URI: 
       # taz.de -- Psychedelika in der Psychotherapie: Den Hype erforschen
       
       > Können MDMA, Ketamin und LSD psychisch Kranken helfen? Die Zahl der
       > Studien zum Thema steigt rasant, genauso wie die Euphorie. Zu Recht?
       
       Sobald die Virtual-Reality-Brille festgezurrt ist, verschwindet die reale
       Welt. Stattdessen ist da ein Pool auf einem Berg, im Hintergrund rauscht
       ein Wasserfall. Eine Stimme aus dem Off leitet an, die Atmung zu
       verlangsamen. Nach etwa einer Minute werden die Farben intensiver, der
       graue Himmel leuchtet plötzlich rosa. Das Bild beginnt zu verschwimmen, die
       Welt wird gleißend weiß. Die nächsten 20 Minuten betrachtet man die Erde
       aus dem All und schwimmt durch schwebende Quadrate und Kreise. Ein
       psychedelischer Trip.
       
       Ein Konferenzstand in einem Veranstaltungsgebäude der Berliner Charité. Die
       junge Frau, die gerade den rosa Himmel gesehen hat, zieht die VR-Brille ab,
       atmet tief aus und wischt sich mit beiden Händen ein paar Tränen aus den
       Augen. Dann umarmt sie die Frau, die den VR-Stand betreut: Das sei wirklich
       eine schöne Erfahrung gewesen.
       
       Die Konferenz, auf der sie den Trip via Virtual Reality ausprobiert hat,
       heißt Insight Conference. Das Motto: „Rethink Psychedelics“. Hier trifft
       sich Ende August 2023 das Who’s who der psychedelischen Psychotherapie –
       [1][Menschen also, die zum Einsatz von psychedelischen Substanzen bei
       psychischen Erkrankungen forschen]. Die Konferenz wird organisiert von der
       Mind-Foundation, einer Nonprofitorganisation, die nach eigener Aussage
       „psychedelische Forschung und Therapie fördert“.
       
       Beteiligt sind die australische Monash University und das Zentralinstitut
       für Seelische Gesundheit in Mannheim. Finanziert wird das Ganze auch von
       Geldern der EU. Neben VR-Brillen-Trips kann man sich an den
       Konferenzständen auch von [2][einer Stroboskoplampe in eine LSD-ähnliche
       Erfahrung schicken lassen] und Tests kaufen, mit denen man überprüfen kann,
       wie stark gekaufte Drogen sind.
       
       An dem jungen Konferenzpublikum ist zu spüren, wie groß die Erwartungen
       sind. [3][Elon Musk] hat vor Kurzem getweetet, er halte Ketamin für eine
       bessere Behandlungsform gegen Depression als klassische Psychopharmaka.
       Musk ist kein Experte für Psychotherapie, aber durchaus ein Experte für
       Hypes. Wie gehen also Wissenschaftler:innen mit dieser Euphorie um?
       Ist sie wirklich durch Studienergebnisse begründet?
       
       Der Einsatz von Psychedelika in der Psychotherapie war unter
       Therapeut:innen lange Zeit geächtet und ist heute noch mindestens
       umstritten. Im September [4][2009 kamen in Berlin zwei Menschen ums Leben],
       nachdem sie von einem Psychotherapeuten verschiedene Psychedelika
       verabreicht bekommen hatten und eine Überdosis abbekamen. Die Deutsche
       Psychotherapeuten-Vereinigung [5][veröffentlichte damals eine
       Pressemitteilung] mit dem Titel: „Behandlung mit Drogen ist kriminell und
       hat mit Psychotherapie nichts zu tun.“ Der Therapeut ging dafür in Haft und
       erhielt ein Berufsverbot. Fälle wie diesen gab und gibt es aber immer
       wieder.
       
       ## MDMA gegen PTBS
       
       Dennoch wird seit einigen Jahren wieder vermehrt an Psychedelika geforscht.
       Psychedelika sind Substanzen, die im Menschen bewusstseinsverändernde,
       manchmal tagtraumähnliche Zustände hervorrufen. Unter Psychedelika versteht
       man LSD, Psilocybin – den Wirkstoff in Magic Mushrooms –, DMT und Meskalin.
       Die euphorisierende Substanz MDMA und das Beruhigungsmittel Ketamin sind
       eigentlich keine Psychedelika, werden aber wegen ihrer subjektiv ähnlichen
       Wirkung häufig dazugezählt.
       
       Die Forschung mit Psychedelika findet meist mit Psilocybin, MDMA und
       Ketamin statt, LSD ist aufgrund seiner langen Wirkungsdauer von zehn bis
       zwölf Stunden nicht so einfach einzusetzen. Die meisten Psychedelika
       erzeugen keine physische Abhängigkeit, bei Ketamin und MDMA ist jedoch eine
       psychische Abhängigkeit möglich.
       
       Die Substanzen erleben eine Renaissance. Gerade wurden in dem Fachmagazin
       Nature Medicine [6][die Ergebnisse einer Phase-III-Studie veröffentlicht],
       das ist die letzte Stufe einer Medikamentenzulassung. Es geht um die
       Behandlung von postraumatischer Belastungsstörung, kurz PTBS, mit der Droge
       MDMA. Patient:innen mit PTBS profitieren demnach deutlich mehr von
       einer psychotherapeutischen Behandlung, wenn diese durch die Einnahme von
       MDMA unterstützt wird, heißt es dort.
       
       [7][Eine andere Studie] aus dem Jahr 2022, die in dem Journal Jama
       Psychiatry erschienen ist, will vielversprechende Ergebnisse bei der
       Behandlung von Alkoholismus mit dem Wirkstoff Psilocybin gefunden haben.
       [8][Eine weitere Studie] des Johns Hopkins Center untersucht die
       Wirksamkeit von Psilocybin bei der Bekämpfung von Nikotinsucht. Nach nur
       wenigen Sitzungen hatten 80 Prozent der 15 Versuchspersonen noch sechs
       Monate nach den Sitzungen mit dem Rauchen aufgehört, deutlich mehr als bei
       einem handelsüblichen Medikament für Raucherentwöhnung.
       
       Sogar über den explosiven Zuwachs an Studien [9][gibt es mittlerweile eine
       Studie]. Seit 2019 sei so viel an dem Thema geforscht worden, dass
       Wissenschaftler:innen überhaupt nicht mehr mit dem Überprüfen der
       Studien, dem Peer-Review-Verfahren, hinterherkommen, stellt die
       Untersuchung fest.
       
       Ein Grund für das gestiegene Interesse an psychedelischer Psychotherapie
       ist möglicherweise auch die Krise, in der die Behandlung mit klassischen
       Psychopharmaka wie Antidepressiva steckt. Sowohl Nebenwirkungen wie
       Müdigkeit als auch Entzugssymptome beim Absetzen bestimmter Antidepressiva
       wurden in den vergangenen Jahren vermehrt diskutiert. Psychedelika mögen da
       für einige, trotz aller Gefahren, wie eine Alternative erscheinen. Aber
       warum sind die Stoffe dann nach wie vor nicht in der Therapie erlaubt?
       
       Eiko Fried ist so etwas wie der [10][Profikritiker dieses Feldes]. Der
       Professor am Institut für Klinische Psychologie der Universität Leiden in
       den Niederlanden setzt sich seit Jahren mit der Forschung zu
       psychedelischer Psychotherapie auseinander. „Ich habe kein Problem mit dem
       Forschungsfeld an sich“, will der Psychologe von vornherein klarmachen.
       Aber leider beobachte er oft fragwürdige Forschungsmethoden. „Problematisch
       wird es nur, wenn wissenschaftliche Studien Schlussfolgerungen ziehen, die
       von der Evidenz nicht unterstützt werden“, sagt Fried.
       
       In einem bald erscheinenden Paper haben ein Kollege und Fried Studien zu
       dem Thema psychedelische Psychotherapie untersucht. In fast allen konnten
       sie fragwürdige Forschungsmethoden entdecken.
       
       Da sind zum einen strukturelle Probleme: Bei einem sauberen
       Medikamententest braucht es eine Kontrollgruppe. Das heißt, dass eine
       Gruppe an Versuchspersonen ein Placebo, also ein Scheinmedikament, bekommt.
       Bei Psychedelikastudien gibt es die selten. Er verstehe das sogar, das
       Problem sei leider gar nicht so leicht zu lösen.
       
       ## Kann ein Placebo funktionieren?
       
       Eine Placebokontrollgruppe führe nämlich zu dem nächsten Problem: „Die
       Patient:innen wissen ja, ob sie MDMA bekommen haben oder ein Placebo.“
       Ob man ein Psychedelikum geschluckt hat oder nicht, merke man schnell.
       Damit ist die Studie nicht mehr „verblindet“. Die Erkenntnis, nur Teil der
       Kontrollgruppe zu sein, könnte Patient:innen enttäuschen und somit
       womöglich zu schlechteren Therapieergebnissen führen. Eine mögliche Lösung
       wäre eine aktive Kontrollgruppe, also eine Gruppe, die anstatt mit einem
       Psychedelikum mit einer Therapieform behandelt würde, von der man wisse,
       dass sie funktioniert – eine Verhaltenstherapie zum Beispiel.
       
       Einige Studien zögen außerdem aus ihren Ergebnissen Schlüsse, die Fried
       sich nicht erklären kann. Sie behaupten, dass die Substanzen sehr effizient
       seien, obwohl die Ergebnisse teilweise eher ernüchternd sind. [11][In einer
       Studie sprachen] nur zwei von vierzehn Patient:innen positiv auf das
       verabreichte Ketamin an, dennoch ist im Titel die Rede von „schnellem und
       nachhaltigem Rückgang suizidaler Gedanken“. [12][Eine andere Studie]
       behauptet, der Versuch sei verblindet gewesen, obwohl alle
       Teilnehmer:innen in der psychedelischen Gruppe und mehr als die Hälfte
       in der Placebogruppe richtig errieten, welche Substanz sie bekommen hatten.
       
       Eine Erklärung für die aufgebauschten Ergebnisse ist vielleicht die
       Tatsache, dass mittlerweile auch Pharmakonzerne das Feld der Psychedelika
       entdeckt haben und seitdem viele Studien finanzieren. „Die Leser:innen
       müssen wissen, dass Studien, die so finanziert sind, fünfmal so häufig
       positive Ergebnisse finden“, erklärt Fried. Denn im Markt der Psychedelika
       schlummert ein enormes Kapital.
       
       [13][In Australien dürfen seit Juli 2023 speziell ausgebildete
       Psychiater:innen Psychedelika zur Behandlung einsetzen]. Das Ganze ist
       sehr begrenzt, MDMA darf nur zur Behandlung von PTBS und Psilocybin zur
       Behandlung von therapieresistenter Depression eingesetzt werden – nach
       wissenschaftlicher Definition sind das Patient:innen, die mindestens zwei
       klassische Antidepressiva über mindestens sechs Wochen genommen haben und
       nicht zufriedenstellend darauf angesprochen haben.
       
       Das Problem ist allerdings, dass die Substanzen noch nicht zugelassen sind
       und deshalb von den Psychiater:innen teuer von inoffiziellen Quellen
       selbst bezogen werden müssen. Eine psychedelische Therapie wird deshalb in
       Australien voraussichtlich über 25.000 Dollar kosten.
       
       Fried warnt auch vor den potenziellen negativen Effekten von Psychedelika,
       die in den Studien oft heruntergespielt würden. „Wenn bei den
       Patient:innen suizidale Gedanken aufkommen und die Autor:innen
       einfach entscheiden, dass die nichts mit dem Mittel zu tun haben, finde ich
       das eine problematische Entscheidung“, sagt Fried. Besonders wenn
       Psychedelika nicht als zusätzliches Tool der Psychotherapie, sondern als
       Ersatz für sie gesehen werden, sieht Fried eine Gefahr. „Es gibt keinen
       Hinweis, dass einfach Pilze zu nehmen bei schweren psychischen Problemen
       hilft.“
       
       Und dann sind da noch die Teilnehmerzahlen bei den Studien: 30
       Versuchspersonen, 24, teilweise sogar nur 10. Fried verstehe, dass die
       Studien teuer und nicht so leicht zu organisieren seien. „Dann muss man
       eben aufhören, viele kleine problematische Studien durchzuführen, und
       stattdessen internationale Konsortien zusammenbringen und weniger, aber
       besser kontrollierte Studien durchführen“, sagt Fried.
       
       Also doch alles falscher Messianismus? Viele der fantastischen
       Versprechungen erinnern an die Euphorie der 60er-Jahre. In dem Paper von
       Fried ist die Rede von Geschichte, die sich selbst wiederholt.
       
       Auch Andrea Jungaberle ist der Hype zu groß. „Ich persönlich fühle mich da
       manchmal wie der Zauberlehrling: Die Geister, die ich rief“, sagt sie und
       lacht ein wenig beunruhigt. Jungaberle empfängt in der Ovid Clinic, einer
       Privatpraxis für psychedelische Psychotherapie. An einer Wand hängt ein
       Foto des Schweizer Chemikers Albert Hofmann, des Entdeckers von LSD. Das
       ist aber auch alles, was auf die Geschichte der Psychedelika hinweist. „Die
       Idee ist, es warm und weich zu gestalten, ohne in Hippiecharme zu
       verfallen“, sagt Jungaberle.
       
       ## Ketamin nicht ohne Therapie
       
       Jungaberle ist medizinische Leiterin der Klinik. Eigentlich ist sie
       Notfallmedizinerin und Anästhesistin, ihre Ausbildung zur
       Verhaltenstherapeutin wird sie bald abschließen. Im Jahr 2020 gründet sie
       mit zwei Kolleg:innen die Ovid Clinic. Was sie hier machen, nennen sie
       psychedelisch augmentierte – also erweiterte – Psychotherapie.
       
       Jungaberle ist wichtig, dass sie bei Ovid Clinics die Psychedelika mit
       Psychotherapie kombinieren. Das unterscheidet ihre Praxis von anderen, die
       Patient:innen einfach Psychedelika geben und dann nichts weiter tun.
       „Wenn man nur eine Infusion macht, holt man die Leute hoch aus dem Loch,
       aber dann fallen sie schnell wieder rein.“
       
       Jungaberle und ihre Kolleg:innen arbeiten mit Ketamin, dem aktuell
       einzigen in Deutschland zugelassenen Psychedelikum. Allerdings ist Ketamin
       nur als Beruhigungsmittel zugelassen. Jungaberle verabreicht Ketamin legal,
       aber „off-label“, was bedeutet, sie verwendet es nicht wie eigentlich
       vorgesehen. Damit das erlaubt wird, muss sie bei jedem einzelnen Fall
       begründen, wieso sie das Medikament verabreicht.
       
       Die Krankenkassen übernehmen die Behandlung nicht. Eine Therapie kostet
       zwischen fünfeinhalb- und sechstausend Euro.
       
       Jungaberle kennt Ketamin noch aus ihrer Zeit als Notfallärztin. Damals
       setze sie es ein, wenn Patient:innen sehr heftige Verletzungen hatten
       und beruhigt werden mussten. Heute bleibt der Grundprozess im Körper der
       Gleiche: „Wenn ich jemanden habe mit sehr starken Schmerzen und ich spritze
       ihm nur ein bisschen Ketamin, hat er zwar immer noch Schmerzen, aber es
       macht ihm nicht mehr so viel aus“, erklärt Jungaberle.
       
       So ähnlich wirke das Ketamin auch in der Therapie. Die meisten Rezeptoren,
       die empfindlich für das Ketamin sind, liegen im Thalamus. Den Thalamus kann
       man sich wie eine Art Schaltzentrale des Gehirns vorstellen, dort geschieht
       die Bedeutungsgebung. Ketamin verändert hier die Bewertung. Dinge, die
       vorher viel Raum eingenommen haben, erscheinen plötzlich nicht mehr so
       wichtig. „Dann kann das Bewusstsein sich mal in Ruhe mit sich selbst
       beschäftigen“, sagt die Ärztin.
       
       Jangaberles Patient:innen müssen vorher ein Therapieziel definieren.
       Das geschieht in zwei bis drei Vorbereitungssitzungen. Die Klinik nimmt in
       der Regel nur Patient:innen, die bereits eine Psychotherapie hinter sich
       haben. Häufig gehe es um chronische Langzeitdepression, Angstzustände oder
       Traumata aus der Vergangenheit. Nach den Vorbereitungsgesprächen wird den
       Patient:innen in fünf bis sechs je zweistündigen Sitzungen Ketamin
       verabreicht.
       
       Jungaberle führt durch einen der vier Behandlungsräume. Eigentlich möchte
       sie die Beatmungsbeutel zeigen, die in jedem Zimmer für Notfälle liegen
       sollten, die fehlen aber. „Das nervt mich jetzt aber“, sagt Jungaberle und
       ruft nach ihrer Mitarbeiterin, die das beheben soll. Man merkt, wie viel
       ihr an einem professionellen Auftritt liegt.
       
       Nach jeder Einnahme gibt es am Tag danach eine Sitzung, in der das Erlebte
       verarbeitet werden soll. Nach Ende der Ketaminsitzungen werden noch einige
       Wochen lang Therapiesitzungen angehängt.
       
       ## Die Patientin erinnert sich
       
       Zuletzt zeigt Jungaberle den vielleicht wichtigsten Raum in der Ovid
       Clinic, den Integrationsraum. Hier kommen Patient:innen direkt nach
       ihrer Ketaminsitzung hin. Sie können malen oder sich einfach einkuscheln.
       In die Wand sind Liegemöglichkeiten eingesetzt, von der Decke hängt ein
       rotes Yogatuch. „Das ist immer sehr beliebt“, sagt Jungaberle.
       
       Auch Agnieszka Walorska hat sich nach ihren Ketaminsitzungen immer gerne in
       das Yogatuch gewickelt. Die Unternehmerin möchte ihr genaues Alter nicht
       verraten, nur so viel: Sie ist vor dem Mauerfall geboren. Sie hat sich
       bereit erklärt, per Videotelefonat von ihren Erfahrungen in der Ovid Clinic
       zu erzählen. Angefangen habe sie die Therapie, weil sie Angstzustände und
       eine Anpassungsstörung hat, so wurde es ihr mit Anfang zwanzig in einer
       ersten Therapie diagnostiziert.
       
       Sie erinnert sich noch genau, wie das war, als die Substanz ihre Wirkung
       zeigte. Vorher waren da immer noch die Termine, die sie am nächsten Tag
       hatte, die Mails, die sie noch schreiben musste. „Das verschwindet dann
       langsam“, beschreibt Walorska die Wirkung. Die tausend Dinge, die einen
       sonst beschäftigen, seien einfach nicht mehr dagewesen. „Ketamin ist ein
       richtig krasses, intensives Date mit dem eigenen Gehirn“, sagt Walorska.
       
       Walorska hat die Ketaminsitzungen heute hinter sich. Ihr Therapieprozess
       ist damit aber noch nicht abgeschlossen. „Es ist ja nicht magic. Du stehst
       nicht nach der letzten Sitzung auf und sagst ‚Juhu, jetzt bin ich
       geheilt‘“, sagt sie und wirft dabei sarkastisch ihre Arme in die Höhe. „Ich
       habe heute viel mehr Zugang zu meinen Gefühlen, kann sie besser benennen“,
       sagt Walorska.
       
       Trotz berechtigter Kritik wie der von Eiko Fried: Können Psychedelika
       manchen Menschen doch helfen? Es gibt durchaus auch Forscher:innen, die
       daran glauben. Gerhard Gründer zum Beispiel, Professor für Psychiatrie und
       Leiter der Abteilung für Molekulares Neuroimaging am Zentralinstitut für
       Seelische Gesundheit in Mannheim. Er ist auch an der Ovid Clinic beteiligt
       und leitet die sogenannte Episode-Studie, die vom
       Bundesforschungsministerium finanziert wird. Dafür untersuchen Gründer und
       seine Kolleg:innen 144 Patient:innen mit therapieresistenter
       Depression.
       
       Die Teilnehmer:innen erhalten nach drei vorbereitenden Sitzungen
       entweder eine kleine oder größere Menge Psilocybin oder ein aktives
       Placebo. Später bekommen die Patient:innen, die ein Placebo oder die
       vermutlich unwirksame kleinere Dosis erhalten haben, in einer zweiten
       Substanzsitzung auch die hohe Dosis. Nach sechs und zwölf Monaten werden
       die langfristigen Effekte der Behandlung erfasst. Gründer ist nach zwei
       Jahren Arbeit an dem Projekt optimistisch, die Ergebnisse scheinen positiv
       auszufallen.
       
       Für Gründer stellen Psychedelika einen Paradigmenwechsel in der
       Psychotherapie dar. „Hinter einer klassischen Therapie mit Psychopharmaka
       steckt die Konzeption, dass es sich um eine chronische Erkrankung handelt“,
       erklärt Gründer. Und die behandle man eben auch mit einer chronischen
       Therapie. Wie Antidepressiva, jeden Tag, für immer. Die Psychotherapie mit
       Psychedelika verfolge eine gänzlich andere Herangehensweise: „Es handelt
       sich um eine punktuelle, disruptive Therapie.“ Die Patient:innen
       bekommen einige wenige Dosen der Substanz verabreicht.
       
       Gründer hat selbst jahrzehntelang klassische Pharmakologie betrieben und
       Antidepressiva verschrieben. Erst seit wenigen Jahren ist er Anhänger der
       psychedelischen Psychotherapie. Nun plant er schon eine neue Studie mit
       Psilocybin, die, wie er hofft, zu einer Zulassung als Behandlungsmittel
       führen soll. In Deutschland wird das alles voraussichtlich noch Jahre
       dauern, wenn es überhaupt passiert. Aber das ist nicht überall so.
       [14][Gründer rechnet damit], dass die US-amerikanische Arzneimittelbehörde
       MDMA für die Behandlung von PTBS im Jahr 2024 zulassen wird.
       
       25 Sep 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Psychedelische-Substanzen-in-der-Medizin/!5851997
   DIR [2] /Mobilitaet-im-Jahr-2045/!5251236
   DIR [3] /Elon-Musk/!t5204700
   DIR [4] https://www.spiegel.de/panorama/justiz/toedliche-therapie-gericht-verurteilt-drogenarzt-zu-haft-und-berufsverbot-a-694020.html
   DIR [5] https://www.psychotherapeutenkammer-berlin.de/system/files/pm09_behandlung_mit_drogen_ist_kriminell_und_hat_psychotherapie_nichts_zu_tun.pdf
   DIR [6] https://www.nature.com/articles/s41591-023-02565-4
   DIR [7] https://jamanetwork.com/journals/jamapsychiatry/fullarticle/2795625
   DIR [8] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4286320/
   DIR [9] https://journals.sagepub.com/doi/full/10.1177/2050324520974484
   DIR [10] /Psychedelische-Substanzen-in-der-Medizin/!5866862
   DIR [11] https://www.psychiatrist.com/jcp/depression/suicide/ketamine-for-suicidal-ideation/
   DIR [12] https://www.cambridge.org/core/journals/psychological-medicine/article/rapid-antidepressant-effects-of-the-psychedelic-ayahuasca-in-treatmentresistant-depression-a-randomized-placebocontrolled-trial/E67A8A4BBE4F5F14DE8552DB9A0CBC97
   DIR [13] https://www.smh.com.au/politics/federal/it-s-going-to-be-for-people-with-money-psychedelic-treatments-tipped-to-cost-at-least-25-000-at-first-20230313-p5crpd.html
   DIR [14] https://www.pharmazeutische-zeitung.de/besseres-therapieansprechen-mit-mdma-142348/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lorenzo Gavarini
       
       ## TAGS
       
   DIR Zukunft
   DIR wochentaz
   DIR LSD
   DIR Psychotherapie
   DIR Lesestück Recherche und Reportage
   DIR IG
   DIR GNS
   DIR Longread
   DIR Podcast „Vorgelesen“
   DIR Ampel-Koalition
   DIR Wissenschaft
   DIR Wissenschaft
   DIR Psychotherapie
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Deutsche Kliniken in der Krise: Jeden Monat fehlen 500 Millionen
       
       Die geplante Krankenhausreform könnte für viele Kliniken zu spät kommen.
       Die Deutsche Krankenhausgesellschaft fordert wirksame Maßnahmen.
       
   DIR Psychedelische Substanzen in der Medizin: „Würde Behandlung nicht empfehlen“
       
       Können LSD und Psilocybin psychische Erkrankungen heilen? Der Professor für
       klinische Psychologie Eiko Fried hält die Euphorie für verfrüht.
       
   DIR Psychedelische Substanzen in der Medizin: Trip gegen die Depression
       
       Magic Mushrooms zur Behandlung psychischer Erkrankungen? Erste
       Studienergebnisse sind vielversprechend, Forschende skeptisch.
       
   DIR Drogen in der Psychotherapie: Die Persönlichkeit ins Fließen bringen
       
       Können LSD, MDMA und Ketamin bei psychischen Krankheiten helfen? Laut
       aktuellem Forschungsstand: ja. Noch ist die Behandlung illegal.