnesty, gebe es „Folter und andere
       Misshandlungen in Gewahrsam“ durch Sicherheitskräfte. „Die Rechte von
       lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen
       Menschen (LGBTI+) wurden nicht vollständig gewährleistet, sie mussten mit
       Schikanen, Diskriminierung und tätlichen Angriffen rechnen.“ Dazu kommt,
       dass in beiden Ländern Teile des Staatsgebiets unter russischer Kontrolle
       stehen, was die menschenrechtliche Lage zusätzlich unübersichtlich macht.
       
       ## Scheinanhörung für Verbände?
       
       „All das wird in dem Entwurf überhaupt nicht reflektiert“, sagte die
       rechtspolitische Sprecherin von ProAsyl, Wiebke Judith, der taz. Für sie
       steht fest: „Georgien und Moldau kommen als sichere Herkunftstaaten nicht
       infrage.“ Mit Blick auf das Vorgehen des Innenministeriums spricht Judith
       von „einer Scheinanhörung der Verbände“ und einem illegitimen
       „Hauruckferfahren“. Dies „deutet nicht auf eine ernsthafte Befassung mit
       den Einwänden hin.“
       
       Der Lesben und Schwulen Verband Deutschland (LSVD) kritisierte das Vorgehen
       des Bundesinnenministeriums ebenfalls. Es entstehe „der Eindruck, dass eine
       kritische Begleitung durch Interessensvertretungen bewusst so weit wie
       möglich verhindert wird“. Die kurze Frist erschwere „eine echte Beteiligung
       einer größtenteils ehrenamtlich arbeitenden Zivilgesellschaft erheblich“.
       
       Auch den Inhalt des Entwurfs lehnt der LSVD ab: Es könne “keine Rede sein“
       von „Sicherheit vor Verfolgung in allen Landesteilen“ Moldaus und
       Georgiens. In Letzterem hätte massive Gewalt etwa gegen Teilnehmende von
       Pride-Demonstrationen “seit Jahren System“. Daran werde deutlich, „dass in
       Georgien nicht nur der Staat nicht willens oder in der Lage ist, LSBTIQ* zu
       schützen, sondern dass der LSBTIQ*-feindliche Hass von weiten Teilen der
       Regierung auch noch systematisch befeuert wird“. Der Gesetzentwurf sei „ein
       neuerliches Einknicken vor populistischen Argumenten auf Kosten
       Schutzsuchender“.
       
       ## Unklar, wie sich die Grünen verhalten
       
       Das Tempo dürfte auch im weiteren Verfahren hoch bleiben. Schon in der
       nächsten Woche soll der Entwurf im Kabinett beschlossen werden. Die SPD-
       und FDP-Minister*innen tragen den Entwurf aller Voraussicht nach mit.
       Unklar ist noch, ob auch die Grünen Minister*innen zustimmen werden.
       Sie hatten zuletzt allerdings einige für sie [4][bittere Entscheidungen in
       der Asylpolitik] mitgetragen. Außenministerin Annalena Baerbock hatte zudem
       in der Vergangenheit signalisiert, die engere Bindung Georgiens an die EU
       zu befürworten, wofür eine Einstufung als sicherer Herkunftsstaat eine
       wichtige Rolle spielt. Aus der Grünen-Fraktion wollte sich auf
       taz-Nachfrage bis Freitagmittag niemand zu dem Gesetzentwurf und dem
       Vorgehen des Innenministeriums äußern.
       
       Die Asylpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Clara Bünger,
       macht weiter Druck auf die Grünen: „Statt permanente Rechtsverschärfungen
       in Deutschland und auf EU-Ebene mitzutragen, sollten sich die Grünen ihre
       Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag noch einmal vor Augen führen“, forderte
       sie. Die kurze Frist für die Verbände signalisiere „das absolute
       Desinteresse der Ampel an sachverständigen und fachkundigen Einschätzungen
       zum Thema“.
       
       25 Aug 2023
       
       ## LINKS
       
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   DIR Frederik Eikmanns
       
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