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       # taz.de -- Lkw-Fahrer-Streik in Gräfenhausen: „Wir bleiben, bis wir sterben“
       
       > In der hessischen Stadt harren immer noch rund 30 Lkw-Fahrer aus –
       > inzwischen im Hungerstreik. Nun bekommen sie Unterstützung aus der
       > Politik.
       
   IMG Bild: Ein Gesicht von vielen: Dieser streikende georgische Fahrer wartet seit Monaten auf seinen Lohn
       
       Berlin taz | Die rund [1][30 Lkw-Fahrer im hessischen Gräfenhausen, die am
       Dienstagnachmittag in den Hungerstreik getreten sind, hielten ihren
       Protest] auch am Mittwoch weiter aufrecht. Das sagte Edwin Atema von der
       europäischen Transportarbeitergewerkschaft, der für die Fahrer vermittelt,
       der taz. Sie fordern den ihnen zustehenden Lohn ein.
       
       Insgesamt harren rund 100 Lkw-Fahrer aus Usbekistan, Kasachstan,
       Tadschikistan, der Ukraine und der Türkei seit über sieben Wochen auf den
       Raststätten Gräfenhausen Ost und West aus. Die polnische Mazur-Gruppe, zu
       der die Unternehmen Lukmaz, Agmaz und Imperia gehören, [2][soll ihnen
       insgesamt etwa eine halbe Million Euro schulden]. Die Firma bestreitet das.
       Es ist der längste bekannte Streik von Truckern in Europa.
       
       „Ein Fahrer hat hier gerade gesagt, sie bleiben, bis sie sterben“, sagte
       Atema am Mittwochvormittag. „Sie sind verzweifelt und wissen sich nicht
       anders zu helfen.“ Im Hessischen Rundfunk sagte ein Fahrer aus Georgien,
       seine Familie hungere seit Monaten und warte auf das Geld, das ihm zustehe.
       Deswegen gehe auch er jetzt in den Hungerstreik.
       
       Am Mittwoch verabschiedete zunächst der V[3][erdi-Bundeskongress] eine
       [4][Solidaritätsadresse an die streikenden Fahrer]. Darin heißt es unter
       anderem: „Das schamlose Ausnutzen und Brechen von EU-Regeln durch die
       Unternehmen muss endlich ein Ende haben.“
       
       ## Arbeitsminister will tätig werden
       
       Nachmittags äußerte sich auf dem Kongress auch Bundesarbeitsminister
       Hubertus Heil (SPD) dazu. Er sprach von einer „beschissenen Situation“ und
       erklärte: „Wir werden da nicht tatenlos zusehen.“ Er habe am Mittwoch mit
       der polnischen Arbeitsministerin Kontakt aufgenommen, damit auch sie sich
       des Themas annimmt. Heil sieht aber auch die deutschen Großunternehmen in
       der Pflicht, die Kunden von Mazur sind. „Die Frage von Menschenrechten ist
       keine Frage von Freiwilligkeit.“
       
       Bereits am Freitag hatte der Minister in der Frankfurter Rundschau gesagt:
       „Lkw-Fahrer halten unser Land und unsere Wirtschaft am Laufen. Sie um ihren
       hart verdienten Lohn zu betrügen, dulden wir nicht. Die verzweifelten
       Lkw-Fahrer in Gräfenhausen brauchen unsere Unterstützung.“ Atema begrüßte
       im Gespräch mit der taz, dass sich der Bundesarbeitsminister eingeschaltet
       hat. Er hofft: „Das sind sicher keine leeren Worte.“
       
       Die blauen Lkw fahren fast ausschließlich in Westeuropa. Auftraggeber sind
       Unternehmen unter anderem aus Deutschland und Österreich. Zwischen ihnen
       und der Mazur-Gruppe liegen oft mehrere Subunternehmen. Die Fahrer hatten
       [5][kürzlich Namen von Firmen und Marken öffentlich gemacht,] deren Waren
       sie geladen haben oder die als Logistikunternehmen an der Lieferkette
       beteiligt sind; darunter waren Unternehmen wie DHL, Ikea, DB Schenker, Obi
       und Bauhaus. Die Firmen bestritten auf Anfrage der taz, Mazur beauftragt zu
       haben oder von Aufträgen in ihrer Lieferkette zu wissen. DB Schenker
       erklärte allerdings am Mittwoch, nach einer internen Überprüfung „haben wir
       festgestellt, dass drei Sendungen ohne unser Wissen und ohne die
       vertraglich vorgeschriebene Zustimmung durch DB Schenker an Unternehmen der
       Mazur-Gruppe weitervergeben wurden“. Drei Transportunternehmen wurden daher
       von Aufträgen durch DB Schenker ausgeschlossen.
       
       ## Hilft Lieferkettengesetz?
       
       Heil hatte am Freitag angekündigt, [6][an der Mazur-Lieferkette beteiligte
       Unternehmen im Rahmen des Lieferkettengesetzes einer Sonderprüfung zu
       unterziehen]. Zuständig für Verstöße gegen das im Januar in Kraft getretene
       Gesetz ist das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle. Dieses habe
       Auskunftsersuchen an Unternehmen eingeleitet, die laut Berichterstattung
       als Auftraggeber mit der Mazur-Gruppe in Verbindung gebracht werden.
       
       Die Europa-Abgeordnete der SPD, Gaby Bischoff, sagte der taz: „Der
       Hungerstreik ist ein klarer Ausdruck der Verzweiflung der Streikenden.“
       Europaabgeordnete aus vier Fraktionen hätten einen dringenden Appell an die
       Kommissarin für Transport, Adina Vălean, gerichtet und sie aufgefordert,
       alle Akteur*innen an einen Runden Tisch zu bekommen, damit die
       betroffenen Fahrer endlich ihr Geld erhalten. „Leider hat die Kommission
       bisher nicht reagiert.“
       
       Atema hofft, dass die Auftraggeber sich nun bewegen. „Wenn die Fahrer eine
       Perspektive erhalten, dann wird der Hungerstreik sicher bald enden.“ Der
       Gewerkschafter schien von der Situation selbst etwas überfordert. „Ich
       mache diese Arbeit schon sehr lange, aber so etwas habe ich noch nicht
       erlebt.“
       
       20 Sep 2023
       
       ## LINKS
       
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