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       # taz.de -- Landwirte in der Ukraine: Minen mit dem Traktor räumen
       
       > In der Ukraine kommt der Staat mit dem Räumen verminter Felder kaum
       > hinterher. Landwirte helfen sich jetzt selbst – mit ferngesteuerten
       > Traktoren.
       
   IMG Bild: Landwirt Girman vor einem zerstörten Traktor, den er als ferngesteuerten Minenräumer benutzt hatte
       
       Charkiw taz | Das Gebiet Charkiw ist bis heute eine der [1][am stärksten
       verminten Regionen der Ukraine]. Bis September 2022 war fast ein Drittel
       des Gebiets russisch besetzt. Einer der verminten Gürtel liegt zwischen den
       Dörfern Grakowo und Werbowka. Hier vergruben die russischen Streitkräfte
       auf mehr als 25 Kilometern schachbrettartig Tausende von Panzerabwehrminen
       und legten Anti-Personen-Minen aus. Bis heute weiß man nur ungefähr, wie
       viele es sind und wo genau sie sich befinden.
       
       Nur eins weiß man sicher: Betroffen sind [2][die Felder der hiesigen
       Landwirte, deren Flächen nun oft nicht mehr nutzbar sind]. Aussaat und
       Ernte wären viel zu gefährlich. Das führt zu finanziellen Einbußen.
       
       „Leider kann der Staat uns nicht helfen. Deswegen habe ich mein privates
       Geld in die Minenräumung investiert. Mir ist klar, dass dieser
       Entminungsprozess fünf bis zehn Jahre dauern kann. Aber wenn wir es nicht
       tun, tut es niemand“, sagt Oleg Girman, Inhaber zweier Agrarunternehmen.
       
       Girman ist einer der ersten Landwirte der Region, der selber mit der
       [3][Minenräumung] auf seinen Felder begonnen hat. Dazu hat er einen Traktor
       mit einer Fernsteuerung und einer speziellen Walzen-Vorrichtung an der
       Vorderseite ausgerüstet. Damit bearbeitet er jetzt die Felder in
       Jaworskoje.
       
       ## Die fünfte Mine hat ihn erwischt
       
       Girman sagt, dass das ukrainische Ministerkabinett die umliegenden Dörfer
       nicht auf die Liste der Gebiete aufgenommen habe, in denen es
       Kampfhandlungen gab. Deshalb bekämen die dort ansässigen Landwirte keine
       Steuererleichterungen. „Wir müssen den normalen Mindeststeuersatz zahlen,
       können wegen der Minen aber die Felder nicht nutzen. Das heißt: keine
       Einnahmen, Steuerschulden, Beschlagnahmung der Landmaschinen, Pleite. Ich
       sehe gar keinen anderen Ausweg, als meine Felder auf eigene Kosten wieder
       sicher zu machen“, sagt er.
       
       Die Umrüstung des ersten Spezialtraktors zur Minenräumung dauerte etwa eine
       Woche und kostete umgerechnet 35.000 Dollar. Mit Hilfe des ferngesteuerten
       Traktors konnte Girman fast drei Viertel seiner insgesamt 1.000 Hektar
       Ackerland minenfrei machen.
       
       Bislang wurde der Traktor fünfmal durch explodierende Minen beschädigt, die
       letzte Explosion hat ihn endgültig zerstört. Zum Glück gab es keine
       Verletzten. „Viermal ist der Traktor mit der Walze über Minen gefahren. Bei
       den Detonationen wurde die Walze jeweils zerfetzt, wir mussten sie
       austauschen. Beim letzten Mal hat die Walze aber die Mine nicht erwischt,
       und der Traktor ist dann mit einem seiner Räder darüber gerollt“, erklärt
       Girman.
       
       Bisher hat Girman seine eigenen Felder geräumt. Jetzt hätten aber auch
       benachbarte Landwirte Interesse angemeldet. Er hat schon zwei weitere
       T-150-Traktoren gekauft, die er nun umbauen lässt.
       
       ## Alle wollen die Traktoren
       
       Die Arbeiter, die gerade die Fernsteuerung an den Traktor anbauen, sagen,
       dass sie seit Januar quasi durchgearbeitet hätten, so viele neue Anfragen
       gebe es. Von überall kommen Anfragen nach Traktoren.
       
       „Das ist alles ganz einfach“, erklärt der Ingenieur Konstantin Gnida, der
       die Traktoren für die Fernsteuerung umrüstet. „Wir haben zwei elektronisch
       gesteuerte Hydraulikventile installiert. Eins steuert die Lenkung, damit
       man den Traktor wenden kann. Das zweite ist dafür verantwortlich, dass wir
       die Walze heben und senken können.“ Er zeigt auf die Fernbedienung: „Damit
       können wir die Kupplung bedienen und das Gaspedal. Diese wenigen Funktionen
       reichen aus, um arbeiten zu können.“
       
       Eine Woche brauchen der Ingenieur und sein Team ungefähr dafür, einen
       Traktor vollständig umzurüsten. Die Hydraulikkomponenten werden in Italien
       bestellt, die Mikrochips in China. Eine Ausstattung kostet etwa 10.000
       Dollar, mit Autopilot 4.000 Dollar mehr. Eine Walze zur Minenräumung kostet
       etwa 40.000 Hrywnja, umgerechnet etwa 1.000 Euro. Nach jeder Detonation
       muss sie ausgewechselt werden. Hinzu kommen die Kosten für den Traktor
       selbst.
       
       Sobald die gesamte Ausrüstung montiert ist, kann der Traktor mittels
       Fernsteuerung aus einer Entfernung von bis zu zwei Kilometern gesteuert
       werden. An einem Tag können etwa 15 Hektar entmint werden, wenn es keine
       Explosionen oder Schäden an der Ausrüstung gibt.
       
       Mit Oleg Girman fahren wir zu dem Feld mit dem völlig verbrannten
       Spezialtraktor. Zwischen den beiden Kratern der vierten und fünften
       Explosion liegen kaum 50 Meter. Girman zeigt eine russische
       Überblicks-Karte der Minenfelder. Die Karte wandert zwischen Girman und
       anderen Landwirten der Region hin und her. Wahrscheinlich hat das
       ukrainische Militär sie in die Hände bekommen, als sie das Dorf Wolochow
       Jar im September 2022 befreite.
       
       ## Nächstes Frühjahr kann das Feld bestellt werden
       
       „Auf der Karte haben die Russen die Stellen markiert, wo sie welche Minen
       gelegt haben. Aber es ist nicht so einfach, sie über Google Maps zu orten.
       Hier steht zum Beispiel auf Feld Nummer 8: 47 OSM-Minen. Und wo genau? Tja,
       such sie halt! Irgendwo am Feldrand. Auf diesem Feld, auf dem wir stehen,
       waren 52 TM-Minen, aber wir konnten nur etwa 38 finden und entschärfen. Wo
       der Rest ist, ist nicht klar“, sagt Girman.
       
       Ein weiteres Problem ist, dass die russischen Minen aus Kunststoff sind und
       deshalb mit einem Minensuchgerät schwer zu finden.
       
       Girman selbst hat schon hundert Minen von seinen Feldern entfernt. Jetzt
       tut er das nicht mehr, auch weil seine Frau und seine Kinder sich Sorgen um
       ihn machten. Einer seiner Nachbarn sei bei der Minenräumung ums Leben
       gekommen, erzählt er.
       
       Trotz allem, sagt Girman, sei es rentabel, die eigenen Agrarflächen selber
       zu entminen. Die Arbeit, die der Traktor vor seiner Zerstörung geleistet
       habe, haben ihn pro Hektar umgerechnet etwas über 40 Euro gekostet, sagt
       der Unternehmer. Staatliche Organisationen verlangten allein für die
       Vermessung von einem Hektar Land umgerechnet über 1.200 Euro, ohne spätere
       Räumungserfolge zu garantieren. „Jetzt kann ich schon im nächsten Frühjahr
       wieder meine Felder bestellen“, sagt Oleg Girman zufrieden.
       
       Aus dem Russischen Gaby Coldewey
       
       1 Oct 2023
       
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