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       # taz.de -- Forscher über die „Letzte Generation“: „Ein Ausdruck der Verzweiflung“
       
       > Die Diskussion um die Klimakrise habe sich darauf reduziert, wie man
       > demonstrieren solle, sagt Protestforscher Simon Teune. Das sei bequem.
       
   IMG Bild: Protestbaumhaus gegen eine neue Straße in der Berliner Wuhlheide
       
       taz: Herr Teune, dieses Jahr überschlagen sich die
       [1][Extremwetterereignisse]. Die Klimakrise ist so präsent wie nie.
       Eigentlich müssten die Menschen doch alarmiert sein. Wieso gehen trotzdem
       [2][immer weniger Leute] zu den Klimastreiks?
       
       Simon Teune: Es gibt immer einen Kern von Leuten, die sind politisch sehr
       aktiv und leicht mobilisierbar. Dann gibt es Leute, die gehen vielleicht
       einmal im Jahr auf die Straße oder seltener. Das sind die Leute, die 2019
       bei den Klimastreiks waren. Die kommen jetzt nicht mehr. Viele sind zwar
       frustriert von der Klimapolitik der Bundesregierung, setzen das aber nicht
       mehr unmittelbar in Protest um, weil sie das Gefühl haben, sie würden nicht
       gehört. Nicht nur von der Regierung, sondern auch von den Medien. Allein
       die Tatsache, dass Sie damit einsteigen, dass es wenig Leute waren. 250.000
       Leute an einem Tag in Deutschland auf die Straße zu bringen, das ist im
       Kontext einer allgemeinen Flaute immer noch ein sehr großer Protest.
       
       Was müsste jetzt passieren, um auch enttäuschte Menschen wieder zu
       mobilisieren? 
       
       Was es braucht, ist das Verständnis, dass ich tatsächlich den Unterschied
       machen kann, wenn ich mich an einem Protest beteilige. Das kann zum
       Beispiel passieren, wenn die Klimadebatte auf konkrete politische
       Entscheidungen zuläuft. Die verkehrspolitischen Initiativen in Berlin zum
       Beispiel sind gerade gegen den Trend besonders mobilisierungsfähig, weil
       der Senat die [3][Priorität für Radverkehr rückgängig macht]. Da gibt es
       wie 2019 bei den Klimastreiks die Haltung, dass man mit dem Protest etwas
       verändern kann. Dieses Momentum fehlt in der Klimapolitik, auch wegen der
       Enttäuschung, dass trotz der bedrohlichen Situation selbst Maßnahmen, die
       man relativ schnell umsetzen könnte, liegen bleiben.
       
       Zum Beispiel? 
       
       Zum Beispiel Tempolimit, ein 9-Euro-Ticket, Ausbau des öffentlichen
       Nahverkehrs und der Radinfrastruktur, Abbau von fossilen Subventionen. Da
       ist sehr viel Luft nach oben auf der Ebene von politischen Maßnahmen. Aber
       auch auf der Ebene von politischer Kommunikation fehlt die klare Ansage,
       dass die Bedrohungen der Klimakrise ernst genommen werden. Es gibt kein
       Angebot für eine Politik, die uns auf das 1,5-Grad-Ziel führt, zu dem
       Deutschland sich in Paris verpflichtet hat.
       
       Das heißt, wenn die Politik die Klimakrise anders kommunizieren würde, wäre
       die Bereitschaft auch größer, sich für Klimaschutz einzusetzen? 
       
       Die Klimabewegung und diejenigen, die es mit Klimapolitik ernst meinen,
       sind mit einer großen Herausforderung konfrontiert. Sie müssen innerhalb
       von sehr kurzer Zeit und gegen massiven Widerstand eine radikale
       Transformation durchsetzen. Dafür muss man klar sagen, in welcher Situation
       wir uns befinden, sodass die Menschen sich von den einzelnen Maßnahmen
       nicht nur bedroht fühlen, sondern für sich darin auch eine positive
       Perspektive sehen. Sie haben es zu Beginn gesagt, dieses Jahr hat sehr
       deutlich gezeigt, womit wir in Zukunft rechnen müssen. Die Verwüstungen
       durch Extremwetterereignisse sind das eine. Es ist aber auch absehbar, dass
       die Konflikte, die mit der Klimakrise einhergehen, beträchtlich sein
       werden. Davon werden alle Menschen betroffen sein. Jeder Zehntelgrad
       weniger wird die Entwicklung abmildern. Das muss die Perspektive sein, mit
       der Maßnahmen angegangen werden.
       
       Wie sieht es aus mit der radikaleren Protestgruppe Letzte Generation? Lösen
       deren Aktionen die Klimastreiks bald ab? 
       
       Ablösen werden sie die Fridays for Future mit Sicherheit nicht. Es braucht
       weiterhin das Zeichen, dass viele Leute mit der Regierungspolitik nicht
       zufrieden sind, und das kann eine Straßenblockade nicht leisten. [4][Die
       Aktionsformen der Letzten Generation] sind Ausdruck der Verzweiflung, weil
       es keine Anerkennung dafür gibt, dass wir uns in einer Notsituation
       befinden. An den Aktionen zeigt sich aber auch das Problem, die Bedrohung
       durch die Klimakrise zu kommunizieren. Viele Menschen verstehen nicht, was
       die Aktionen sollen. Die Blockaden schaffen kein Symbol für das Unrecht
       einer fossilen Wirtschaft, sondern allenfalls für unsere Unfähigkeit, uns
       damit zu konfrontieren.
       
       Eine [5][Umfrage zeigte kürzlich], dass der Zuspruch zu Klimabewegungen
       drastisch nachgelassen hat. 
       
       Es ist eine Situation entstanden, wo die Letzte Generation zum Buhmann
       geworden ist. Die ganze Diskussion um die Klimakrise hat sich darauf
       reduziert, in welcher Form man demonstrieren soll. Das ist für alle, die
       eine Klimapolitik bremsen wollen, sehr bequem. Diejenigen, die
       Straßenblockaden und symbolische Aktionen mit Terrorismus gleichsetzen,
       wollen von der Dringlichkeit einer konsequenten Klimapolitik ablenken.
       Diese vergiftete Atmosphäre färbt auch auf andere Leute ab, die in der
       Klimabewegung aktiv sind. Es hat sich eine feindliche Haltung gegenüber
       Klimaaktivismus insgesamt entwickelt.
       
       Amnesty International hat Deutschland in Bezug auf die Versammlungsfreiheit
       [6][erstmals als Problemland aufgelistet]. Könnte das Menschen auch
       abschrecken, zu protestieren?
       
       Ich denke, dass die Leute, die sich der Letzten Generation anschließen,
       nicht dadurch abschrecken lassen. In der Gruppe wird ja eine Haltung
       erzeugt, dass man mit vollem Einsatz reingehen muss. Da macht es kaum einen
       Unterschied, welche Konsequenzen einen erwarten. Aber die Einschränkung von
       Klimaprotest, die Vorverurteilung als kriminelle Vereinigung und die
       Vorbeugehaft erwecken den Eindruck, dass die Proteste das Problem sind. Da
       verstärken sich die öffentliche Debatte und die staatlichen Maßnahmen
       gegenseitig. Und das erzeugt sehr wohl eine Atmosphäre, in der Menschen,
       die eine bessere Klimapolitik wollen, eher nicht dafür auf die Straße
       gehen. Es geht um sehr viel und dabei beschränkt sich die Klimabewegung auf
       gewaltfreie Aktionen. Eine Verengung des zivilgesellschaftlichen
       Handlungsspielraums ist schlecht für die demokratische Auseinandersetzung
       mit einem Problem, das nicht kleiner wird.
       
       25 Sep 2023
       
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