URI: 
       # taz.de -- Genveränderte Malaria-Mücken: Genetisch unschädlich
       
       > Ließe sich die DNA von Mücken so verändern, dass diese kein Malaria mehr
       > übertragen? Ein internationales Forschungsinstitut arbeitet daran.
       
   IMG Bild: Mücken auf einem Moskitonetz in Nairobi, Kenia
       
       Hierzulande sind Mückenstiche vor allem nervig – in anderen Teilen der Welt
       können sie tödlich sein. Vor allem in Afrika ist der Malariaerreger, der
       von weiblichen Stechmücken übertragen wird, weit verbreitet. Im Jahr 2020
       sind 600.000 Menschen an Malaria gestorben. Allein in Uganda gab es 2021
       schätzungsweise mehr als 13 Millionen Malariafälle und fast 20.000
       Todesopfer.
       
       „Wir sind in keiner guten Lage“, sagt Jonathan Kayondo im Interview mit der
       taz. Er ist Insektenforscher am Uganda Virus Research Institute. „In Afrika
       insgesamt sieht es sehr schlecht aus – ein großer Teil unserer Bevölkerung
       ist betroffen. Wir sind sehr daran interessiert, dass mehr passiert“, sagt
       er. Das Ziel seiner Forschung: Er will Mücken genetisch so verändern, dass
       sie Malaria kaum noch übertragen können.
       
       Grundlage dafür ist [1][die Genschere Crispr]. Diese „Schere“ besteht aus
       zwei Teilen: Die sogenannte Guide-RNA sucht und findet die zu verändernde
       DNA. Ein anderer Bestandteil, das Protein Cas, nimmt den Schnitt vor.
       Daraufhin versucht der Körper, die beschädigte Stelle wieder zu reparieren.
       An diesem Punkt können Forschende Merkmale einbauen oder entfernen.
       
       Inzwischen gibt es dank Crispr sogar [2][schon erste Gentherapien] für
       ehemals unheilbare Krankheiten. Eine ähnliche Methode kann für Moskitos
       verwendet werden, damit Malaria nicht mehr so gut auf den Menschen
       übertragen werden kann. Natürlich ist es aussichtslos, an der Biologie
       jeder einzelnen Mücke herumzuschrauben. Stattdessen sollen sich die neuen
       genetischen Merkmale ganz automatisch verbreiten.
       
       ## Wissenschaftler:innen bauen Gene Drives selber
       
       Normalerweise besteht bei jedem Gen nur eine 50:50-Chance, dass es vererbt
       wird. In der Natur kommen aber auch Gene vor, die sich mit höherer
       Wahrscheinlichkeit vererben, sogenannte Gene Drives. Diese können
       Wissenschaftler:innen mittlerweile selbst bauen. Und genau damit
       beschäftigt sich [3][die Organisation Target Malaria], deren Standort in
       Uganda Jonathan Kayondo leitet. Der Zusammenschluss von Forschenden sucht
       seit Jahren nach Methoden, Gene Drives zur Bekämpfung von Malaria zu
       nutzen.
       
       [4][Eine davon geht so]: Der Gene Drive wird als ein Paket von genetischen
       Instruktionen im Labor in das Erbgut von männlichen Mücken eingebracht.
       Wenn sich eine solche Mücke in der Wildnis paart, werden die Instruktionen
       für den Nachwuchs in einem bestimmten Moment quasi angeschaltet: Sie
       starten ein Programm, das die noch unmodifizierte DNA-Kopie der wilden
       weiblichen Mücke an genau der Stelle beschädigt, wo auf der modifizierten
       DNA-Kopie des Männchens das Gene-Drive-Paket sitzt. Das bringt die Zelle
       dazu, von der unbeschädigten, modifizierten Kopie des Vaters
       „abzuschreiben“, um den Schaden zu reparieren.
       
       In der nächsten Generation ist damit garantiert, dass die väterliche Hälfte
       der DNA das Gene-Drive-Paket enthält, unabhängig davon, wie sie mit der
       mütterlichen kombiniert wird. Die beschädigte und überschriebene Stelle
       bewirkt bei männlichen Nachkommen nichts, aber weibliche können ohne sie
       nicht mehr stechen. Somit können sie auch keine Nachkommen mehr erzeugen,
       denn weibliche Moskitos benötigen Bestandteile aus dem Blut für die
       Fortpflanzung.
       
       ## Die veränderten Gene könnten sich von selbst verbreiten
       
       Zusätzlich kommt eine beschleunigende zweite Instruktion des
       Gene-Drive-Pakets ins Spiel: Das X-Chromosom wird während der
       Sperma-Herstellung quasi „geschreddert“, man spricht auch von
       „X-shredding“. Somit gibt es fast nur männliche Nachkommen, [5][die kein
       Malaria] übertragen und das Gene-Drive-Paket weiterverbreiten.
       
       „Irgendwann sind es dann so wenige, dass die Übertragung unterbrochen ist“,
       sagt Jonathan Kayondo. Mathematische Modelle lassen vermuten, wie viele
       genetisch veränderte Moskitos ausgesetzt werden müssen, um dies zu
       erreichen: Bei einer Population von 100.000 Mücken würde es wahrscheinlich
       ausreichen, 1.000 veränderte Moskitos auf sie loszulassen. Dann würde es
       etwa ein Jahr dauern, bis die Gene der Population verändert wären und die
       Malaria-Übertragung extrem reduziert wäre.
       
       In einem anderen Modell haben Forschende einen Blick auf ein ganzes Land
       geworfen: Würden in einem Prozent der Dörfer in Burkina Faso über vier
       Jahre lang Moskitos mit Gene Drives ausgesetzt werden, würde sich die Zahl
       der Malaria übertragenden Moskitos um 95 Prozent reduzieren. Auch
       benachbarte Populationen könnten mit der Genmanipulation angesteckt werden.
       
       ## In jedem Ökosystem muss neu getestet werden
       
       Doch wie reagieren Ökosysteme auf die genveränderte Art? Das „Target
       Malaria“-Team in Ghana sucht darauf seit 2018 Antworten. Bei ihrer
       Forschung konzentrieren sie sich auf die für die Malaria-Übertragung
       wichtigste Moskito-Spezies, die Anopheles gambiae. Mücken sind Teil der
       Nahrung von bestimmten Vögeln, Spinnen und Fledermäusen. Für die Studie
       untersuchen die Forschenden unter anderem den Mageninhalt und die Fäkalien
       dieser Tiere.
       
       Ihre bisherigen Ergebnisse zeigen, dass die Spezies keine
       „Schlüsselkomponente“ in Nahrungsketten ist. Nur bei einer sehr lokal
       vorkommenden Spinnenart macht die Mücke den Großteil der Nahrung aus.
       Ansonsten wird sie von Tieren gejagt, die das Wegfallen der Moskitos gut
       kompensieren könnten. Es wäre für Ökosysteme also vermutlich nicht so
       schlimm, würde die Population der Mückenspezies abnehmen.
       
       Die Studie führen die Forschenden absichtlich in Ghana durch, weil das Land
       ein „typisches“ Umfeld für die Moskito-Spezies ist. Allerdings
       unterscheiden sich die Malaria-Gebiete weltweit; in jedem von ihnen müssten
       die Auswirkungen auf das Ökosystem potenziell neu evaluiert werden.
       
       ## Weniger Mücken haben Folgen für das Ökosystem
       
       Der US-amerikanische Biologe Kevin Esvelt betont die Dringlichkeit des
       Gesundheitsproblems. „Wenn meine Kinder in Afrika leben würden und
       gefährdet wären, würde ich sagen: Macht es sofort! Selbst wenn jede
       negative ökologische Folge auftreten könnte, die alle Experten, mit denen
       ich gesprochen habe, in ihren wildesten Spekulationen geäußert haben –
       selbst dann wäre das längst nicht so schlimm wie die aktuellen Folgen von
       Malaria“, sagt er der taz. Der Forscher war vor einem Jahrzehnt maßgeblich
       an der Entdeckung der Gene Drives beteiligt und beschäftigt sich seit
       Jahren mit potenziellen Gefahren von Biotechnologien.
       
       Gefährlich kann es laut ihm etwa werden, wenn die Technologie zunächst zwar
       dazu führt, dass weniger Malaria übertragen wird, die Krankheit aber wieder
       zurückkehrt – zum Beispiel wegen fehlender Kooperation einer lokalen
       Regierung. Dann wäre die Immunität der Bevölkerung viel schwächer, da
       weniger Menschen Malaria ausgesetzt waren. Die Krankheit könnte somit noch
       gefährlicher werden.
       
       Unter anderem aufgrund solcher Gefahren müssen die Betroffenen unbedingt
       mitreden, wie die WHO, Jonathan Kayondo und Kevin Esvelt betonen. „Wenn
       mein Labor ein neues Medikament entwickelt, es zugelassen wird, Ihr Arzt es
       Ihnen empfiehlt – dann können Sie 'Nein’ sagen“, sagt der Biologe Esvelt.
       „Wenn wir eine Ökotechnologie entwickeln, die Ihre Umwelt verändert; selbst
       wenn es eine Abstimmung dazu gibt: Sie stimmen dagegen, sind aber in der
       Minderheit. Dann gibt es keine Möglichkeit mehr, sich dem zu entziehen.“
       Für ihn bedeutet das vor allem, dass die Forschung von Anfang an
       transparent sein muss.
       
       Esvelt sagt, dass wir auch für Entscheidungen verantwortlich sind, die wir
       nicht treffen. „Seit wir dieses Gespräch begonnen haben, sind sieben Kinder
       an Malaria gestorben“, sagt er nach wenigen Minuten im Interview. „Wir sind
       es nicht gewohnt, über die Konsequenzen von nicht getätigten Handlungen
       nachzudenken, wir denken immer nur an die unerwünschten Nebeneffekte von
       den Dingen, die wir tatsächlich tun. Aber: Wenn Sie die Macht haben, etwas
       zu tun und es nicht tun, sind Sie genauso verantwortlich für die
       Konsequenzen.“
       
       ## In Deutschland ist man skeptisch
       
       Wer genau die Entscheidung für welche Region am Ende treffen wird, ist noch
       unklar. Zahlreiche Akteure treffen sich dazu seit Jahren immer wieder.
       Beteiligt sind neben der WHO auch Institutionen der Afrikanischen Union,
       ein Zusammenschluss 55 afrikanischer Staaten. Verhindert werden sollen
       Alleingänge; Gene Drives kennen schließlich keine Ländergrenzen.
       
       In Deutschland wurde im Mai 2022 die Petition „Stop Gene Drives“ mit
       290.000 Unterschriften, initiiert von 239 NGOs, [6][an
       Bundesumweltministerin Steffi Lemke übergeben]. Als Kayondo auf die in
       Europa ausgeprägte Skepsis gegenüber genetischen Veränderungen angesprochen
       wird, lächelt er: „Ich verstehe, wo diese Sorgen herkommen. Aber die
       Skeptiker betrachten das Problem aus einer Position des Privilegs, und
       nicht nur das: Sie haben viel mehr Ressourcen, die sie auf solche Probleme
       lenken können.“
       
       Um die Gefahr durch Malaria zu bannen, braucht es eigentlich mehrere
       Maßnahmen zugleich. Die Verbreitung von Moskitonetzen in der Bevölkerung
       zum Beispiel, die als eine der wirksamsten Maßnahmen zählt. Seit 2019 gibt
       es zudem eine Impfung gegen Malaria, die allerdings nur zu etwa 35 Prozent
       effektiv ist und drei bis vier Impfdosen benötigt. In Ghana wurde im April
       sogar [7][ein Impfstoff zugelassen], der 77 Prozent Schutz bieten soll.
       
       Im Gegensatz zur genveränderten Mücke verbreitet sich die Impfdosis aber
       nicht von selbst. Es bräuchte überall ausreichend Impfstoff und
       medizinisches Personal, das sie verabreicht. Insbesondere in den ländlichen
       Regionen Afrikas ist das oft nur schwer leistbar.
       
       12 Sep 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Debatte-ueber-neue-Gentechnik/!5948071
   DIR [2] /Gentherapie-bei-Bluterkrankheit/!5839920
   DIR [3] https://targetmalaria.org/what-role-do-malaria-mosquitoes-play-in-their-ecosystem/
   DIR [4] https://www.nature.com/articles/s41587-020-0508-1
   DIR [5] /Impfung-gegen-Malaria/!5807035
   DIR [6] /Petition-gegen-Gene-Drive-Technologien/!5855615
   DIR [7] /Impfstoff-gegen-Malaria/!5949677
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sarah Emminghaus
       
       ## TAGS
       
   DIR Zukunft
   DIR wochentaz
   DIR Malaria
   DIR Afrika
   DIR Schwerpunkt Gentechnik
   DIR GNS
   DIR Tiere
   DIR WHO
   DIR Tierfutter
   DIR Malaria
   DIR CRISPR
   DIR Malaria
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Schattenwolf nicht mehr ausgestorben: Und da heulen sie nun rum
       
       Die Gen-Manufaktur Colossal Biosciences will den Schattenwolf wieder zum
       Leben erweckt haben. Zum vor Jahrtausenden ausgestorbenen Urtier fehlt
       allerdings noch so einiges.
       
   DIR Malariabekämpfung auf Kap Verde: Inselparadies ohne Malaria
       
       Die WHO hat Kap Verde für malariafrei erklärt. Das ist nicht nur für die
       Bevölkerung von großer Bedeutung, sondern auch für den Tourismus.
       
   DIR HIV-Medikamente im Tierfutter in Uganda: Keiner isst Hühner und Schweine
       
       Seit Jahren werden HIV-Medikamente dem Tierfutter beigemischt. Die
       Regierung hat das gewusst. Nun untersucht ein Ausschuss den Skandal.
       
   DIR Impfstoff gegen Malaria: Der Gamechanger
       
       Jede Minute stirbt ein Kleinkind an Malaria. Kann ein neuer Impfstoff das
       ändern? In Uganda ist die Hoffnung groß.
       
   DIR Debatte über neue Gentechnik: Ein Schnitt in die grüne DNA
       
       Hamburgs Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank stößt Diskussion zu
       Crispr/Cas an: Wegen der Genschere sollten die Grünen ihr Nein überdenken.
       
   DIR Tropenkrankheiten wandern nach Europa: „Dengue-Fieber steht vor der Tür“
       
       Tropenkrankheiten sind längst bei uns, weiß Jürgen May vom
       Bernhard-Nocht-Institut. Die Pharmaindustrie reagiert meist erst, wenn es
       weiße Tote gibt.