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       # taz.de -- Arbeitsbedingungen in der Paketbranche: Zusteller bleiben schutzlos
       
       > In der Paketbranche sorgen vor allem dubiose Subunternehmer für
       > katastrophale Arbeitsbedingungen. Gewerkschaften kämpfen für ein Verbot.
       
   IMG Bild: Alle großen Logistikdienstleister beschäftigen fragwürdige Subunternehmen – nicht nur Amazon
       
       Hannover taz | Die Fallsammlung, die [1][Tina Morgenroth vom Projekt „Faire
       Mobilität“ vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) mitgebracht hat], ist
       deprimierend. Ver.di hatte in Hannover zu einer Diskussion über die
       Zustände in der Paketbranche eingeladen. Morgenroth stellte einige Fälle
       aus der Beratungspraxis vor.
       
       Nahezu alle Unternehmen in der Paketdienst-Branche setzen auf „fragwürdige
       Sub-Subunternehmerketten“, sagt sie. Die Zustände ähneln denen in der
       Fleischindustrie. Unternehmen wie Amazon, DHL Express, Hermes, GLS, DPD und
       UPS lagern die Verantwortung für die Arbeiter, die in ihrem Auftrag Pakete
       ausliefern, einfach aus.
       
       Viele dieser Subunternehmer wenden sich gezielt an Migranten, werben damit,
       dass man für diesen Job kein Deutsch können muss. Sie lassen sie einen für
       sie unverständlichen Wust aus deutschen Papieren unterschreiben – in denen
       in manchen Fällen nicht nur der Arbeitsvertrag, sondern auch gleich der
       Aufhebungsvertrag steckt.
       
       Der wird dann mitunter datiert, wie es gerade passt, zum Beispiel wenn ein
       Mitarbeiter angesichts der Dauerüberlastung krank wird. Häufig werden die
       geleisteten Arbeitsstunden nicht ordentlich und vollständig dokumentiert.
       
       ## Effektive Kontrollen gibt es nicht
       
       Kontrollen müssen die Betriebe kaum fürchten, sagt Morgenroth. Dazu müssten
       sich die unterschiedlichen Stellen wie Zoll und Arbeitsschutzbehörden
       abstimmen – und das auch noch landesübergreifend, denn natürlich haben
       viele Subunternehmer ihren Unternehmenssitz sicherheitshalber weit weg vom
       Auftraggeber.
       
       Und wenn es doch einmal Ärger gibt? Dann verschwinden diese Unternehmen
       manchmal einfach, gehen Konkurs, sorgen dafür, dass Arbeitnehmer wie
       Gerichtsvollzieher nicht viel mehr antreffen als eine leere Garage und
       einen Zettel am Tor. Die Inhaber eröffnen teils eine neue Firma, berichten
       die Betroffenen in den Beratungsstellen.
       
       Die Arbeitnehmer haben so Mühe, auch nur ein Minimum an Ansprüchen
       durchzusetzen. „Migrant*innen aus EU-Staaten haben oft Schwierigkeiten,
       auch nur Arbeitslosengeld I zu beantragen“, sagt Morgenroth.
       
       „Oft liegen keine schriftlichen Kündigungen vor oder die ehemaligen
       Arbeitgeber weigern sich, ihrer Pflicht nachzukommen und eine
       Arbeitsbescheinigung auszustellen.“ Dauer und Umfang des
       Arbeitsverhältnisses seien so nicht richtig nachzuweisen.
       
       ## Arbeitnehmer können Rechte kaum geltend machen
       
       Einen [2][Anspruch auf Bürgergeld] haben viele Betroffene, vor allem aus
       Osteuropa, aber eben nicht. Weil der Arbeitgeber oft auch die Unterkunft
       stellt, sitzen Betroffene bei Jobverlust sofort auf der Straße.
       
       Bei Geflüchteten kommen weitere Probleme hinzu: Arbeitsbescheinigungen sind
       an das konkrete Arbeitsverhältnis bei einem Arbeitgeber geknüpft. Das
       schafft zusätzliche Abhängigkeiten, weil die Betroffenen im Fall einer
       Kündigung Schwierigkeiten mit der Ausländerbehörde oder sogar die
       Abschiebung fürchten.
       
       Auch Gerichtsverfahren laufen so ins Leere oder ziehen sich lange hin: Wenn
       Vorladungen nicht zugestellt werden können oder Arbeitgeber zu
       Verhandlungen nicht auftauchen, geht es eben erst einmal nicht weiter.
       
       [3][DGB und Ver.di trommeln] deshalb schon länger für ein Verbot dieser Art
       von Subunternehmer – [4][analog zum Verbot der Werkverträge und
       Leiharbeitsunternehmen in der Fleischindustrie]. „Dass Unternehmen dennoch
       andere Schlupflöcher finden, kann ich nicht ausschließen“, räumt Morgenroth
       ein.
       
       Aber es mache schon einen erheblichen Unterschied, wenn es – gerade bei
       Problemen – verbindliche Ansprechpartner im Betrieb gibt, bei denen man
       seine Anliegen vortragen oder Ansprüche geltend machen kann.
       
       „Oder ein Kollegium, welches nicht in ständiger Konkurrenz zueinander
       arbeitet, sondern am Ende sogar Mitbestimmung lebt“, so Morgenroth.
       „Außerdem: So ein Logistikstandort verschwindet ja nicht über Nacht –
       anders als kleine Subunternehmen, welche im Gewerbegebiet einen
       Garagenkomplex anmieten.“
       
       ## Auch in den Logistikzentren gibt es Probleme
       
       Zur [5][von Ver.di organisierten Podiumsdiskussion] sind allerdings auch
       zahlreiche Betriebsräte aus eben diesen Logistikzentren gekommen. Und sie
       machen deutlich, dass es dort noch ganz andere Probleme gibt: von der
       Verhinderung der betrieblichen Mitbestimmung, dem Aushöhlen der
       Branchentarifverträge bis hin zur Gesundheitsgefährdung durch viel zu
       schwere Pakete.
       
       [6][Ver.di fordert deshalb auch eine Gewichtsbegrenzung] auf maximal 20
       Kilogramm für Pakete, die von einer Person allein getragen werden müssen.
       Alles darüber hinaus sollte entsprechend gekennzeichnet und von mehreren
       Personen oder mit technischen Hilfsmitteln bewegt werden müssen.
       
       Bei den auf dem Podium versammelten Bundestagsabgeordneten rannten die
       Gewerkschaft mit ihren Forderungen zumindest vordergründig offene Türen
       ein. An der konkreten Umsetzung der Gesetzesvorhaben wird allerdings noch
       gearbeitet.
       
       Im Mai hatte auch der Bundesrat – unter anderem auf Initiative von Bremen
       und Niedersachsen hin – einen Entschließungsantrag verabschiedet, mit dem
       die Bundesregierung aufgefordert wird, das sogenannte
       „Paketboten-Schutz-Gesetz“ von 2019 zu überarbeiten. Außerdem steht eine
       [7][Novelle des Postgesetzes] bevor.
       
       16 Sep 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.faire-mobilitaet.de/beratungsstellen
   DIR [2] /Hamburgs-Jobcenter-kuerzt-Angebote/!5956750
   DIR [3] https://www.verdi.de/presse/pressemitteilungen/++co++be9d3664-52f8-11ee-a404-001a4a160129
   DIR [4] /Ausbeutung-in-der-Fleischindustrie/!5791699
   DIR [5] /Bundeskongress-der-Gewerkschaft/!5960376
   DIR [6] https://psl.verdi.de/branche/fair-zugestellt
   DIR [7] https://psl.verdi.de/branche/postgesetz
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nadine Conti
       
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