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       # taz.de -- Bekleidungsregeln an Schulen: Immer diese Jogginghosen
       
       > Was genau bedeutet „angemessene Kleidung“? Wer glaubt, über
       > Bekleidungsregeln an Schulen nachdenken zu müssen, hat keine richtigen
       > Probleme.
       
   IMG Bild: Für manche ein Problem: Jogginghosen-Gebrauch in der Schule
       
       Gerade ging das Thema wieder durch die Medien: [1][Bekleidungsregeln an
       Schulen]. Die Vorsitzende unseres Bundeselternrates meint, diese könnten
       gestresste Eltern bei der morgendlichen Klamotten-Diskussion deutlich
       entlasten.
       
       Ich finde, der Verzehr des Brotdoseninhaltes sollte dann ebenfalls
       verpflichtend werden, samt Karotte. Noch mehr entlasten würde es mich, wenn
       die Stullen von den Lehrkräften geschmiert werden. Außerdem sollte die
       Schule vorschreiben, dass Hausaufgaben initiativ und motiviert zu erledigen
       sind. Verstöße melden Eltern bei den Lehrkräften, die sowieso nicht wissen,
       was sie mit ihrer Zeit anfangen sollen.
       
       Zum Glück haben wir keine richtigen Probleme an den Schulen, da
       beschäftigen sie sich gerne damit, was „angemessene Kleidung“ konkret
       bedeutet und übernehmen außerdem deren Kontrolle sowie die [2][Bestrafung
       bei Verstößen]. Am besten misst morgens ein Lehrer am Schultor mit einem
       Geodreieck ganz exakt Tiefe und Winkel des Ausschnitts und wie weit der
       Rock jeweils über den Hintern geht. Dann können zu knapp bekleidete
       Schüler*innen umgehend wieder nach Hause geschickt werden – und die mit
       Löchern in den Klamotten und [3][Jogginghosen natürlich erst recht].
       
       Was haben die Leute bloß mit den Jogginghosen? Ich finde es
       diskriminierend, sie als „lottrig“ oder „asozial“ zu bezeichnen. Ich bin
       zwar auch nicht zwingend begeistert von den Jogginghosen meiner Kinder,
       aber ich käme im Traum nicht auf die Idee, meiner Tochter zuzureden, sich
       stattdessen in eine Skinny-Jeans zu zwängen. Solche hautengen Stretch-Hosen
       galten übrigens zu meiner Zeit als unangemessen, weil sie angeblich zu
       aufreizend waren.
       
       Einmal hörte ich andere Mütter über die Jogginghosen meines Sohns sagen,
       sie fänden es unmöglich „so ein“ Kind auch noch „so“ anzuziehen. Sie
       meinten wohl, ich sollte versuchen, mit einer schicken Hose seine
       Behinderung auszugleichen. Ich dagegen finde, Willi hat das Recht, die Hose
       zu tragen, die er möchte und die er selbständig an- und ausziehen kann. Ich
       frage mich, ob es bei einem Jogginghosenverbot an Schulen wohl für
       diejenigen, die keine Knöpfe auf und zu machen können eine Ausnahmeregelung
       geben wird? Wahrscheinlich bräuchte es ein extra Merkzeichen im
       Schwerbehindertenausweis: Ich schlage „JB“ für „Jogginghosenberechtigt“
       vor“.
       
       Unsere Bundeselternratsvorsitzende erzählt auch, dass sich manche
       Lehrer*innen unangenehm berührt davon fühlen, wenn sich in Jogginghosen
       das männliche Geschlechtsteil abzeichne – das kann ich verstehen. Dies kann
       meiner Erfahrung nach allerdings durch das Tragen einer Windel unter der
       Jogginghose sehr einfach verhindert werden. Gleichzeitig könnten die
       Lernenden (oder die Lärmenden) auf diese Weise nicht mehr ständig unter dem
       Vorwand das Klassenzimmer verlassen, auf die Toilette zu müssen.
       
       Aber im Ernst: Mancher hält das Tragen von Jogginghosen wohl für
       respektlos. Doch im Vergleich zu anderen Respektlosigkeiten in Schulen, die
       oft das Unterrichten unmöglich machen, sind sie wohl doch nicht das
       drängendste Problem. Mir ist es lieber, dass meine Tochter im Schlabberlook
       statt halbnackt zur Schule geht – aber eher wegen der Blasenentzündung als
       wegen der abgelenkten Jungs.
       
       Ich wundere mich nur, dass wir über Kleiderordnungen diskutieren, statt
       ernsthaft zu schauen, warum unsere Kinder unbedingt wie stereotype
       Sexsymbole aussehen wollen oder warum ihnen grundlegende Konzentrations-
       und Kommunikationsfähigkeiten fehlen. Ein Blick auf die Art und [4][Menge
       ihres Medienkonsums] gäbe eine schnelle Antwort – und dafür sind wir
       gestresste Eltern bis jetzt leider ganz allein verantwortlich.
       
       5 Oct 2023
       
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