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       # taz.de -- Musiker über (fast) vergessenes Klavier: „Das ganze Orchester imitieren“
       
       > Auch eine Art historischer Aufführungspraxis: David Stromberg erinnert an
       > das Duplex-Piano – und seinen jüdischen Erfinder Emánuel Moór.
       
   IMG Bild: Lässt sich spielen wie ein normaler, bietet aber erhebliche zusätzliche Möglichkeiten: Duplex-Flügel
       
       taz: Herr Stromberg, wenn Sie es kompakt und schnell erklären müssten: Was
       ist ein [1][Duplex-Piano]? 
       
       David Stromberg: Erst mal ein Musikinstrument, das die wenigsten kennen:
       den allermeisten Klavierspielern ist es unbekannt, aber auch den
       allermeisten Klavierbauern. Es ist eine Erfindung des Komponisten Emánuel
       Moór, um 1920 herum. Es ist ein Kind der Spätromantik. Die Idee war, mehr
       Klang und mehr Klangfarben zu präsentieren, dem Interpreten die Möglichkeit
       zu geben, noch ausdrucksvoller zu spielen – ein Schlagwort, geradezu, ist:
       Man sollte mit einem einzigen Instrument das ganze Orchester imitieren
       können.
       
       Wie funktioniert das genau? 
       
       Das besondere Merkmal ist, dass man mittels eines Pedals jeden gespielten
       Ton verdoppeln kann. Wenn man eine Klaviertaste anschlägt, wird
       normalerweise ein einzelner Hammer aktiviert, der dann eine Saite
       anschlägt. Beim Duplex-Piano werden zwei aktiviert, nämlich auch noch der
       Hammer acht Töne darüber, also eine Oktave höher. Und dann müsste man wohl
       auch noch mal ganz kurz erklären, weshalb überhaupt zwei Manuale?
       
       Sehr gern! 
       
       Das dient dazu, dass man schichten kann: Ich spiele auf dem unteren Manual
       eine Hauptstimme und verdopple die mit dem Pedal, reichere sie klanglich
       an. Und mit der anderen Hand spiele ich eine Begleitstimme auf dem oberen
       Manual, wo die Töne immer unverdoppelt erklingen. So kann ich die
       Hauptstimme von der Begleitung klanglich absetzen. Das ist sehr reizvoll.
       Man kann diesen Flügel spielen wie einen ganz normalen Flügel – aber er
       bietet erhebliche zusätzliche Möglichkeiten.
       
       Heute ist das Duplex-Piano [2][ein Exot] – war das mal anders? 
       
       Historisch haben die weltbesten Orchester so einen Flügel benutzt: Die
       Wiener Philharmoniker, die Berliner, das Amsterdamer
       Concertgebouw-Orchester. Auch die [3][Hamburger Philharmoniker] haben 1929
       ein Konzert damit gegeben, ich kenne zwei Kritiken dazu. Und die
       renommiertesten Klavierbauer haben solche Flügel gebaut: [4][Steinway],
       Bechstein, Bösendorfer. Wir benutzen für unsere Konzerte nun ein
       Bösendorfer-Instrument: Den spielt der mehrfach ausgezeichnete [5][Pianist
       Florian Uhlig].
       
       Hätte die Geschichte der Musikinstrumente auch einen anderen Verlauf nehmen
       können – sodass heute jeder und jede das Duplex-Piano kennen würde? 
       
       Ich würde sagen, ja. Es war ja das geistige Kind eines Juden: Erfinder
       Moór, selbst auch Komponist, ist 1931 gestorben. Als der
       Nationalsozialismus aufkam, waren die Ideen eines Juden nicht mehr
       gewünscht. Und nach dem Zweiten Weltkrieg lag die Welt in Schutt und Asche,
       da hatte man andere Sorgen, als so einen Exoten auf die Bühne zu holen. Es
       hatte sich womöglich auch einfach der Geschmack geändert, und dieser
       überbordende Ausdruckswillen der 1920er-Jahre passte nicht mehr. Vielleicht
       ist die Würdigung des Duplex-Pianos erst jetzt wieder möglich im Zuge der
       Rückbesinnung auf historische Instrumente, auf die historische
       Aufführungspraxis. Allgemein spielen wir ja Musik von früher, also von Bach
       und Haydn und Mozart und Beethoven, wie sie alle heißen, auf Instrumenten
       für die sie nicht komponiert wurde.
       
       Warum eigentlich? 
       
       Man hat im Zuge der Musikgeschichte die Instrumente immer weiterentwickelt,
       bei meinem eigenen Instrument, dem Cello, etwa Stahlsaiten aufgezogen – das
       macht einen Riesenunterschied. Was wir nun tun, mit unseren drei Konzerten,
       ist historische Aufführungspraxis der Romantik: Wir spielen spätromantische
       Musik mit dem Instrument jener Zeit. Sodass die Musik und die Instrumente
       einer Epoche eine Einheit bilden.
       
       Wir sprachen vom Programm: Was genau wird denn geboten an den drei
       Konzert-Abenden? 
       
       Jedes Programm ist anders. Aber Teil jedes Konzerts ist ein Werk von
       Emánuel Moór. Der ist als Komponist damals von den besten Musikern gespielt
       worden – auch das ist völlig in Vergessenheit geraten, so wie seine ganze
       Biografie. Also: In jedem Konzert gibt es etwas von Moór, und im ersten
       kommt dann Smetana und Dvorăk, das ganze Programm ist eine Referenz an die
       ungarische Herkunft Moórs, ist eine Referenz an den slawischen Kulturraum.
       Das zweite Konzert beleuchtet wichtige Weggefährten: Moór hatte Unterricht
       genommen bei Brahms, daher gibt es ein Brahms-Quartett zu hören. Und er war
       befreundet mit Gabriel Fauré, den wir auch spielen.
       
       Und das dritte? 
       
       Beim letzten Konzert steht dann ein Meisterwerk der Nachkriegs-Moderne im
       Fokus: das Quartett vom Ende der Zeiten, „Quatuor pour la fin du temps“,
       von Olivier Messiaen. Das wurde in einem Kriegsgefangenenlager, also im
       Stalag 8A in Görlitz, uraufgeführt, wo der inhaftierte Messiaen es 1941
       vollendet hatte. Dann ein weiteres Stück von Brahms und eines von Moór.
       
       Wir sprachen von bedeutenden Orchestern, die es benutzt haben, wichtigen
       Herstellern – ist denn auch eigens für das Duplex-Piano komponiert worden? 
       
       Erst mal ist dieses Instrument für alle Werke klassischer Musik gedacht,
       insbesondere auch für [6][Bach]: Die „Goldberg-Variationen“ etwa sind für
       ein zweimanualiges Tasteninstrument geschrieben. Richtig viele eigens dafür
       komponierte Stücke gibt es nicht.
       
       Bemerkenswert und auf seine Weise schrecklich exemplarisch, finde ich das
       Vergessenmachen des Mannes dahinter. Wie sind Sie selbst auf Moór gestoßen? 
       
       Das ist auch ein Aspekt, der mich so fasziniert: Da hat ein Mann eine
       Vision und setzt alles daran, sie umzusetzen. Er schafft es auch, die
       weltbesten Musiker dafür zu interessieren und die besten Manufakturen. Und
       dann gerät diese Geschichte in völlige Vergessenheit. Ich habe [7][eine CD]
       gemacht, vor drei Jahren, mit Werken von Moór. Auf den Namen bin ich nur
       durch Zufall gestoßen, weil ich Werke gesucht habe für zwei Celli. Und es
       gibt eben ein Doppelkonzert für zwei Celli und Orchester, und dieses Werk
       stand dann im Zentrum der Aufnahme, die ich mit einem Münchner
       Cellisten-Kollegen gemacht habe und dem Bayerischen Rundfunk.
       
       Und dann? 
       
       Bei der Beschäftigung fiel mir auf: Der Komponist war auch Erfinder! Ein
       Redakteur des Deutschlandradios, ein Mann der Medien, dem ich davon erzählt
       habe, hat das Potenzial noch vor mir erkannt: Der sagte: Wir müssen so
       einen Flügel finden und damit etwas machen! Da hab ich angefangen, nach
       solchen Instrumenten zu suchen, auf der ganzen Welt. Denn wenn einer wie
       Bruno Walter sagt, das sei ein grandioses Klangerlebnis, und wenn wichtige
       Orchester den Flügel genutzt haben, muss da doch was dran sein.
       
       Ich würde mir jetzt wünschen, dass heute noch mal jemand den Ball aufnimmt:
       also ein zeitgenössischer komponierender Mensch versucht, die Möglichkeiten
       von Moórs Erfindung einfach mal auszuprobieren … 
       
       Dafür wäre ich sehr offen!
       
       26 Sep 2023
       
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