URI: 
       # taz.de -- Außenexpertin über G20-Gipfel in Indien: „Dahinter kann man nicht zurück“
       
       > Der Erfolg von G20 bemisst sich am Umgang mit dem russischen
       > Angriffskrieg. Eine gemeinsame Abschlusserklärung sei wichtig, sagt
       > Claudia Schmucker.
       
   IMG Bild: Werbung für den Gipfel in Neu Delhi
       
       taz: Frau Schmucker, welche Bedeutung hat G20 in einer sich neu
       formierenden Weltordnung und einer Vielzahl anderer Bündnisse wie Brics
       Plus? 
       
       Claudia Schmucker: Eine wirklich große. [1][Die G20 sind der einzige Club,
       in dem Entwicklungsländer, Industrieländer und aufstrebende Schwellenländer
       an einem Tisch sitzen] und auf Augenhöhe diskutieren.
       
       Aber die G20 können nichts entscheiden. 
       
       Die G20 können die Agenda setzen und sich selbst zu Handlungen
       verpflichten. Aber in der jetzigen angespannten geopolitischen Situation
       sind die G20 vor allem dazu da, mehr Verständnis füreinander zu wecken,
       Konflikte zu entspannen und konstruktiv miteinander zu reden. Im vergangen
       Jahr haben sich dazu der amerikanische Präsident Joe Biden und Chinas
       Präsident Xi Jinping am Rande des Gipfels in Bali getroffen.
       
       Wie gravierend ist die Absage von Xi in diesem Jahr? 
       
       Der Gipfel von Bali war ein Erfolg, weil es gelungen ist, sich auf eine
       gemeinsame Erklärung zum russischen Angriffskrieg zu einigen und ihn zu
       verurteilen. Dahinter kann man eigentlich nicht mehr zurück. [2][Wenn Xi
       nicht kommt, kann das heißen, dass er nicht mehr bereit ist, diese Art von
       Erklärung noch einmal mitzutragen.] Das ist ein großes Problem für die G20,
       aber auch für Indien als Gastgeber. Die Absage ist auch ein Affront
       gegenüber Indien.
       
       Wäre der G20-Gipfel ohne eine gemeinsame Abschlusserklärung, in der
       Russlands Angriffskrieg verurteilt wird, gescheitert? 
       
       Der Erfolg oder der Misserfolg des G20-Gipfels wird sich danach bemessen,
       wie die G20 mit dem russischen Angriffskrieg umgehen. Klar, es gibt eine
       lange Agenda zu Klima, Wirtschaft und Entwicklung. An diesen Themen wird
       auch gearbeitet. Aber man wird sich nicht auf große Fortschritte einigen
       können, solange man nicht über den russischen Angriffskrieg spricht und
       dort eine Einigung findet.
       
       Und Sie sind skeptisch? 
       
       Ja. Ich hoffe aber natürlich, dass es gelingt.
       
       Was kann der Westen tun, damit der Gipfel ein Erfolg wird? 
       
       In dem Moment, wo die Präsidenten Chinas und Russlands nicht teilnehmen,
       steigt das Gewicht der EU und der USA. Der sogenannte Westen hat jetzt die
       Aufgabe, auf die Entwicklungsländer zuzugehen und unsere Agenda für eine
       multipolare Weltordnung anzubieten.
       
       Was hat der Westen denn anzubieten? 
       
       Es geht zum einen um nachhaltige Unterstützung, etwa beim Aufbau von
       Infrastruktur. Wir müssen zweitens bereit sein für Reformen von
       Internationalen Organisationen, wie Internationaler Währungsfonds, Weltbank
       oder UN. Die EU muss sich dafür einsetzen, dass Entwicklungs- und
       Schwellenländer dort besser repräsentiert sind. China schafft es derzeit,
       diese Länder für sich zu gewinnen, indem sie ihnen Allianzen gegen die
       „US-Hegemonie“ anbietet. Der dritte wichtige Punkt ist die Entschuldung.
       Dazu braucht man wiederum China als Partner.
       
       Die G20 werden voraussichtlich beschließen, die Afrikanische Union als
       ständiges Mitglied aufzunehmen. Ein guter Schritt? 
       
       Das ist lange überfällig. Zur G20 gehört außer Südafrika kein afrikanisches
       Land. Eine regionale Organisation aufzunehmen, die für mehrere afrikanische
       Staaten spricht, wäre ein großer Schritt.
       
       Kann sich das neue Brics-Plus-Format mit Ländern von Argentinien bis
       Saudi-Arabien, das stark von China und Russland bestimmt wird, zur
       Konkurrenz der G20 entwickeln? 
       
       Die Erweiterung ist vor allem ein starkes symbolisches Signal. Es gibt aber
       kaum Themen, bei denen diese Länder einheitlich auftreten, außer dass sie
       gegen die Hegemonie der USA sind und mehr Repräsentanz in internationalen
       Organisationen verlangen. Sie verfolgen unterschiedliche wirtschaftliche,
       diplomatische und politische Ziele. Indien nähert sich zum Beispiel stark
       dem Westen an, die Beziehungen zu den USA sind so eng wie lange nicht. Und
       auch die EU hat eine Charmeoffensive gegenüber Indien gestartet.
       
       7 Sep 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Schuldenkrise-im-Globalen-Sueden/!5945035
   DIR [2] /G20-Gipfel-ohne-Chinas-Staatschef/!5957771
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anna Lehmann
       
       ## TAGS
       
   DIR G20-Gipfel
   DIR Indien
   DIR Russland
   DIR China
   DIR BRICS
   DIR G20-Gipfel
   DIR G20-Gipfel
   DIR G20-Gipfel
   DIR Indien
   DIR China
   DIR China
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Aufnahme der AU in die G20: Dabei sein und gehört werden
       
       Die G20 sind ab sofort G21. Was bedeutet das konkret? Afrika als Ganzes
       muss endlich mehr Gehör finden – allein wegen seiner geringen Emissionen.
       
   DIR Abschlusserklärung der G20 in Delhi: Der Elefant im Raum
       
       Die G20 können sich bei ihrem Gipfel doch auf eine gemeinsame Erklärung
       einigen. Aber das hat seinen Preis.
       
   DIR Vor dem G20-Gipfel: Ein Plan B ist nötig
       
       Beim G20-Gipfel wird es keine Lösungen für die globalen Krisen geben. Im
       Weg steht das Konkurrenzdenken von Nationalstaaten und Unternehmen.
       
   DIR Vorbericht G20 in Indien: Indien will die Welt verändern
       
       G20-Gastgeber Indien präsentiert sich als Stimme des Globalen Südens. Doch
       die Fronten zwischen dem Westen und Russland überschatten die Ambitionen.
       
   DIR Neue Landkarte für China: China zieht seine Grenzen neu
       
       In einer neuen Landkarte reklamiert die Volksrepublik russisches
       Territorium. Doch Putin muss die Demütigung stillschweigend akzeptieren.
       
   DIR G20-Gipfel ohne Chinas Staatschef: Warum Xi nicht kommt
       
       Chinas Staatschef kommt nicht zum G20-Gipfel am Wochenende in Indien. Das
       Verhältnis ist angespannt. Gönnt Peking Delhi keinen Erfolg?