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       # taz.de -- Russische Klimaaktivist:innen: Geächtet, bedroht, aber noch da
       
       > Seit Beginn von Putins Krieg haben viele Umweltschützer:innen
       > Russland verlassen. Andere versuchen, weiterzumachen.
       
   IMG Bild: Der russische Klimaaktivist Arshak Makichyan demonstriert in Berlin vor der Botschaft seines Landes
       
       Berlin taz | Erst 2019 wurden sie gegründet. Doch mit dem Beginn des Kriegs
       gegen die Ukraine haben die [1][russischen Fridays for Future] ihre Arbeit
       beinahe komplett einstellen müssen – die Aktivist:innen haben das Land
       verlassen oder sind weniger oder nur noch im Verborgenen tätig. Dennoch
       gibt es in verschiedenen Regionen Russlands weiter lokale Ökokampagnen.
       Allerdings ist es schwer, derzeit in Russland für die Umwelt einzustehen.
       
       Einer der letzten Aktivist:innen ist Wassili Petrow. Der Umweltexperte
       möchte nicht, dass sein wirklicher Name bekannt wird – aus Angst vor
       Repressionen. Seine [2][Organisation wurde zum „ausländischen Agenten“
       erklärt] und ist seitdem Schikanen und Druck durch den Staat ausgesetzt.
       
       Dennoch hilft Petrow regionalen Umweltschützer:innen bei ihren
       Projekten weiter. „In den Regionen können wir uns immer noch für
       ökologisches Bewusstsein engagieren, [3][die Umweltgesetzgebung beobachten
       und Aktionen gegen Rechtsverletzungen organisieren – zum Beispiel gegen
       illegale Abholzung, Mülldeponien oder Bergbau]“, sagt er. Auch Kampagnen
       für getrennte Müllsammlung oder Recycling seien noch möglich. „Wir können
       alles tun, was nicht unmittelbar staatliche Interessen berührt und die
       öffentliche Ordnung nicht stört“, so Petrow. Es gebe sogar öffentliche
       föderale und regionale Fördermittel für Umwelt-NGOs und -Aktivitäten.
       „Aber“, betont Petrow, „als, ausländischer Agent' ist es unmöglich, sie zu
       bekommen“.
       
       ## Die „Agenten“-Fessel
       
       Das „Gesetz über ausländische Agenten“ ist Ende vergangenen Jahres sogar
       erneut verschärft worden: Danach müssen Organisationen, die Geld oder
       Unterstützung aus dem Ausland erhalten (haben), dies öffentlich kenntlich
       machen. Zudem können sie nur noch eingeschränkt an Ausschreibungen
       teilnehmen, öffentliche Förderung ist auch unmöglich. Russische
       Bürger:innen, die mit ihnen zusammenarbeiten oder ihre Aktivitäten oder
       Meldungen veröffentlichen, müssen sogar Anklage befürchten.
       
       Das war und ist ein Genickschlag für viele [4][Umweltvereinigungen im
       Land]. Sie waren vor allem in den vergangenen zehn Jahren entstanden. In
       fast jeder Region des Landes gab es Graswurzelbewegungen, die gegen Luft-
       oder Wasserverschmutzung, Industrieanlagen, eine schlecht funktionierende
       Deponie oder eine neue Müllverbrennungsanlage protestierten. Es gab auch
       NGOs, die sich für einen ökologischen Lebensstil oder nachhaltigen Konsum
       einsetzten, Bildungs- und Öffentlichkeitskampagnen und -veranstaltungen
       durchführten oder die Umweltmaßnahmen der regionalen Behörden beobachteten
       – und gegebenenfalls auch dagegen klagten.
       
       Demokratieforscher hatten in diesen Organisationen lange die Grundlage für
       Veränderungen der Gesellschaft im Reich von Wladimir Putin gesehen. Aber
       mit Russlands Überfall auf die Ukraine wurde deutlich, dass sich diese
       Hoffnungen vorerst nicht erfüllen können. In den ersten Monaten des Kriegs
       sind praktisch [5][alle zivilgesellschaftlichen Initiativen verstummt],
       viele Umweltaktivist:innen sind eingeschüchtert.
       
       ## Repression wächst
       
       Zwar arbeiten inzwischen einige von ihnen wieder. Aber laut der
       Umweltvereinigung [6][Environmental Crisis Group], die die Verfolgung der
       Initiativen in der Russischen Föderation überwacht, wurden seit
       Kriegsbeginn insgesamt 17 Strafverfahren wegen Antikriegsaktivitäten
       eingeleitet, 6 Aktivist:innen bereits verurteilt. Allein im Jahr 2022
       gab es danach mehr als 300 neue Fälle von Druck auf 239
       Ökoaktivist:innen und auf 19 Organisationen in verschiedenen Regionen
       Russlands. Dabei wurden 16 Fälle von Strafverfolgung und 47 physische
       Angriffe registriert. 5 Organisationen wurden zu „ausländischen Agenten“
       erklärt oder sogar als „unerwünscht“ deklariert. In diesem Jahr wurden
       bereits 5 Organisationen als „unerwünscht“ gebrandmarkt, darunter
       [7][Greenpeace International] und [8][WWF International]. Einem der
       prominentesten Aktivisten von Fridays for Future in Russland, Arshak
       Makichyan, wurde sogar im Februar [9][die russische Staatsbürgerschaft
       entzogen]. Im März [10][protestierte er vor dem Bundeskanzleramt] in
       Berlin.
       
       Darüber hinaus bildete sich in vielen Umweltgruppen ein Riss – eine Reihe
       von Aktivist:innen unterstützt nämlich den Krieg. Das führte intern zu
       ernsthaften Konflikten, viele Gruppen diskutierten nur noch über
       Umweltthemen, um die Kluft nicht zu vertiefen.
       
       Viele zivilgesellschaftliche Gruppen, die sich mit Umweltfragen
       beschäftigen, stehen derzeit vor der Entscheidung, ob sie mit staatsnahen
       oder direkt staatlichen Strukturen kooperieren sollen. Einige von ihnen
       beantworten diese Frage mit „Ja“. Einige Gruppen sammeln aber auch Geld per
       Crowdfunding und beauftragen Anwälte, um vor Gericht zu gehen.
       
       Oder sie versuchen, die wenigen verbliebenen kritischen lokalen (oder
       föderalen) Medien oder Blogger zu finden, um auf Umweltprobleme aufmerksam
       zu machen. Zudem schreiben sie Appelle an den Präsidenten oder andere
       Politiker, starten Petitionen und öffentliche Kampagnen.
       
       Vor zwei Wochen hat der [11][Europäische Gerichtshof für Menschenrechte]
       eine Beschwerde von russischen Klimaaktivist:innen und
       Anwält:innen akzeptiert. Sie fordern, dass Moskau seine Pläne zur
       Reduktion der Treibhausgasemissionen überprüft und [12][mit den Zielen des
       Pariser Klimaabkommens] in Einklang bringt. Russland will derzeit bis 2030
       seine Emissionen um 30 Prozent im Vergleich zu 1990 senken. Laut den
       Aktivist:innen ist das viel zu wenig. Es müssten 70 Prozent weniger bis
       2030 und sogar 95 Prozent weniger bis 2050 sein, damit Russland das von ihm
       unterzeichnete Pariser Klimaabkommen erfüllen kann.
       
       16 Sep 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Fridays-for-Future-in-Moskau/!5644937
   DIR [2] /Pressefreiheit-in-Russland/!5928588
   DIR [3] /Klimabewegung-in-Russland/!5910645
   DIR [4] https://www.csis.org/analysis/environmental-activism-russia-strategies-and-prospects
   DIR [5] https://russlandverstehen.eu/de/ngos-repressionen-angelina-davydova/
   DIR [6] https://help-eco.info/monitoring/
   DIR [7] https://www.greenpeace.org/international/press-release/59745/environmental-protection-undesirable-russia-greenpeace
   DIR [8] https://updates.panda.org/wwf-international-statement-on-undesirable-characterisation-in-russia
   DIR [9] https://www.themoscowtimes.com/2022/10/31/climate-activist-arshak-makichyan-stripped-of-russian-citizenship-a79246
   DIR [10] /Gefluechteter-Aktivist-Arshak-Makichyan/!5921566
   DIR [11] https://drive.google.com/file/d/19PCO_wm8FK5vv_LXDl3MyLz6mOOKGekg/view
   DIR [12] /Kampf-gegen-Klimakatastrophe/!5944181
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Angelina Davydova
       
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