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       # taz.de -- Abschlusserklärung der G20 in Delhi: Der Elefant im Raum
       
       > Die G20 können sich bei ihrem Gipfel doch auf eine gemeinsame Erklärung
       > einigen. Aber das hat seinen Preis.
       
   IMG Bild: Bundeskanzler Olaf Scholz bei voller Fahrt voraus auf dem Gipfelgelände in Delhi
       
       Delhi taz | Entgegen vieler Befürchtungen haben sich die Industrie- und
       Schwellenländer [1][bei ihrem Treffen in der indischen Hauptstadt Delhi]
       auf eine gemeinsame Abschlusserklärung geeinigt. „Das ist für sich genommen
       ein großer Erfolg“, so Bundeskanzler Olaf Scholz am Samstagabend.
       
       Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine wird darin jedoch nicht mehr
       explizit verurteilt. Stattdessen heißt es schwammiger, alle Staaten sollten
       jede Androhung oder Anwendung von Gewalt unterlassen, um sich fremde
       Territorien einzuverleiben: „Wir rufen alle Staaten dazu auf, die
       Grundsätze internationalen Rechts inklusive der territorialen Integrität
       und Souveränität aufrecht zu halten.“
       
       Auch Atomwaffendrohungen werden explizit verurteilt, jedoch, ohne dass
       Russland, als Urheber solcher Drohungen, genannt wird. „Die Verhandlungen
       verliefen sehr rücksichtslos und am Ende wurde das Thema dank der Führung
       von Premierminister Modi geklärt“, so der indische Unterhändler Amitabh
       Kant am Samstag in Delhi.
       
       Mit den aufgeweichten Formulierungen kam man der russischen, aber auch der
       chinesischen Regierung entgegen. Beide hatten gedroht, gar keine Erklärung
       zu unterzeichnen. Das hätte nicht nur das Ansehen der G20 beschädigt,
       sondern wäre auch ein Affront gegenüber dem Gastgeber Indien gewesen. Der
       indische Außenminister Subrahmanyam Jaishankar lobte die regionale
       Konkurrenz demonstrativ: „China wirkt unterstützend auf eine Einigung hin.“
       
       Dabei war Chinas Präsident Xi Jinping [2][erstmalig nicht zum Gipfel
       erschienen], sondern hatte nur den Ministerpräsidenten geschickt, was
       Indien als Affront begriff.
       
       Zwar sind die G20 kein Gremium, das Entscheidungen trifft. Wichtig ist es
       dennoch, ist es doch der einzige Club, in dem 19 Industrie- und
       Schwellenländer sowie die EU an einem Tisch sitzen, auf Augenhöhe
       miteinander reden und Selbstverpflichtungen eingehen. Eine gemeinsame
       Erklärung spricht für das Gewicht dieser Gruppe, die zwei Drittel der
       Weltbevölkerung und über 80 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung
       repräsentieren. Da die Länder sehr unterschiedliche Interessen haben, ist
       die Abschlusserklärung so etwas wie das Gesellenstück einer jeden
       Präsidentschaft. Dass es sie geben würde, war zu Beginn des Gipfels am
       Samstagmorgen noch nicht ausgemacht.
       
       Die Latte lag hoch. Im vergangenen Jahr gelang es auf Bali unter Vorsitz
       von Indonesien [3][eine gemeinsame Abschlusserklärung zu verabschieden], in
       der die „meisten Mitgliedsländer den Krieg in der Ukraine aufs Schärfste
       verurteilen.“ Also alle, bis auf Russland und China.
       
       Auch in diesem Jahr war das beherrschende Thema der Krieg Russlands gegen
       die Ukraine. Die Industrieländer inklusive Deutschland wollten gern die
       „Sprache von Bali“ auch in Neu-Delhi wieder anklingen lassen, viele
       Schwellen- und Entwicklungsländer und auch Indien wollten lieber nach vorn
       schauen und die Suche nach einer Friedenslösung in den Mittelpunkt stellen.
       
       Im Kanzleramt versuchte man im Vorfeld die Erwartungen zu herunterzudimmen.
       Auf ein gemeinsames Dokument in der Bali-Sprache zu drängen, sowie auf die
       Wiederholung eines Glaubensbekenntnisses, wäre unklug, hieß es. Es könne
       auch ein gutes Zeichen sein, wenn sich im Abschlussdokument Formulierungen
       wie die „Achtung der territorialen Integrität“ wiederfänden. Genau das ist
       nun gelungen.
       
       Man war also bereit, der indischen Seite entgegenzukommen, die den Gipfel
       nun als Erfolg verbuchen wird. Genau wie Deutschland. Scholz bezeichnet den
       Gipfel als sehr erfolgreich, mit Ergebnissen, die vorher nicht für möglich
       gehalten worden waren.
       
       Ein wichtiger Schritt ist auf jeden Fall die Aufnahme der Afrikanischen
       Union, die 55 afrikanische Staaten vertritt. Die Repräsentanz des
       Kontinents in dem Gremium hat sich auf einen Schlag vervielfacht. Das sei
       ein großer Fortschritt, für den sich viele Länder, darunter auch
       Deutschland eingesetzt hätten, so Scholz.
       
       Als Erfolg kann wohl auch die explizite Erwähnung der Pariser Klimaziele in
       der Delhier Erklärung gelten. Die G20 bekräftigen demnach ihre
       Entschlossenheit, weitere Anstrengungen zur Begrenzung der Erderwärmung auf
       1,5 Grad zu unternehmen. Zuvor hatte es Befürchtungen gegeben, dass das
       Thema untergehen könnte. Indien, mittlerweile zweitgrößter Emittent von
       CO2, sieht den eigenen Kohleausstieg zwar langfristig als wichtig,
       kurzfristig aber als nicht allzu drängend an. Wie andere Schwellenländer
       drängt es darauf, dass der Westen zunächst mal seine Hausaufgaben macht und
       jährlich die versprochen 100 Milliarden Euro für Klimaschutz in
       Entwicklungsländern zur Verfügung stellt.
       
       In der gemeinsamen Abschlusserklärung wurde erneut an die Verpflichtung
       erinnert und ihre Einhaltung bekräftigt. Seit 2020 ist dieses Versprechen
       seitens der Industrieländer jedoch noch nie eingehalten worden. Da die G20
       auch als Vorbereitung für die Klimakonferenz Ende des Jahres in Dubai
       dient, ist das jedoch schon mal eine Ansage. Nun muss sie auch eingelöst
       werden.
       
       9 Sep 2023
       
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