# taz.de -- Drogendebatte wie von damals: Das Rauschgift-Revival
> Dank Cannabis-Legalisierung und Crack-Welle machen Drogen Schlagzeile wie
> lange nicht. Unser Kolumnist fühlt sich an die frühen 1990er-Jahre
> erinnert.
IMG Bild: Feiert gerade ein finsteres Revival in deutschen Großstädten: Crack
Ein bisschen gewundert habe ich mich ja doch über das Rauschgift im Zug –
auch weil ich das Wort längst für ausgestorben hielt. Gehört habe ich es
vergangene Woche nun gleich zweimal: Erst von einer anderen Bahnpendlerin
kurz vorm Bremer Hauptbahnhof, wo der Staat gerade [1][aggressiv gegen
Crackraucher:innen vorgeht]. Die Droge schlägt hier gerade in großem
Stil ein und zerschießt in rasender Geschwindigkeit Wohnungslose, mit denen
man vor wenigen Monaten noch entspannt plaudern konnte. Die Pendlerin hatte
über derartige Gespräche zwar nichts zu berichten, war sich mit ihrer
Kollegin aber einig darin, dass dringend etwas zu tun sei.
Das andere „Rauschgift“ erklang dann wenig später [2][zu Hause am
Dorfbahnhof], wo zwei Jungs sich darüber unterhielten, dass sie dringend
welches kaufen „müssen“. Warum sie das müssen, habe ich nicht verstanden,
wohl aber, dass vom gerade knietief in Legalisierung und Langeweile
verstrickten Marihuana die Rede war. Vielleicht ja gerade darum
„Rauschgift“: um noch ein bisschen was festzuhalten vom Verruchten und der
Rebellion.
Ich habe beruflich mit den Opfergruppen von Gras und Crack (also beiden)
mehr zu tun als für die Laune gut ist: „Stein“ rauchende Wohnungslose und
„Gras“ rauchenden Student:innen. Die Schnittmenge ist gleich null und auch
sonst sind ihre Geschichten sehr unterschiedlich. Die einen nerven, die
anderen verrecken.
Die brachiale Gewalt, mit der Crack über menschliche Körper und Beziehungen
hinwegfegt, konnte ich mir nicht vorstellen, bis ich sie selbst gesehen
habe. Die Kriminalisierung des Kiffens, die früher ja immer mit dem Gefasel
über „Einstiegsdrogen“ einherging, hat mir die Sache eher unwirklicher
werden lassen, statt mich zu warnen, geschweige denn vorzubereiten auf den
Umgang mit Suchtkranken.
## Miesgemacht vom Sozi-Buch
Nicht dass ich wahnsinnig viel gekifft hätte. Ehrlich gesagt war es sogar
wirklich das pädagogische Abschreckungsprogramm der Schule, das mir die
Sache madig gemacht hat. Da war ich 15 oder so, vielleicht 16. Im Schulbuch
war nach Heroin, Kokain und (fortschrittlicherweise) auch Alkohol die
Wirkung von Haschisch sinngemäß wie folgt beschrieben: „Es wird einem
schwindelig und man hält sich für tiefgründig.“ Als ich das las, hatte ich
keine Lust mehr drauf. Aber das war eben die Schule. Polizei und Politik
waren da weniger clever.
Dass sich die beiden großen Drogenfragen unserer Zeit wie ein parodistisch
überspitzte Revival der 80er und 90er anfühlen, ist nur auf den ersten
Blick lustig. Dass etwa die Staatsgewalt in Bremen und anderswo bis heute
keinen besseren Einfall hatte, als die Leute vom Großstadtbahnhof ins
Nachbarviertel zu vertreiben, ist ein einziges Trauerspiel.
Auf dem Dorf ist die Sache entspannter und natürlich gönne ich den Kids ihr
heimliches Gras hinter der Skaterbahn. Klar tut das nicht allen gut, aber
ich gehe jede Wette ein, dass die Legalisierung ihnen den Spaß verdirbt,
bevor sie zu tiefgründig werden. Wütend macht mich hingegen, wohin sich die
alte Dichotomie von verdientem Feierabendbier und tödlichen
Haschischspritzen auch auf dem Dorf wandelt.
Verdruckst, klammheimlich, aber immerhin wird auch hier die Sehnsucht laut
nach [3][gemeinschaftlich gezogenem Bio-Hanf], während das Dosenbier der
„Asozialen“ für den Untergang von Zivilisation und Volksgesundheit steht.
Es geht bei Suchtkranken nicht um Rausch und nicht um Substanzen, sondern
um Armut. Und es tut fast körperlich weh, solche Banalitäten heute noch
aufschreiben zu müssen. Aber das ist es eben, was in den derzeit wieder
energischer geführten Rauschgiftdebatten zwischen Crackjunkies und frisch
legalisierten Kleingärtner:innen offenbar doch immer wieder unter die
Räder kommt.
6 Oct 2023
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## AUTOREN
DIR Jan-Paul Koopmann
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