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       # taz.de -- Linke Medien in der Krise: Was verloren geht
       
       > Ob „ND“, „Missy“, „Oxi“ oder auch „Katapult“ und „Titanic“: Wir müssen
       > die linke Gegenöffentlichkeit retten. Die Rechten weiten ihre gerade aus.
       
   IMG Bild: Finanzielle Schieflage: Viele Zeitschriften einer linken Gegenöffentlichkeit sind in der Krise
       
       Es sind keine guten Wochen für das, was einmal als Gegenöffentlichkeit
       galt. Diese Woche wurde bekannt, dass sowohl das Magazin Katapult als auch
       das Satireblatt Titanic vor der Insolvenz stehen und Tausende Abos
       brauchen, um ihre Existenz weiterhin zu garantieren.
       
       Diese Nachrichten reihen sich ein in eine ganze Serie von Hiobsbotschaften:
       [1][Die linke Tageszeitung Neues Deutschland (ND) ] warnte im Juni, dass
       der Zeitung 635.000 Euro fehlten und sie eine Rettungsaktion starten, um
       das Ende der ND abzuwenden. [2][Auch das feministische Missy Magazine
       braucht neue Abos], um weitermachen zu können.
       
       Ein echtes, aber leider wenig beachtetes Desaster ist das Ende der
       gedruckten Oxi. Am 11. August erschien die finale Ausgabe der
       Wirtschaftszeitung, die eine wichtige Lücke füllte. Denn es gibt schlicht
       nicht genug Berichterstattung und Analyse über wirtschaftliche
       Zusammenhänge aus linker Perspektive. Damit erreichte Oxi leider zu wenige
       Leser. Weiter geht es vorerst als Blog. Zum Glück gibt es noch kleine
       Publikationen wie Express, die aus sozialistischer Warte ausgezeichnete
       Berichterstattung und Analysen über Arbeits- und Gewerkschaftsthemen
       liefert.
       
       Aber die Inflation macht kleinen Publikationen zu schaffen. Druckkosten und
       Papierpreise sind explodiert, sodass Magazine wie das aufwendig designte
       Jacobin Spendenaktionen starten mussten. Auch die Monatszeitung AK, die oft
       wichtige Debatten anstößt und Themen in den Diskurs einbringt, muss immer
       wieder auf Spenden zurückgreifen.
       
       ## Wer berichtet über Arbeitskämpfe?
       
       Es ist ein grundlegendes Problem gesellschaftskritischer Medien: Wo die
       Vertreter des Kapitals oder konservativer Kräfte zahlungskräftige Förderer
       im Rücken haben oder von Werbeetats großer Konzerne profitieren, haben
       Linke meist nur ihre Arbeitskraft, die sie unter Wert in publizistische
       Projekte stecken.
       
       Doch wenn fortschrittliche Medienalternativen verloren gehen, dann
       verschwinden wichtige Themen aus der Öffentlichkeit. Wer berichtet über
       Armut oder Arbeitskämpfe, wenn nicht linke Medien? Wer berichtet über
       Machtmissbrauch und Korruption, wenn nicht linke Medien? Wer recherchiert
       über illegale Pushbacks und rechte Gewalt, wenn nicht linke Medien?
       
       Katapult ist nicht unbedingt ein klassisches linkes Medium, aber das
       Magazin ist doch auch mit einem politischen Anspruch gestartet. Eine
       „kleine Medienrevolution“ hätte das werden sollen. Ursprünglich für seine
       gewitzten Infografiken und Karten bekannt geworden, wollte Katapult bald
       mehr: eine Lokalzeitung, eine Journalistenschule und nebenher auch noch
       ukrainischen Medienschaffenden aushelfen.
       
       An vielen dieser Vorhaben gab es bald Kritik von Beteiligten, aber auch das
       Kerngeschäft scheint nicht zu laufen. Der Verlag habe 2022 eine Verlust von
       290.000 Euro eingefahren. Dass sich Gründer Benjamin Fredrich immer wieder
       verzettelte, zuletzt mit der größenwahnsinnigen Ankündigung, gleichzeitig
       zur drohenden Insolvenz ein neues Twitter aufzuziehen, ist deshalb schade,
       weil Katapult auch gegründet wurde, um in Mecklenburg-Vorpommern dem
       Anwachsen rechter Umtriebe und Verschwörungstheorien verbreitenden
       Lokalzeitungen medial etwas entgegenzusetzen.
       
       ## Ein Trauerspiel in der Mitte
       
       Während es am linken Rand bröckelt, sieht man in der liberalen Mitte der
       Medienlandschaft ein Trauerspiel. Vertreter der Öffentlich-Rechtlichen
       schaffen es partout nicht, den Eindruck zu entkräften, dass sich die
       Spitzen der verschiedenen Sender auf Kosten der Allgemeinheit die Taschen
       vollmachen. Auf Kritik kennen sie nur eine Antwort: sparen.
       
       Dass die Kritik sich nicht an den 18,36 Euro monatlichem Beitrag aufhängt,
       sondern am Gefühl, dafür nicht genug Qualität zu bekommen, scheint nicht
       Teil der Kalkulation zu sein. Stattdessen kürzen die Sender das vielfältige
       Kulturprogramm in Bayern bis zur Unkenntlichkeit zusammen oder streichen in
       Berlin und Brandenburg hundert Stellen und mehrere Sendungen.
       
       Ist ihre Antwort auf die vielen Probleme der Gegenwart wirklich weniger
       Information, weniger Reflexion, weniger kritische Auseinandersetzung mit
       der Welt, der Gesellschaft und, ja, auch der Kultur? Es ist, als würden
       viele Medienmanager mit einem rein quantitativen Begriff von Leistung
       operieren, statt qualitative Ansprüche zu begründen. Dabei müsste doch der
       ÖRR, eben weil er von uns allen finanziert wird, nicht auf die blanken
       Zahlen starren wie ein Reh im Scheinwerferlicht, sondern könnte seine
       Freiheit nutzen, um Lücken zu füllen, was private Medien nicht leisten
       können oder wollen.
       
       ## Ein rechter Aufstieg
       
       Denn auf der anderen Seite des politischen Spektrums steht der Krise
       liberaler und linker Medien die Finanzkraft rechter Medienprojekte
       entgegen. Neben einem florierenden Blätterwald rechter Presse von Compact
       bis Junge Freiheit sind die Gegner von Freiheit, Gleichheit und Fortschritt
       nun auch crossmedial unterwegs. Seit Sommer ist Nius online, ein Projekt
       des ehemaligen Bild-Chefredakteurs Julian Reichelt, das vom CDU-nahen
       Multimilliardär Frank Gotthardt unterstützt wird.
       
       Selbst aus dem Ausland drängen reaktionäre Stimmen auf den deutschen Markt.
       Die in den letzten Jahren von einer liberal-konservativen Traditionszeitung
       zu einem hysterischen Anti-Wokeness-Sturmgeschütz mutierte Neue Zürcher
       Zeitung bedient schon länger eine deutsche Leserschaft. Hans-Georg Maaßen
       bezeichnete die NZZ darum schon als „Westfernsehen“, als würden wir in
       einer Diktatur leben.
       
       Auch aus der Schweiz drängt das Magazin Weltwoche nach Deutschland, und
       zwar mit einem E-Paper und einem ans deutsche Publikum gerichteten
       täglichen Podcast von Chefredakteur Roger Köppel, der auch Politiker der
       weit rechts stehenden populistischen Partei SVP ist. [3][Aus Österreich]
       bläst derweil der Sender AUF1 zum „Großangriff“ auf den nördlichen
       Nachbarn. Dessen Themen sind nach eigener Aussage „ ‚Great Reset‘,
       Hitzehysterie und Coronalügen“. Die Medienaufsicht will prüfen, ob der
       Sender nicht mit Einseitigkeit und Desinformation gegen den
       Medienstaatsvertrag verstößt.
       
       Das klingt nach wenig Widerstand von offizieller Seite. Dabei kam es in den
       letzten Jahren immer wieder zu unrühmlicher juristischer Drangsalisierung
       linker Medienprojekte von Indymedia bis Radio Dreyeckland. Der Staat geht
       gegen linke Medienöffentlichkeit vor, während er der rechten
       Gegenöffentlichkeit wenig entgegenhält. Wie immer haben Progressive nur
       einander. Wir können Abos abschließen, spenden, Werbung machen. Denn eine
       Zukunft ohne linke Gegenöffentlichkeit sieht düster aus. Wie die ak
       schreibt: „Ein neues Abo können sich viele noch leisten, das Ende linker
       Medien niemand.“
       
       8 Sep 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Caspar Shaller
       
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