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       # taz.de -- Von der Leyen auf Lampedusa: Meloni erhöht Druck
       
       > EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen und Italiens Ministerpräsidentin
       > Meloni besuchen Lampedusa. Die Kommission muss improvisieren.
       
   IMG Bild: Ursula von der Leyen und Giorgia Meloni bei der gemeinsamen Pressekonferenz am 17.9.2023 auf Lampedusa
       
       Brüssel/Rom taz | Am Sonntag wurden die Flüchtlinge, die [1][gegenwärtig
       auf Lampedusa ausharren], endgültig zum europäischen Thema. Während
       EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gemeinsam mit Italiens
       Ministerpräsidentin Giorgia Meloni die kleine Mittelmeerinsel besuchte,
       deren Erstaufnahmelager aus allen Nähten platzt, empfing Melonis
       Stellvertreter Matteo Salvini praktisch zeitgleich seine Freundin Marine Le
       Pen auf einer Großveranstaltung der radikal fremdenfeindlichen Partei Lega.
       
       Melonis und Salvinis Aktionismus ist schnell erklärt: Italiens
       rechtspopulistische Regierung hat ein doppeltes Problem – ein logistisches
       und ein politisches. Allein von Dienstag bis Freitag trafen rund 11.000
       Menschen auf der Insel ein; die meisten waren auf kleinen Kähnen von
       Tunesien aus in See gestochen. Das Aufnahmelager kann jedoch regulär nur
       400 Personen beherbergen. Zwar wurden bis Sonntag etwa 10.000 Menschen nach
       Sizilien gebracht, doch immer noch halten sich 1.500 Menschen im Camp auf.
       
       Das politische Problem: Im Wahlkampf vor einem Jahr hatten Meloni und
       Salvini versprochen, unter ihrer Regierung sei „die Party vorbei“ für
       „illegale Flüchtlinge“. Die Rechte werde unterbinden, dass weitere
       Geflüchtete nach Italien kämen, zur Not auch [2][mit der von Meloni
       gewollten „Seeblockade“].
       
       Doch allein in diesem Jahr kamen bereits 127.000 Menschen über das
       Mittelmeer, fast doppelt so viele wie im Vorjahreszeitraum – und die
       Rechtsparteien werden zunehmend nervös. Deshalb erhöht Meloni den Druck in
       Europa, und von der Leyen eilte ihr umgehend zu Hilfe. Sie besuchte zuerst
       das Aufnahmelager, dann die Hafenmole, an der die Boote aus Tunesien
       anlegen.
       
       ## Die Seeblockade ist wieder da
       
       Einen unmittelbaren Eindruck bekam sie auch vom Protest aus der
       Inselbevölkerung, als ihr Konvoi kurz von einer kleinen Demonstration
       aufgehalten wurde, denn unter den Lampedusanern geht die Furcht um, die
       Regierung wolle dort ein weiteres großes Zeltlager errichten und so das
       Eiland in eine „Gefängnisinsel“ – so einer der Sprecher – verwandeln.
       
       Auf der folgenden Pressekonferenz wiederholte Meloni, was sie schon an den
       Vortagen verkündet hatte: Europa, nicht bloß Italien, müsse darauf
       hinwirken, dass keine weiteren Bootsflüchtlinge nach Lampedusa kämen, auch
       unter gemeinsamem Einsatz europäischer Marineeinheiten.
       
       Da ist sie wieder: die Seeblockade. Von der Leyen gab sich gesprächsbereit.
       Natürlich sei die Flüchtlingskrise „eine europäische Aufgabe“, natürlich
       könne Frontex Italien stärker unterstützen, natürlich müsse gemeinsam an
       der Unterbindung des „brutalen Geschäfts der Schleuser“ gearbeitet werden,
       natürlich müsse Europa sich stärker auch bei der Repatriierung jener
       Menschen engagieren, deren Fluchtgründe nicht anerkannt werden.
       
       Von der Leyen stellte zudem einen Notfallplan für die Bewältigung der
       Flüchtlingszahlen vor. Kern des Plans ist, dass die Asylsuchenden besser
       auf die europäischen Länder verteilt und weitere Massenankünfte verhindert
       werden. Er sieht ein hartes Vorgehen gegen sogenannte Schlepper vor. Die
       legale Einwanderung für Asylberechtigte soll erleichtert werden.
       
       Von der Leyens Rhetorik verwundert nicht. Die EU-Kommissionspräsidentin ist
       in der Pflicht: Sie hat im Juli [3][den sogenannten Tunesien-Deal]
       gemeinsam mit Meloni ausgehandelt und Solidarität mit Italien proklamiert.
       Der Deal verpflichtet Tunesien zu verhindern, dass Flüchtende überhaupt
       Richtung Italien aufbrechen und jene, die es doch tun, wieder
       zurückzuholen. Nun muss von der Leyen beweisen, dass sie zu ihrem Wort
       steht. Doch das wird schwierig. Denn das Abkommen mit Tunis ist noch nicht
       in Kraft; und so ist auch noch kein Geld nach Tunesien geflossen.
       
       Erschwerend kommt hinzu, dass auch der neue europäische Asylpakt auf sich
       warten lässt. Der Pakt, auf den sich die EU-Innenminister vor der
       Sommerpause verständigt haben, sieht mehr Härte an den Außengrenzen, aber
       auch etwas mehr Solidarität zwischen den EU-Staaten vor. Doch die
       abschließenden Verhandlungen im Europaparlament stehen noch ganz am Anfang.
       
       In ihrer Rede zur Lage der EU am vergangenen Mittwoch in Straßburg
       appellierte von der Leyen an die Abgeordneten, den Weg frei zu machen. Doch
       das Parlament will sich nicht drängen lassen.
       
       Deshalb muss die EU improvisieren. Der Blitzbesuch von der Leyens auf
       Lampedusa ist genauso improvisiert wie eine Telefonkonferenz der
       Innenminister aus Deutschland, Italien, Frankreich und Spanien am Samstag.
       Das Gespräch brachte kein Ergebnis und soll am Montag fortgesetzt werden.
       
       Wie die Unterstützung der EU praktisch umgesetzt werden soll, blieb am
       Sonntag unklar. Vor Tunesiens oder Libyens Küste könnten europäische
       Marineschiffe nur auftauchen, wenn die Südanrainerstaaten das billigen –
       anderenfalls wäre der Einsatz schlicht ein kriegerischer Akt.
       
       Nicht viel anders sieht es bei den Rückführungen aus: Auch hier ist die
       Kooperation der Herkunftsstaaten unabdingbar. Letztes Jahr hat Italien
       gerade einmal 3.000 Personen zurückgeschickt. Schneller wird es auch nicht
       gehen, wenn Melonis Kabinett wie geplant am Montag die Verlängerung der
       Abschiebehaft von 12 auf 18 Monate und den Bau weiterer Abschiebelager
       verabschiedet.
       
       Salvini verfolgt derweil seine eigene Agenda. Auf seiner
       Lega-Großkundgebung am Sonntag war Marine Le Pen zu Gast – jene Le Pen, die
       die Einbindung der EU in die Migrationspolitik für „gefährlich“ hält, weil
       das heiße, „dass der EU zusteht, über unsere Migrationspolitik zu
       entscheiden“. Offenkundig zielt Salvini darauf, Meloni mit rüder
       Anti-Immigrations-Rhetorik koalitionsintern von rechts außen Konkurrenz zu
       machen; schließlich wird im Juni 2024 das Europäische Parlament neu
       gewählt.
       
       17 Sep 2023
       
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