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       # taz.de -- Die Wahrheit: Für eine Universität der Schokoriegel
       
       > Die europäische Vielfalt schokolierter Pausen-Snacks ist beeindruckend,
       > abschließend behandelt ist das Thema aber längst noch nicht.
       
   IMG Bild: Verwurstete Dame von der IFFA, 2007
       
       Zu Teeniezeiten war ich mal für ein paar Wochen mit den Pfadfindern in
       London. Wir zelteten bei befreundeten Scouts und düsten tagsüber mit der
       U-Bahn zwischen den Sehenswürdigkeiten umher. Wirklich beeindruckte mich
       aber, dass die Briten völlig andere Konsumwelten bewohnten. Sie erlaubten
       es zum Beispiel mir als 14-jährigem bereits, das Bier-Limo-Mischgetränk
       „Shandy“ zu erstehen, das die jungen Einheimischen unter der Hand
       empfahlen.
       
       So stahlen wir uns eines Spätnachmittags in den örtlichen Tesco und
       versuchten uns abends im Zelt heimlich zu berauschen. Das misslang, denn
       wegen des geringen Alkoholgehalts reichte eine Dose für jeden nicht aus. Da
       uns dennoch etwas schwummrig geworden war, vielleicht aus schlechtem
       Gewissen, löschten wir die Taschenlampen und beschlossen, das Experiment
       „Vollrausch“ aufs kommende Jahr zu verschieben. Viel wichtiger erschien in
       jener Zeit ohnehin, einen Überblick über den Schokoriegelmarkt zu gewinnen.
       Zu Hause in Deutschland war gerade mit „Banjo“ (der mit Erdnüssen in der
       lila-gelben Verpackung, ab Ende der achtziger Jahre mit Haselnüssen) ein
       mächtiger neuer Akteur aus dem Hause Mars auf den Plan getreten. Hier in
       London schien jedoch die Firma Cadbury den Riegelmarkt zu dominieren.
       
       Ihre fantastischen Schöpfungen begeisterten meinen Teeniegeschmack total.
       Der „Starbar“ zum Beispiel war ein mit Erdnussbutter und Erdnussstückchen
       gefüllter Karamell-Kubus, umgeben von Schokolade. Später sollte er in
       Deutschland unter dem Namen „Wunderbar“ auf dem Markt reüssieren, schmeckte
       dann allerdings nur noch „so mittel“.
       
       Hingerissen war ich auch vom „Double Decker“, der in seiner Schokohülle
       eine Schicht Nougatcreme auf einer Schicht schokocremiger Getreidecrispies
       zu bieten hatte. Spektakulär! Am besten aber fand ich den „Picnic“, der
       unter seiner Schokolade eine wilde Mixtur aus Karamell, Erdnüssen,
       Getreidecrispies und – hold on to your seats – Rosinen barg. Viele Menschen
       ekeln sich vor Rosinen im Schokoriegel. Ich sage: Sparsam und mit Bedacht
       eingesetzt sind sie eine saftig-süße Gottesgabe.
       
       Den „Double Decker“ habe ich später noch mal auf einem Wochenmarkt an einem
       Stand für britische Spezialitäten gekauft und war nur mäßig beeindruckt.
       Hatte sich mein Geschmack geändert? War mit dem Riegel etwas geschehen?
       Aber das ist eben das Problem: Man kann das nirgends nachschlagen. Im
       Internet finden sich lediglich verstreute und unzuverlässige Informationen
       zu Geschichte und Evolution einzelner Schokoriegel. Eigentlich harrt das
       ganze Thema seiner wissenschaftlichen Aufarbeitung. Wir brauchen unbedingt
       eine Enzyklopädie, eventuell sogar eine Universität der Schokoriegel!
       
       Gestern immerhin bin ich in einem nobleren Rewe, der Importprodukte führt,
       nach Jahrzehnten noch mal an einen Viererpack „Picnic“ gekommen. Mein
       wissenschaftliches Urteil: Der Riegel ist so köstlich wie eh und je.
       
       22 Sep 2023
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Mark-Stefan Tietze
       
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