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       # taz.de -- Science-Fiction-Convention im Tropenhaus: Reise ins Morgen von gestern
       
       > Das grüne Science-Center Botanika hat Science-Fiction-Fans mit und ohne
       > Kostüm eingeladen, in tropischer Atmosphäre ihre Freude am Unsinn zu
       > feiern.
       
   IMG Bild: Sah schon vor der SciFi-Convention irgendwie futuristisch aus: die Botanika in Bremen
       
       Ein Ghostbuster rüttelt unruhig an Klotüren, die Sternenflottenoffizierin
       mit Laufmasche jagt Schmetterlinge durchs Tropenhaus, und Chewbacca reicht
       einem nervösen Kleinkind die Pranke. Das sind Momente eigenwilliger
       Schönheit, wie sie nur dann entstehen, wenn Menschen mit allergrößtem Ernst
       komplett beknackte Dinge tun.
       
       Hier zum Beispiel: [1][verkleidet als Figur] aus „Star Trek“, „Doctor Who“
       oder „Krieg der Sterne“ durch die Bremer Botanika zu streifen und einander
       in tropischem Gewächshausklima die verschwitzten
       Retro-Science-Fiction-Klamotten vorzuführen.
       
       Gastgeber der kleinen Nerd-Convention ist [2][Bremens „grünes
       Science-Center“], das für ein langes Wochenende Veranstaltungen und
       Ausstellungen von und für Nerds präsentiert und sie thematisch mit echtem
       Wissenschaftskram aus dem eigenen Fundus flankiert: Wie man den Mars
       bepflanzen könnte, ist da etwa auf Schautafeln zwischen allerlei
       Raumschiff-Lego zu lesen, oder was für wirklich verrückte Alienfähigkeiten
       manche Pflanzen so entwickeln, wenn’s um ihr sonderbares Sexualleben geht
       oder darum, die Nachbarschaft bei lebendigem Leib zu verdauen.
       
       ## Verpackung schlägt Inhalt
       
       Aber all das ist viel weniger interessant als zu vermuten wäre – weil man
       doch sehr schnell sehr abgelenkt ist von all den Kostümierten und ihrem
       bunten Treiben. Didaktisch betrachtet schlägt die Verpackung den Inhalt
       jedenfalls um Längen, und man wird der „B[3][otanika goes space“-Sause]
       viel eher gerecht, wenn man sie als Nerdfest zwischen Palmen begreift,
       statt umgekehrt als Biounterricht unter (Strahlen-)Waffen.
       
       Schön ist die Kleinheit der Angelegenheit, was, ganz ohne Spott gesagt, zu
       schätzen weiß, wer sich im Erwachsenenalter mal auf Buch- und Spielemessen
       oder einer Comic Con herumtreiben musste. Dort ist es voll, stickig, und es
       stinkt, vor allem aber hängt die Illusion dort tot am Zaun, dass es dem
       eskapistischen Ringelpiez um irgendwas anderes geht als um ein ausgehöhltes
       und bis zum Anschlag durchmonetarisiertes Massenphänomen.
       
       Hier nicht. Hier laufen glücklich strahlende Menschen um die 40 in noch mal
       20 Jahre älteren „Star Trek“-Uniformen durch Gewächshäuser und scannen
       [4][mit Plastik-Tricordern] die tatsächlich irgendwie andersweltliche Flora
       und Fauna. Es passt tatsächlich kaum ein Blatt zwischen die außerirdischen
       Filmsets der frühen Weltraumseifenopern im Vorabendprogramm und die
       behutsam für den Publikumsverkehr angelegten, barrierefreien Pfade durch
       die menschengemachten Dschungel von Bremen.
       
       Es ist die Freude am Artifiziellen, die man hier liebt und lebt – an der
       sehr begrenzten Konsumierbarkeit der Sache und an ihrer befreienden
       Sinnlosigkeit.
       
       ## Utopien von gestern
       
       Mag sein, dass es für die zahlreichen Kinder hier vor allem um einen
       thematisch vom Allerschlimmsten befreiten Karneval geht, aber wer ihn
       erkennt, kann auch am tieferen Sinn Freude haben: an den utopischen
       Zukunftsvisionen einer halb vergessenen Vergangenheit, die zwar nicht wahr
       wurden, aber vielleicht auch gerade darum ihren kraftvollen Impuls
       hochhalten, es doch wenigstens mal versuchen zu können [5][mit dem
       Weltraumkommunismus]. Oder mit dem Sieg über das Böse.
       
       Okay, das klingt ein bisschen irre, und man darf getrost bezweifeln, dass
       die Wissenschaftsvermittler:innen der Botanika auch nur entfernt
       Ähnliches im Sinn hatten, als sie die Veranstaltung konzipierten – noch
       weit nebulöser bleiben die Motive des assoziierten „Star Fleet Command
       Bremerhaven“ oder der Ghostbuster von „No Ghost Germany“.
       
       Es ist im Grunde aber auch egal, was diese besonders ambitionierten Fans
       umtreibt. Wichtig ist nur, dass sie hier sind. Denn – und das wäre dann
       auch das größte Kunststück dieser bezaubernden Veranstaltung – mit der Zeit
       fallen Publikum, Attraktion und Schauspielende in eins. Jedi-Kinder mit
       Lichtschwert und Toga kommen zum Gucken her und sind plötzlich Teil von
       etwas Größerem, das zwar so richtig keiner erklären kann, das aber eben
       doch sehr viel mehr ist als ein komisches Treffen komischer Leute mit
       komischen Hobbys.
       
       11 Sep 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Comic-Con-in-Berlin/!5345592
   DIR [2] https://www.botanika-bremen.de/
   DIR [3] https://www.botanika-bremen.de/programme/botanika-goes-space.html
   DIR [4] https://memory-alpha.fandom.com/de/wiki/Tricorder
   DIR [5] https://fahrplan.events.ccc.de/camp/2007/Fahrplan/attachments/1323-Weltraumkommunismus_Skript_Camp.pdf
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jan-Paul Koopmann
       
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