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       # taz.de -- Nachhaltige Schifffahrt: Ein Tesla fürs Wasser?
       
       > In Stockholm soll eine elektrische Fähre Dieselschiffe ersetzen. Mit dem
       > Konzept will das Unternehmen für Klimaneutralität auf dem Wasser sorgen.
       
   IMG Bild: So soll sie bald durchs Wasser gleiten: Computerdarstellung der neuen Elektro-Fähre von Candela
       
       Stockholm taz | Mit dröhnendem Motor und einer schäumenden Bugwelle pflügt
       die „Cinderella II“ durch das Wasser am Eingang zum Hafen von Stockholm.
       Die zweistöckige weiße Fähre mit der großen blau-gelben Fahne am Heck
       bringt Passagiere von den Schäreninseln in die schwedische Hauptstadt.
       Ihren Kurs kreuzen schnelle Motorboote, kleine Ausflugsdampfer und riesige
       Ostseefähren, in der Luft hängt Motorlärm und Dieselgeruch. Die Wellen der
       großen und kleinen Schiffe überlagern sich und brechen sich klatschend an
       den Kaimauern.
       
       Nebenan, vor dem kleinen Hafen von Gåshaga im Osten von Stockholm, zischt
       eine weiße Motoryacht übers Wasser: Acht Meter lang, mit bequemen Sitzen
       und der Aura des Jetset-Luxus. Solange sie im Wasser dümpelte, sah die „C-8
       Polestar“ aus wie eines der vielen Luxusboote, in das reiche Kapitäne eine
       halbe Million Dollar investieren. Aber wenn sie über das Wasser fliegt,
       soll sie etwas ganz anderes darstellen: die Zukunft des Wasserverkehrs in
       den Städten, schnell, bequem, cool, CO₂-frei und praktisch lautlos.
       
       Mikael Mahlberg blickt der großen Fähre „Cinderella II“ hinterher, wie sie
       vor einer großen weißen Heckwelle um eine Landzunge verschwindet. „Man
       sieht, wie sich diese Schiffe durchs Wasser kämpfen, um voranzukommen“,
       sagt der junge Mann, zuständig für PR bei Candela. Dann zeigt er auf sein
       Boot, das ein paar hundert Meter draußen vor dem Hafen scheinbar schwerelos
       auf drei Ständern über das graublaue, leicht wellige Wasser gleitet. „Wir
       bauen etwas ganz anderes“, lacht er: „Ein wasserscheues Boot.“
       
       Das Stockholmer Start-up-Unternehmen will gleich alles anders und besser
       machen als bisher. Es baut elektrische Yachten, die sich auf Tragflächen
       aus dem Wasser heben. Anders als die vielen anderen Elektroboote
       versprechen sie fast doppelt so viel Reichweite, bis zu 100 Kilometer. Der
       Motor des E-Autos Polestar, die leichte Konstruktion und vor allem die
       „foils“, Tragflächen, auf denen die Candela-Boote fliegen und die den
       Wasserwiderstand halbieren: Es ist ähnliche Technik, wie sie für die
       spektakulären Segelyachten, mit denen etwa der deutsche Skipper Boris
       Herrmann über die Weltmeere flitzt, verwendet wird. Wichtig dabei: Sensoren
       und Computer, die das Schiff in der Balance und am Schweben über den Wellen
       halten.
       
       ## Technik unverändert „seit 1871“
       
       Jetzt soll das Luxus-Spielzeug zum Massentransport taugen. In einer
       Werkshalle im Norden der Stadt entsteht das Boot, das alles ändern soll:
       Die „P-12“, eine kleine Fähre für etwa 30 Passagiere, die ein bisschen
       aussieht wie ein Kleinbus auf Schienen. Sie soll erst einmal den
       öffentlichen Nahverkehr in Stockholm schneller, leiser und grüner machen –
       und sich dann auf dieser Erfolgswelle durch die ganze Welt tragen lassen.
       
       Die Rechnung sei einfach, meint Candela-Gründer Gustav Hasselskog.
       Hasselskog ist ein kompakter Mann mit wachen Augen und zupackender Art, der
       sich in seinem Großraumbüro in Gåshaga schnell noch einen Kaffee holt und
       ein Stück Kuchen abschneidet. Die bisherigen Stockholmer Fähren, auf denen
       immerhin 1,5 Millionen Fahrgäste pro Jahr unterwegs sind, seien von der
       Technik her praktisch unverändert „seit 1871“: Schwere Schiffe, ausgelegt
       für 350 Passagiere, die im Schnitt nur zu 17 Prozent ausgelastet sind; eine
       Lärm- und Wellenbelastung, die an den Nerven der Menschen, am marinen
       Ökosystem und an den Küsten der Inselwelt nagt. Und schwere Dieselmotoren,
       deren Treibstoff teuer und – anders bei den Bussen in Stockholm, die viel
       mit Biodiesel fahren – kaum anders als fossil herzustellen ist.
       
       Das System zielt nicht auf die großen Pötte der globalen Schifffahrt, das
       machen sie bei Candela klar: Für die Dekarbonisierung von
       Containerfrachtern, Kreuzfahrtschiffen oder Öltankern brauche es andere
       Techniken. Gerade hat sich die UN-Schifffahrtsorganisation IMO nach
       Jahrzehnten des Widerstands das Klimaziel gesetzt, gegen 2050 die
       CO₂-Emissionen auf null zu bringen. Doch dafür sind ganz andere Mittel
       nötig: neue Treibstoffe, mehr Einsatz von Segelkraft, CO₂-Preise. Bis 2030
       sollen die Emissionen mindestens um 20 Prozent sinken, bis 2040 um
       mindestens 70 Prozent. Immerhin emittiert der internationaler
       Schiffsverkehr 3 Prozent aller Klimagase, mehr als Deutschland – und
       unterlag bislang keinen Klimazielen.
       
       In Schweden sind Schiffe immerhin für etwa 4 Prozent der Emissionen aus dem
       Verkehr verantwortlich. Weil der Strom aus dem schwedischen Netz durch
       Wasser- und Atomenergie fast CO₂-frei ist, würden elektrische Boote die
       Emissionen deutlich senken.
       
       ## 90 Prozent weniger Energieverbrauch
       
       Für Candela-Gründer Hasselskog ein zusätzlicher Grund für seine Stromboote:
       Sein Antrieb, so rechnet er vor, bringe null Emissionen, null Wellenschlag
       und eine „CO2-Reduktion von 97,5 Prozent über die Lebensdauer“. 200
       kleinere Fähren will er einmal durchs Stockholmer Verkehrsgebiet schicken –
       schneller, bequemer, sauberer als die 65 Schiffe, die bisher einen Teil des
       öffentlichen Nahverkehrs in der Stadt am Mälarsund abwickeln. Das würde
       bedeuten: 90 Prozent weniger Energieverbrauch für eine Stadt, die schon
       2040 klimaneutral sein will, Ladestationen wie für E-Autos ohne großen
       Aufwand, eine Wasser-Infrastruktur, die man anders als Straßen und Brücken
       nicht bauen muss. Mit einer Reichweite von etwa 50 nautischen Meilen, knapp
       100 Kilometern, sei der Verkehr in der Innenstadt gut zu schaffen.
       
       Bescheiden sind die Ziele nicht: „Wir denken in Stockholm nicht über ein
       paar neue Boote nach, sondern über den Ersatz der ganzen Flotte“, sagt
       Hasselskog. Und Candela zielt nicht nur auf Stockholm: Viele Städte in der
       ganzen Welt nutzen das Wasser für Passagiertransport: San Francisco,
       Venedig, aber auch viele Städte im Globalen Süden, die im Verkehrsstau auf
       der Straße ersticken. Wenn man ihn fragt, ob er sich als Elon Musk der
       Passagierschiffe fühlt, der eine ganze Sparte revolutioniert, lacht er nur:
       „Was wir planen, ist viel größer. Musk hat nur den Antrieb ausgewechselt.
       Wir wollen das ganze System ändern.“
       
       Zumindest mit einem Teil des Systems werden sie bei Candela das ab Frühjahr
       2024 versuchen: Die Pendlerroute nach Ekerö, einem boomenden Vorort im
       Südwesten der Stadt, soll die „P-12“ bestreiten. Mit den alten Fähren
       dauert das bisher 55 Minuten, die E-Fähre soll es in 25 Minuten schaffen.
       „Wir wollen sehen, ob die Technologie so gut ist, wie sie aussieht“, sagt
       Hans Hedenfelt, bei der Stadt Stockholm zuständig für die Verkehrsplanung.
       „Wenn es klappt, könnte es das ganze Spiel ändern.“
       
       Hedenfelt ist gerade zu Besuch im Büro von Candela, ein Stockwerk tiefer
       werden die fertigen Elektro-Yachten verladen und auf Tiefladern verschickt.
       Die Halle ist voller Menschen, gerade wurde eine EU-Delegation durch die
       Räume geführt. Für Hans, wie ihn hier alle nennen, kommt die Candela-Idee
       zur richtigen Zeit. Die Stadt überlegt, ob und was sie nach 30 Jahren in
       die Erneuerung der alten Flotte von etwa 60 Fähren investieren soll. Die
       Schiffe sind als Transportmittel beliebt, aber sie verbrauchen pro
       Kilometer etwa siebenmal so viel Treibstoff wie Busse. Zudem sind sie
       teuer, weil jedes Schiff praktisch handgefertigt wird. Und: Die neuen
       E-Fähren könnten einen Teil der 10 Millionen Liter Diesel einsparen, die
       die Fähren jedes Jahr verbrennen.
       
       ## „Der Klimaschutz ist einer der Hauptgründe“
       
       „Wir werden nicht die ganze Flotte ersetzen“, so Hedenfelt. Für die weiten
       Wege in die Schären vor der Küste würden weiter schwere Maschinen
       gebraucht; auch auf manchen beliebten Routen in der Stadt, etwa zum
       Amüsierpark Grönalund, bräuchte es große Fähren, die bis zu 350 Menschen
       transportieren können. Und dann gibt es noch ein sehr schwedisches Problem:
       „Die Tragflächenboote können nicht im Eis fahren.“ Das ist immer mal wieder
       wichtig in skandinavischen Wintern.
       
       Trotzdem: „Das Konzept von Candela sieht großartig aus“, meint der
       Stockholmer Verkehrsplaner: kleinere Boote, die häufiger fahren, besser
       ausgelastet sind und schneller sein können – weil die Bahn auf dem Wasser
       meist frei ist und sie in der Innenstadt das Tempo nicht wie andere Schiffe
       wegen des Wellenschlags drosseln müssten. Jetzt muss das Unternehmen alle
       Lizenzen besorgen, dann könne es im Frühjahr losgehen mit dem Startschuss
       für den dekarbonisierten Fährverkehr.
       
       „Der Klimaschutz ist ja auch einer der Hauptgründe“, sagt Hedenfelt. Dann
       entschuldigt er sich. Es ist Freitagnachmittag, er muss los. Zu seinem
       Ferienhaus in den Schären.
       
       13 Sep 2023
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernhard Pötter
       
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