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       # taz.de -- Bürgerrat für Ernährungsfragen: Sag mir, was du isst
       
       > Was erwarten Bürger*innen von der Ernährungspolitik? Der Bundestag hat
       > erstmals einen Bürgerrat eingesetzt. Der soll das dem Parlament erklären.
       
   IMG Bild: Zucchini sind oft teurer als Fleisch. Kann die Bundespolitik das ändern?
       
       Muntere Diskussionen verspricht der Bürgerrat zum Thema Ernährung. „Es
       sollte mehr Gesetze und auch Preisregulierungen geben, damit sich alle
       Bürgerinnen und Bürger gute Lebensmittel leisten können“, sagt Nina Küpper,
       eine der ausgelosten Teilnehmenden. „Einerseits soll man sich gesund
       ernähren“, fügt sie hinzu, „andererseits sind Zucchini oft teurer als
       Fleisch“.
       
       Die selbstständige Unternehmensberaterin aus Herdecke in
       Nordrhein-Westfalen ist eine von 160 Personen, die während des Sommers
       zufällig aus den Melderegistern in ganz Deutschland ausgewählt wurden.
       [1][Erstmals ist ein solches Gremium offiziell vom Bundestag eingesetzt
       worden.] Es beginnt seine Arbeit am 29. September. Sein Thema: „Ernährung
       im Wandel: Zwischen Privatangelegenheit und staatlichen Aufgaben.“
       
       Bürgerräte sind eine Innovation des Systems der parlamentarischen
       Demokratie. [2][Die Mehrheit der gewählten Abgeordneten möchte sich von
       Bürger:innen auf neue Art beraten lassen.] Im Hintergrund steht die
       Erkenntnis, dass der Abstand zwischen professioneller Politik und den
       Bedürfnissen der Bevölkerung oft zu groß ist. Die Zufallsauswahl per Los
       soll zudem ermöglichen, dass sich nicht immer dieselben Lautsprecher Gehör
       verschaffen.
       
       ## Union und AfD waren dagegen
       
       „Der Mehrwert des Bürgerrates für den Deutschen Bundestag besteht darin,
       ein genaues Bild davon zu bekommen, welche Maßnahmen die Bürgerinnen und
       Bürger für eine gesündere und nachhaltigere Ernährung wünschen, oder
       welchen Beitrag sie selbst dafür bereit sind zu leisten“, heißt es im
       Beschluss zur Einsetzung. Dafür stimmten im vergangenen Mai die
       Ampel-Fraktionen SPD, Grüne und FDP, außerdem die Linke.
       
       Viele Abgeordnete von CDU und CSU waren nicht überzeugt von dem Anliegen.
       „Wir vertrauen auf das bewährte, krisenfeste repräsentative System der
       parlamentarischen Demokratie“, sagt Steffen Bilger, ein
       Vize-Fraktionsvorsitzender der Union. „Der beste Bürgerrat sind die
       Menschen im Wahlkreis, mit denen die Politiker unmittelbaren Kontakt
       pflegen.“ Die AfD lehnt die Erweiterung des Parlaments ebenfalls ab, sie
       propagiert stattdessen bundesweite Volksentscheide.
       
       ## Vegetarisch oder vegan?
       
       Holger Dehnhardt, ein weiterer ausgeloster Teilnehmer, sieht es so: „Den
       Bürgerrat halte ich für ein Verfahren, das mehr demokratische Mitbestimmung
       ermöglicht, ohne dass Lobbyinteressen etwa der Lebensmittel-Industrie im
       Mittelpunkt stehen.“ Zu den bevorstehenden Debatten sagt der Musiker und
       Programmierer aus Berlin: „Die Diskussion über vegetarische und vegane
       Lebensmittel wird von beiden Seiten oft hart geführt, wobei man diese Art
       der Ernährung auch entspannt betrachten könnte – schließlich handelt es
       sich um eine zusätzliche Variante, die mehr Entscheidungsmöglichkeiten
       eröffnet.“
       
       Dehnhardt weiß, wovon er spricht. Seine Tochter ernährt sich seit Jahren
       vegan. Sie verzichtet nicht nur auf Fleisch, Kuhmilch und Käse, sondern
       beispielsweise auch auf Bienenhonig. Kleidung aus Wolle und Leder ist
       ebenfalls tabu. Der Vater erlegt sich dagegen weniger Einschränkungen auf.
       Nina Küpper wiederum lebt mit ihren drei Kindern, ihren Eltern und der
       Familie ihrer Schwester in einem Mehrgenerationenhaus. Insgesamt werde dort
       wenig Fleisch gegessen, aber grundsätzlich handhabten das alle, wie sie
       wollten.
       
       ## Bratwurst und Schnitzel
       
       Solche privaten und gesellschaftlichen Haltungen werden im Bürgerrat sicher
       eine Rolle spielen. Freund:innen und Familien, Nachbar:innen und
       Politiker:innen streiten seit Jahren über gesunde und ungesunde
       Lebensmittel, über den Anteil von Fett, Zucker und Salz, über Tier- und
       Klimaschutz. Nicht selten werden die Auseinandersetzungen ideologisch:
       Bratwurst und Schnitzel gelten dann manchen gar als Teil der deutschen
       Identität.
       
       Da sind viele Abgeordnete des Bundestages etwas ratlos. Sie wollen wissen:
       „Was erwarten die Bürgerinnen und Bürger in der Ernährungspolitik vom
       Staat?“ Als konkrete Themen für den Bürgerrat nennen sie im
       Einsetzungsbeschluss unter anderem die Kennzeichnung von Lebensmitteln im
       Hinblick auf Erzeugung, Qualität und ökologische Auswirkungen, Steuern und
       Preise sowie Lebensmittelverschwendung. Das sind aber nur Vorschläge. Der
       Bürgerrat kann seine Diskussionspunkte selbst bestimmen.
       
       Seine Sitzungen in Präsenz und online werden bis Februar 2024 dauern. Ein
       wissenschaftlicher Beirat, Expert:innen und Politiker:innen werden
       die Teilnehmenden unterstützen und informieren. Ende Februar soll dann das
       Gutachten mit Empfehlungen des Rates fertig sein. Darüber wird der
       Bundestag im Plenum und in Ausschüssen beraten. Möglich erscheint, dass
       einige der Vorschläge des Bürgerrats in Gesetze münden. Sicher ist das
       jedoch nicht, denn grundsätzlich hat das Gremium eine ausschließlich
       beratende Funktion.
       
       23 Sep 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2023/kw19-de-buergerrat-945440
   DIR [2] /Erster-Buergerrat-fuer-Ernaehrung/!5930398
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hannes Koch
       
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