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       # taz.de -- Initiatorin über Deportierten-Denkmal: „Ein richtiger Ort des Gedenkens“
       
       > Die Forschung ist noch nicht abgeschlossen: In Flensburg erinnert nun ein
       > kleiner Platz an deportierte Sinti und Roma – mit Platz für weitere
       > Namen.
       
   IMG Bild: Noch war nichts zu sehen: Arbeit am Gedenkort auf dem Schulgelände
       
       taz: Frau Hafner, was passiert am Nachmittag des 29. September? 
       
       Constanze Hafner: Wir weihen die Gedenkstelle Steinfelder Weg ein. Gewidmet
       ist sie 44 Flensburger Sinti und Roma, die 1935 zunächst zwangsumgesiedelt
       wurden innerhalb der Stadt, also an den Stadtrand. Man findet dazu zwei
       Adressangaben, die Valentiner Allee und den Steinfelder Weg. Die treffen
       sich da, wo heute [1][unsere Schule] steht. Man weiß nicht mehr genau, wo
       das Lager stand, wohl auch, weil nach 1945 Unterlagen vernichtet wurden.
       
       Wie erging es den 44 Menschen dann? 
       
       Sie mussten dort unter erbärmlichen, menschenunwürdigen Bedingungen hausen.
       Und 1940, am 16. Mai, wurden sie mit dem großen Transport aus
       Schleswig-Holstein deportiert ins Zwangsarbeitslager Belzec im deutschen
       [2][“Generalgouvernement“]. Wir wissen: 22 von diesen 44 Menschen haben es
       nicht überlebt. Einige wenige sind später nach Flensburg zurückgekommen, um
       zu schauen, wer von der Familie vielleicht noch wiederzufinden ist. Diesen
       44 uns heute namentlich bekannten Menschen ist diese Gedenkstelle gewidmet
       – aber natürlich auch allen anderen, von denen wir bis heute nichts wissen.
       
       Diese Recherchen sind aber im Gange? 
       
       Die leistet der Historiker Sebastian Lotto-Kusche: Der ist
       [3][wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni Flensburg] in der
       Forschungsstelle für regionale Zeitgeschichte und forscht gezielt zum
       [4][Umgang mit Sinti und Roma in Schleswig-Holstein]. Nachdem bei uns diese
       Idee entstanden war, diese Gedenkstelle zu schaffen, …
       
       … Sie meinen das Projektteam, also sich selbst und Ihre Kollegen Achim
       Langer und Sven Roevens …
       
       … haben wir ihn kontaktiert und mit ihm zusammen sozusagen erst mal für uns
       die historischen Grundlagen gelegt. Achim Langer, Kunsterzieher und
       Künstler, hat die Gestaltung übernommen. Jetzt ist das ein richtiger Ort
       des Gedenkens geworden, zwar auf dem Schulgelände, aber öffentlich
       zugänglich.
       
       Wie sieht er denn aus? 
       
       Der Platz ist rund angelegt, drei Bänke und Heckenrosen umfassen ihn. Es
       gibt eine Tafel, die dem Gedenken Ausdruck gibt, sowie zwei Skulpturen. Die
       eine ist in die Erde eingelassen, die andere steht auf einer Stele, auf der
       an drei Seiten umlaufend die 44 Namen zu lesen sind. Die Namen sind so
       angebracht, dass jederzeit weitere eingetragen werden können.
       
       Was wissen Sie über die geehrten Menschen? 
       
       Da wäre noch Arbeit zu leisten. Wir wissen immerhin die Geburts-, von
       einigen auch die Todesdaten. Aber kaum die Umstände; das wurde in der
       Vergangenheit nicht sorgfältig dokumentiert. Von einigen wenigen wissen wir
       etwas mehr, weil es Angehörige gibt, Nachkommen. Aber bei ihnen, das
       mussten wir erst lernen, gibt es nicht selten eine große Scheu, sich zu
       erkennen zu geben. Oder auch davor, nun zur Einweihung zu kommen.
       
       Wie lange war der Vorlauf, bis es nun zur Einweihung kommen konnte? 
       
       2018 stieß ich im Rahmen eines [5][historischen Stadtspaziergangs], den
       Ludwig Hecker von der [6][Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund
       der Antifaschisten] regelmäßig anbietet, auf eine [7][Gedenktafel, die
       sechs Mitgliedern der Familie Weiß gewidmet ist] und auf das Zwangslager
       verweist; auch diese Tafel entstammt einer privaten Initiative. Wir hatten
       in der Folge Kontakt zu Matthäus Weiß, dem Vorsitzenden des [8][Verbandes
       Deutscher Sinti und Roma in Schleswig-Holstein]. Aber dann kam uns Corona
       in die Quere: Wir konnten uns nicht treffen und kennenlernen.
       
       Und dann? 
       
       Das Projekt ruhte bis Anfang 2022, dann ging es richtig los, auch mit der
       Suche nach Spender*innen und Förderungen. Eine beflügelnde Tatsache war,
       dass die damalige Oberbürgermeisterin [9][Simone Lange] sehr berührt war
       von unserem Engagement und sich sofort an unsere Seite gestellt hat. Zudem
       gab es viel Mut machendes Engagement aus der Zivilgesellschaft. Irgendwann
       haben dann alle in der Ratsversammlung vertretenen Parteien der Übernahme
       von einem Drittel der Kosten der Gedenkstelle [10][zugestimmt]. Wir sind
       dafür sehr dankbar – das Gedenken an die Opfer eines sehr lange verdrängten
       Verbrechens hat nun seinen Ort am Steinfelder Weg gefunden.
       
       29 Sep 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.waldorfschule-flensburg.de/
   DIR [2] /NS-Besatzungsherrschaft-in-Polen/!5028484
   DIR [3] https://www.uni-flensburg.de/geschichte/wer-wir-sind/personen/dr-sebastian-lotto-kusche
   DIR [4] https://www.antiziganismusforschung.de/mitglied/sebastian-lotto-kusche/
   DIR [5] https://schleswig-holstein.vvn-bda.de/2020/03/26/eine-erfolgsgeschichte-geht-weiter-antifaschistische-stadtwanderung-in-flensburg/
   DIR [6] https://schleswig-holstein.vvn-bda.de/
   DIR [7] https://verortungen.de/gedenkorte/flensburg-norderstrasse-sinti/
   DIR [8] http://www.sinti-roma-sh.de/
   DIR [9] /Flensburgs-Oberbuergermeisterin/!5882199
   DIR [10] https://ratsinfo.flensburg.de/sdnetrim/UGhVM0hpd2NXNFdFcExjZcG1-qOFob5LnXKnKANJrVzV7DWc3veIcOSkzuK5M_tP/Beschlussvorlage_der_Ratsfraktionen_HA-23-2023_1._Nachtrag.pdf
       
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