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       # taz.de -- Kolumbiens Sonderjustiz für den Frieden: Die „Falsos Positivos“ klagen an
       
       > In Kolumbien steht Ex-Armeechef Mario Montoya jetzt wegen der Ermordung
       > von Zivilist:innen vor Gericht. Er hatte „Ströme von Blut“ gefordert.
       
   IMG Bild: Steht vor Gericht: Ex-General Mario Montoya
       
       Ins Gedächtnis der Kolumbianer:innen hat sich eingebrannt, wie General
       Mario Montoya 2002 stolz vor die Presse trat und von den getöteten
       Farc-Guerilleros sprach: zwei Mädchen und drei Jungs.
       
       Alles Lügen: Die Kinder waren Kinder. Auf dem Rückweg von einem Geburtstag
       in ihr Dorf hatte sie jemand mitgenommen. Das Auto geriet in einen
       Hinterhalt der Armee. Die Armee bahrte ihre Leichen im örtlichen Altenheim
       auf und verkleidete sie mit Waffen, Uniformen und Propagandamaterial.
       Jahrelang mussten ihre Eltern um Gerechtigkeit kämpfen.
       
       „[1][Falsos Positivos]“, falsche Treffer, heißen die unschuldigen
       Zivilist:innen beschönigend, die die kolumbianische Armee im
       bewaffneten Konflikt gegen die Farc-Guerilla bewusst ermordete und als
       getötete Feinde verkaufte. Meist waren es arme Menschen vom Land, häufig
       unter falschen Versprechungen auf Arbeit weggelockt, dann grausam ermordet,
       oft verscharrt an unbekannten Orten.
       
       6.402 Opfer sollen es nach Angaben der Wahrheitskommission sein. Eine Zahl,
       die in Kolumbien seitdem immer wieder in Graffiti und bei Demos auftaucht.
       Dazu ein Spruch: „Wer gab den Befehl?“
       
       ## Erfolg bemaß sich an der Zahl von Getöteten
       
       Der Antwort ist das [2][Sondergericht für den Frieden (JEP)] einen Schritt
       näher gekommen. Es ist Teil des historischen Friedensabkommens zwischen
       Farc-Guerilla und kolumbianischer Regierung nach über 50 Jahren Krieg. Am
       Mittwoch hat es im Fall der „Falsos Positivos“ mit General Mario Montoya
       den bisher höchstrangigen früheren Militär wegen Kriegsverbrechen und
       Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt.
       
       Das Gericht hat in fünf Jahren Ermittlung ausreichend Beweise dafür
       gesammelt, dass Montoya und acht weitere Militärs von der Vierten Brigade
       die Verantwortung für 130 Fälle von „Falsos Positivos“ in den Jahren 2002
       und 2003 im Osten der Region Antioquia tragen. Die meisten der Getöteten
       waren Männer, aber auch Kinder, Frauen und Menschen mit Behinderung – die
       in aller Regel keine aktiven Kämpfer:innen sind. Von 25 weiß man bis
       heute nicht, wo ihre Leichen liegen.
       
       Richterin Catalina Díaz, die fast eine Stunde in [3][Liveübertragung] eine
       Presseerklärung zur Anklage verlas, wiederholte mehrfach, dass es keine
       Einzelfälle waren (wie es Armee und rechte Regierungen über Jahre behauptet
       hatten), sondern Morde mit System. Antioquia war an strategischen Stellen
       unter Kontrolle der Guerillas Farc und ELN. Kolumbien steckte mitten im
       „[4][Plan Colombia]“ und dem „Plan Patriota“, die USA pumpten Milliarden in
       den angeblichen Kampf gegen den Drogenhandel, die Bevölkerung zahlte mit
       der „Kriegssteuer“ mit, Kolumbien rüstete Armee und Geheimdienst massiv
       auf, schilderte Díaz ausführlich.
       
       Die nationale Politik hatte zwei Rollen für die ländliche Bevölkerung: Die
       Menschen waren entweder Helfer:innen der Armee, indem sie für
       spionierten – oder Helfer:innen der Feinde.
       
       ## Montayas Ansprache an die Soldaten war extrem gewalttätig
       
       Die Devise von Präsident Álvaro Uribe lautete: „Ressourcen und Resultate“ –
       man wollte Ergebnisse sehen für das Geld. Und die Ergebnisse wurden in
       Zahlen gemessen: getötete, gefangene, demobilisierte Guerilla-Angehörige.
       
       Nicht in der Vierten Brigade. In unzähligen Zeugenberichten, Notizen zu
       Radiosendungen des Generals an die Soldaten und anderen Zeugnissen fiel
       immer wieder, dass das einzige erwünschte Ergebnis Tote waren. Montoyas
       Sprache war gewalttätig, sagt das Gericht. Er forderte „Liter, Strahlen,
       Ströme, Tonnen, Karren“ von Blut. Immer und immer wieder. Für die
       monatliche Erfolgsbilanz zählten nur Tote, und nur sie brachten
       Heimaturlaub. „Bringt mir keine Probleme, ich will Lösungen, bringt mir
       Getötete.“ So sprach er über Gefangene, berichten mehrere Zeugen.
       
       Der pensionierte General Montoya hat bisher jede Verantwortung für die
       „Falsos Positivos“ abgestritten – und seine Soldaten beschuldigt. Jetzt
       haben er und acht andere ehemalige Militärs 30 Tage Zeit, die Anklage
       anzunehmen oder sie abzustreiten.
       
       31 Aug 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Hinrichtungen-in-Kolumbien/!5163410
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   DIR [3] https://www.youtube.com/watch?v=sY2uu5qd_X4
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       ## AUTOREN
       
   DIR Katharina Wojczenko
       
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