# taz.de -- Studie zur Belastung des Planeten: Deutlich erhöhtes Infarktrisiko
> Zu viel Plastik, zu hoher Verbrauch von Süßwasser, zu viel Erwärmung:
> Laut einer aktuellen Studie sind 6 von 9 planetaren Grenzen sind
> überschritten.
IMG Bild: Auch die Zubetonierung der Landschaft ist ein schwerer Eingriff
Berlin taz | Es ging schon einmal schief: Ende des 17. Jahrhunderts hatten
die Bergleute im Freiberger Silber-Revier in Sachsen so viele Bäume
gerodet, dass in der Umgebung kaum Holz übrig war. Ohne Holz aber war
Bergbau nicht mehr möglich – Bohlen zum Abstützen wurden gebraucht und
Heizstoff zum Schmelzen des Erzes. Die Bergleute hatten [1][natürliche
Grenzen] überschritten. Damals prägte Hans Carl von Carlowitz den Begriff
der Nachhaltigkeit.
Der Oberberghauptmann des Erzgebirges ordnete an, fortan nur noch so viel
Holz zu schlagen, wie zugleich nachwachsen kann. In seinem Lehrbuch
„Sylvicultura oeconomica“ schrieb er 1713, der Anbau von Bäumen müsse so
erfolgen, „daß es eine continuirliche beständige und nachhaltende Nutzung
gebe / weiln es eine unentbehrliche Sache ist“.
Was damals durch Wiederaufforstung korrigiert werden konnte, stellt sich
heute weitaus schwieriger dar. Ein internationales Forschungsteam hat
[2][die natürlichen Belastungsgrenzen der Erde] untersucht, deren
Überschreiten den Weiterbetrieb des Systems kollabieren lassen würde. Die
Wissenschaftler:innen um den Schweden Johan Rockström – er leitet das
Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung PIK – definieren neun solcher
Grenzen. Dazu gehörten etwa der Süßwasserverbrauch, die Funktionsfähigkeit
der Biosphäre, das Abholzen und andere Landnutzungsänderungen wie etwa das
anhaltende Betonieren von Natur für Straßen oder Gewerbegebiete oder die
Verschmutzung der Umwelt durch Plastik und Chemikalien. Das [3][im
Fachblatt Science veröffentlichte Ergebnis] ist verheerend: Sechs der neun
Grenzen sind bereits überschritten.
„Die Erde ist ein Patient, dem es nicht gut geht“, urteilt Ko-Autor
Rockström. Wäre die Erde ein menschlicher Körper, wären die planetaren
Grenzen so etwas wie der Blutdruck. „Ein Blutdruck von über 120 zu 80
bedeutet zwar nicht, dass ein sofortiger Herzinfarkt droht, aber er erhöht
das Risiko“, erklärt Hauptautorin Katherine Richardson von der Universität
Kopenhagen.
## Veränderter Planet
Überschritten sei beispielsweise die Grenze für die [4][Verschmutzung der
Umwelt durch Plastik und Chemikalien]: Die Menschheit hat so viel
Mikroplastik, [5][Pestizide] oder Atommüll in die Umwelt eingebracht, dass
der Planet dadurch nachhaltig verändert wird. Auch die Grenze für Süßwasser
ist überschritten: Die Wissenschaftler:innen unterschieden dabei
sogenanntes grünes Wasser, das in landwirtschaftlichen und natürlichen
Böden und Pflanzen enthalten ist, und blaues Wasser, das in Flüssen, Seen
oder Mooren vorkommt. Ersteres wird übernutzt, zweiteres verdreckt oder
ausgetrocknet.
„Neben dem Klimawandel ist [6][die Funktionsfähigkeit der Biosphäre] die
zweite Säule der Stabilität unseres Planeten“, so Ko-Autor Wolfgang Lucht,
Leiter der Abteilung Erdsystemanalyse am PIK. Beim Klimawandel sind die
Belastungsgrenzen erreicht, beim Artensterben aber bereits überschritten.
„Wir destabilisieren derzeit auch diese Säule, indem wir zu viel Biomasse
entnehmen, zu viele Lebensräume zerstören, zu viele Flächen entwalden“,
urteilt Lucht.
Erstmals wertet die Studie wissenschaftliche Belege für die Quantifizierung
der [7][Grenze für die Aerosolbelastung der Atmosphäre] aus. Aerosole sind
Dreckpartikel, die durch menschliche Aktivität in die Luft gelangen,
Rußpartikel aus den Autoabgasen beispielsweise. Zwar ist diese Grenze noch
nicht überall überschritten, nach Ansicht der Wissenschaftler:innen in
einigen Regionen jedoch schon, zum Beispiel in Südasien.
## Neue Berechnungsmodelle
Insgesamt sind die Grenzen bei Globaler Erwärmung, Biosphäre, Entwaldung,
Schadstoffen, Stickstoffkreislauf und Süßwasser bereits gerissen, die bei
Ozonschicht, [8][Ozeanversauerung] und Luftverschmutzung halten noch.
Entwickelt hatte das Konzept der planetaren Grenzen 2009 eine Gruppe von 29
Wissenschaftlern, darunter Rockström, Åsa Persson vom Stockholm Resilience
Centre, der Nobelpreisträger Paul Crutzen und die dänische Biologin
Katherine Richardson. Die jetzt vorgestellte Arbeit aktualisiert nicht nur
den Wissensstand, sondern liefert auch neue Methoden zur Berechnung der
Grenzen.
Es ist nicht das einzige Konzept, mit dem sich der Raubbau der Menschheit
auf der Erde beschreiben lässt: Das Global Footprint Network ermittelt
jedes Jahr jenen Tag, an dem die menschliche Nachfrage nach nachwachsenden
Rohstoffen die Kapazität der Erde zur Reproduktion dieser Ressourcen
übersteigt. Dieser sogenannte [9][Erdüberlastungstag war in diesem Jahr der
2. August].
Das älteste Konzept hat aber zweifellos Hans Carl von Carlowitz geliefert.
13 Sep 2023
## LINKS
DIR [1] /Europaeische-Wirtschaft-und-Klimaschutz/!5839791
DIR [2] /Forscherin-ueber-Transformation/!5904272
DIR [3] https://www.science.org/doi/10.1126/sciadv.adh2458
DIR [4] /Forschung-zu-Plastik-im-Meer/!5950456
DIR [5] /Kritische-Studie-zu-Pestizid/!5959182
DIR [6] /Philosoph-Sloterdijk-ueber-Klimawandel/!5949761
DIR [7] /Ultra-Low-Emission-Zone/!5956228
DIR [8] /Saure-Meere-toeten-Austern/!5825812
DIR [9] /Erdueberlastungstag/!5951934
## AUTOREN
DIR Nick Reimer
## TAGS
DIR Schwerpunkt Klimawandel
DIR Umwelt
DIR Wissenschaft
DIR Globale Erwärmung
DIR Umweltverschmutzung
DIR GNS
DIR klimataz
DIR Klimaforschung
DIR Chemikalien
DIR Luftverschmutzung
DIR Moor
DIR Vereinte Nationen
DIR Mikroplastik
DIR wochentaz
DIR USA
DIR Schwerpunkt Klimawandel
DIR Klima
DIR Podcast „klima update°“
## ARTIKEL ZUM THEMA
DIR Studie zu Umweltmaßnahmen: Klima-Gesetze meist ineffektiv
Nur 12 Prozent der weltweiten Maßnahmen sparen Emissionen, so eine Studie
des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Doch es gibt Erfolge.
DIR Klimaschädliche F-Gase: EU will saubere Kühlschränke
Das Europaparlament verbietet Geräte, die fluorierte Treibhausgase
ausstoßen. Öko-Verbände feiern die Entscheidung – obwohl es Ausnahmen geben
soll.
DIR Studie zu Luftverschmutzung: Dreckige Luft tödlicher als gedacht
Die Verbrennung durch fossile Energieträger tötet jährlich fünf Millionen
Menschen. Häufige Krankheitsbilder sind Herzerkrankungen und Schlaganfälle.
DIR Torfabbau in Niedersachsen: Moor kann mehr als Torf
Niedersachsens Klimaschutzminister nimmt Moorschutz in den Blick. Aber tut
er genug? Matthias Schreiber vom Umweltforum Osnabrücker Land zweifelt.
DIR Globaler Kampf gegen Plastikmüll: Jetzt wird's konkret
In Nairobi gehen die UN-Verhandlungen über einen globalen Vertrag gegen
Plastikmüll weiter. Die Einigung könnte schwierig werden.
DIR Europäischer Umweltschutz: EU verhängt Mikroplastikverbot
Brüssel will die Verschmutzung der Umwelt mit Mikroplastik bis 2030 um 30
Prozent reduzieren. Dafür wird der Verwendung ein Riegel vorgeschoben.
DIR Reinigung von verseuchten Böden: Die Metal-Fans der Pflanzenwelt
Metallverseuchte Erde? Das rockt die Hallersche Schaumkresse mit links. Sie
reinigt nicht nur Böden, sondern kann auch wichtige Rohstoffe liefern.
DIR Klimaklage in den USA: Kalifornien verklagt Ölmultis
Der US-Bundesstaat wirft ihnen vor, bewusst Desinformation über fossile
Energien verbreitet zu haben. Aktivisten sprechen von Wendepunkt.
DIR Pharmazeutin über die Klimakrise: „Medikation aktiv ansprechen“
Wer Medikamente einnimmt, sollte sich über die Wirkung bei hohen
Temperaturen informieren. Sonst drohen Gesundheitsgefahren.
DIR Finanzsystem und Klimakrise: Wann kommt der Klima-Finanzcrash?
Klima-Experten warnen vor einer neuen Wirtschaftskrise durch die
Erderhitzung. Die ökonomischen Modelle würden die Lage unterschätzen.
DIR taz-Podcast „klima update°“: Die Klima-News der Woche
Schon diesen Monat hat die Menschheit die Ressourcen aufgebraucht, die die
Erde in einem Jahr natürlich regenerieren könnte Doch die Angst vor Wandel
ist groß.