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       # taz.de -- Leistungen für Asylbewerber in Hamburg: Behörden gefährden Kindeswohl
       
       > Geflüchtete warten in Hamburg im Schnitt zwei Monate auf ihr Geld. Ein
       > Jugendamtskollege sorgt sich, weil Familien keine Babynahrung kaufen
       > können.
       
   IMG Bild: 2015 gab es wenigstens noch Spenden wie hier in Brandenburg, heute soll Familien Babynahrung fehlen
       
       Hamburg taz | Er mache sich ernsthaft Sorgen, sagte jüngst ein Mitarbeiter
       des Jugendamts. In Hamburgs Folgeunterkünften für Geflüchtete gebe es
       Familien mit kleinen Kindern, die kein Geld haben und deshalb keine
       Babynahrung kaufen können. Das sei eine Kindeswohlgefährdung. Da müsste man
       eigentlich handeln und die Kinder in Obhut nehmen, nur sei das Blödsinn,
       weil die Eltern ja nicht schuld daran sind.
       
       Wie die taz erst [1][Ende August berichtet hatte], warten in Hamburg
       Geflüchtete monatelang auf Zahlungen, die ihnen laut
       Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) zustehen. Denn seit zum 1. Januar
       dieses Jahres die Zuständigkeit dafür von den sieben Bezirksämtern der
       Stadt auf das zentrale „Amt für Migration“ der Innenbehörde überging, läuft
       es sehr schlecht. Allein die Zahl der Verfahren vor dem Sozialgericht hat
       sich seither verdoppelt.
       
       Bis ein Neuantrag bewilligt ist, dauert es nach Auskunft des Senats [2][auf
       eine CDU-Anfrage von Anfang August] im Durchschnitt 41 Arbeitstage, das
       sind zwei Monate. Im Schnitt heißt, bei vielen Menschen dauert es deutlich
       länger. Bei jenen, die in Erstunterkünften leben und dort mit Essen und
       versorgt werden, geht es um 180 Euro, die ihnen als Soziokulturelles
       Existenzminimum zustehen, damit sie zum Beispiel Handyguthaben, persönliche
       Hygieneartikel oder auch Essen kaufen können, falls sie es mal nicht
       schaffen, zu den Mahlzeiten in der Unterkunft zu sein.
       
       Die Frage ist, ob es dadurch zu kindeswohlgefährdenden Situationen kommt.
       Und ob Familien mit Kindern priorisiert werden müssten. Die Gruppe ist
       nicht gerade klein. Hamburgweit erhielten Stand Juli 3.621 Kinder von null
       bis 17 Jahren Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, wovon etwa
       ein Drittel in Erstaufnahmen leben.
       
       ## Sozialbehörde will helfen, wenn sie Kenntnis hat
       
       Dass es überhaupt zu Verzögerungen kommt, liegt laut Innenbehörde an
       Personalmangel im nun um diese wichtige Aufgabe bereicherten „Amt für
       Migration“. Am 1. August waren 32,4 Prozent der Stellen unbesetzt.
       
       Beschlossen wurde die Zentralisierung mit dem letzten Haushalt. Dann wurde
       die Aufgabe an den am Stadtrand gelegenen Bargkoppelstieg in Rahlstedt
       verlagert, wo es erst mal wochenlang gar nicht möglich war, ohne Termin
       vorzusprechen und ein drei Meter hoher Stahlzaun die Menschen fernhielt.
       Terminanfragen per Email seien „nicht oder nur mit großer Verzögerung
       beantwortet worden“, monierte die Linken-Abgeordnete Carola Ensslen schon
       im Februar in einer [3][Kleinen Anfrage zum „Chaos“ bei Asylleistungen].
       Zwei Monate ohne Reaktion der Behörde seien keine Seltenheit.
       
       Seit Sommer gab es dann eine offene Sprechstunde für Notfälle an der im
       zentraleren Wandsbek gelegenen Hammer Straße, zunächst an zwei Tagen, dann
       nur noch am Freitag jeder Woche. Ein Grund könnte sein, dass mit dem
       Wechsel der Zuständigkeit zwar 27 Stellen von den Bezirken an das
       Migrationsamt wechselten, aber nur ein Bruchteil der Mitarbeiter. Ohnehin
       hat der Senat den Personalbedarf recht knapp kalkuliert: für 11.000 Fälle
       im Jahr, obwohl es schon 2022 über 14.000 waren, also ein Viertel mehr.
       
       Die Sozialbehörde erklärt, sie stehe nach erfolgter Zentralisierung mit der
       Innenbehörde „fast im täglichen Austausch“, es gebe für sie mehrere
       Bezugspunkte, wozu auch der Kinderschutz gehöre. „Sobald die Sozialbehörde
       über problematische Einzelfälle Kenntnis erhält, geht sie auf das Amt für
       Migration zu und bittet zum Beispiel um eine prioritäre Bearbeitung“, sagt
       Sprecher Wolfgang Arnhold. In Notfällen könne der Unterkunftbetreiber
       „Fördern &Wohnen“ zudem „Kriseninterventionsmittel“ auszahlen.
       
       ## Möglich, dass Kleinkind-Familien drei Monate warten
       
       Die Innen- und Sozialbehörde anworteten gemeinsam, Verzögerungen gebe es
       derzeit „nur bei Neuanträgen“, nicht jedoch bei den 12.880
       Leistungsbeziehern. Und die Wartezeit auf einen Termin betrage „maximal
       vier Wochen“. Beide halten es aber für „grundsätzlich möglich“, dass
       Familien mit kleinen Kindern zwei oder drei Monate auf ihr Geld warten.
       
       Erfüllt eine mangelnde Versorgung mit Essen das Kriterium einer
       Kindeswohlgefährdung? Wenn dieser Zustand über mehrere Tage andauere, sei
       das ein Hinweis für eine Vernachlässigung, erklärt die Sozialbehörde. „Da
       hier die Mittellosigkeit den Eltern nicht vorzuwerfen ist, muss von einer
       von äußeren Einflüssen verursachten Kindeswohlgefährdung ausgegangen
       werden“.
       
       In der Erstaufnahme, wo aktuell 1.127 Minderjährige leben, erhielten diese
       „Vollverpflegung“, wozu bei Babys auch Milchpulver, Gläschen, Babybrei,
       Flaschen, Sauger, Sterilisator sowie Windeln, Feuchttücher und Creme
       gehörten. Die taz erfuhr jedoch von einer Untergebrachten, dass es
       begrenzte Ausgabezeiten für solche Utensilien gibt.
       
       ## Mitregierender Grünen-Politiker: Ziel verfehlt
       
       Anträge von Familien in Erstunterkünften mit Kindern würden, so die beiden
       Behörden weiter, zudem prioritär bearbeitet, sofern diese schulpflichtig
       sind. Auch Menschen in Folgeunterkünften, die sich selbst versorgen, würden
       „prioritär bearbeitet“ und könnten sich in einer Notlage „immer an ein
       Funktionspostfach“ wenden.
       
       Nur berichten Betroffene der Abgeordneten Ensslen, dass sie auch auf
       Meldungen an dieses Mailfach des Amtes für Migration „monatelang auf
       Antwort warten“. Auch jenen Mitarbeiter des Jugendamtes, der ungenannt
       bleiben möchte, überzeugen die Antworten nicht. Allein vier Wochen auf
       einen Termin zu warten, sei eine lange Zeit, „und erst recht mit einem
       Kind“, sagt er. Zudem gebe es zwar Austausch über die Lage auf der
       Leitungsebene der Behörden. „Der führt aber nicht zu konkreten Maßnahmen,
       die uns an der Basis handlungsfähig machen und zum Beispiel dafür sorgen,
       dass der Familie mit dem Baby geholfen wird.“
       
       Dass nur Familien mit Schulkindern priorisiert werden, nicht aber jene mit
       kleineren Kindern, erklärt das Amt für Migration so: Die Regel habe
       „ausschließlich den Zweck, einen schnelleren Schulbesuch der Kinder zu
       ermöglichen“. So könnten die Eltern Schulmaterialien kaufen und die
       Schulkinder Bus und Bahn nutzen.
       
       „Die Tatsache, dass beim Existenzminimum schon Schulkinder höher
       priorisiert werden als Kleinkinder, damit ein Schulbesuch überhaupt möglich
       ist, zeigt, wie ernst die Lage ist“, sagt Carola Ensslen. Die Menschen
       warteten schon am Vorabend vor der Hammer Straße, damit sie am Freitag noch
       drankommen. Sie verweist darauf, dass auch die Gesundheitsversorgung an die
       Leistungen nach Asylbewerberleistungsgesetz geknüpft ist und „nicht warten
       kann“. Und auch Erwachsene bräuchten zügig das Existenzminimum und könnten
       „nicht von Luft leben“.
       
       „Ziel verfehlt“, kommentiert auch der grüne Migrationspolitiker Michael
       Gwosdz die Lage, der die Zentralisierung eigentlich befürwortet hatte. Denn
       die Bescheide aus den Bezirken seien früher oft fehlerhaft gewesen. „Aber
       so wie es jetzt läuft ist es das Gegenteil von dem, was wir erhofft haben.“
       Er höre von den Problemen, überhaupt einen Antrag zu stellen und den langen
       Wartezeiten auf die Bewilligung auch im Eingabenausschuss. „Ich vermisse
       Kreativität, wie man mit weniger Leuten mehr schaffen kann“, sagt der
       Grüne. Arbeit könnte zum Beispiel sparen, einen Bescheid für länger als die
       üblichen vier Wochen zu bewilligen.
       
       23 Sep 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Warten-auf-die-Zahlung-vom-Amt/!5951119
   DIR [2] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/84521/damit_die_integration_gelingt_warum_ist_das_amt_fuer_migration_in_hamburg_voellig_ueberlastet.pdf
   DIR [3] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/82617/chaos_bei_den_leistungen_nach_dem_asylbewerberleistungsgesetz.pdf
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kaija Kutter
       
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