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       # taz.de -- Berliner Maßregelvollzug: Hungern für humane Unterbringung
       
       > Die Zustände im Krankenhaus für Maßregelvollzug sind schon länger
       > katastrophal. Um das zu ändern, ist eine Patientin in den Hungerstreik
       > getreten.
       
   IMG Bild: Im Krankenhaus für Maßregelvollzug sind mehr Menschen untergebracht als es Betten gibt
       
       Berlin taz | Hinter hohen Zäunen führt das Krankenhaus für Maßregelvollzug
       (KMV) auf dem Gelände der früheren Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik in
       Reinickendorf ein abgeschottetes Dasein. Die Unterbringungssituation,
       bedingt durch Überbelegung und fehlendes Personal, [1][ist katastrophal],
       auch von den politisch Verantwortlichen wird das nicht geleugnet. Nun regt
       sich in der Patientenschaft Widerstand.
       
       Eine 51-jährige Patientin bestätigte am Sonntag auf telefonische Nachfrage
       der taz, dass sie sich seit nunmehr neun Tagen im unbefristeten
       Hungerstreik befindet. Ihr umfassender Forderungskatalog liegt der taz vor.
       Die Zustände seien kaum noch auszuhalten, sagt Valerie K. (Name geändert) –
       nicht nur für sie. „Es geht hier um uns alle.“ Einige ihrer Mitpatientinnen
       seien schon sehr lange im KMV, sie „leiden wirklich unter diesen
       Bedingungen“.
       
       Valerie K. ist von Beruf Erzieherin und befindet sich laut eigenen Angaben
       seit rund sechs Monaten im Maßregelvollzug. Bis zu ihrer
       Gerichtsverhandlung, bei der ihr Körperverletzung vorgeworfen werde, sei
       sie vorläufig im KMV untergebracht. Der Maßregelvollzug ist eine
       freiheitsentziehende Unterbringung für verurteilte Straftäter, die, etwa
       [2][wegen Drogen- oder Alkoholsucht] oder psychischer Krankheiten, nicht
       oder nur vermindert schuldfähig sind.
       
       Stand August dieses Jahres waren im KMV 613 Patienten untergebracht – es
       gibt aber nur 541 ordnungsbehördlich genehmigte Betten. Wie die
       Senatsverwaltung für Gesundheit der taz seinerzeit mitteilte, ist die
       Folge, dass die Bettenzahl in den Zimmern – eigentlich zumeist Zwei- oder
       Dreibettzimmer – erhöht wurde. Es komme auch vor, dass Patientinnen und
       Patienten „kurzfristig auf einer Matratze übernachten“ müssten.
       
       ## Überbelegung und massiver Personalmangel
       
       Der Präsident der Berliner Ärztekammer, Peter Bobbert, hatte nach einem
       Besuch im KMV Anfang des Jahres moniert, dass die Unterbringung zum Teil
       menschenunwürdig und die Arbeitsbedingungen untragbar seien.
       
       Zentrales Problem sei der mangelnde Platz in den veralteten Gebäuden sowie
       zu wenig Personal. Die Patienten könnten so nicht angemessen versorgt
       werden. Und das, obwohl sie im Schnitt acht Jahre im KMV verblieben. Die
       schwierige Situation habe dazu geführt, dass zahlreiche Mitarbeiter in den
       vergangenen Jahren gekündigt hätten.
       
       Die Überbelegung führt auch immer wieder dazu, dass Verurteilte die
       Maßregel nur mit Verspätung antreten können. Einige mussten wegen
       Platzmangels auch aus der Übergangshaft freigelassen werden.
       
       Im KMV gibt es neben reinen Männerstationen zwei gemischte und eine
       Frauenstation. Zehn Prozent der Untergebrachten sind Frauen. Valerie K.s 15
       Punkte umfassende Forderungen beziehen sich auf die Frauenstation, auf der
       sie sich selbst befindet. Auch dort habe die Überbelegung dazu geführt,
       dass eine Frau statt in einem richtigen Bett auf einer Matratze schlafe und
       eine andere in einem Raum, der eigentlich für die Isolation vorbehalten
       sei, so K. am Sonntag.
       
       ## Forderungskatalog mit 15 Punkten
       
       Die Gesamtsituation sei so, dass es zu wenige Pflegekräfte und Ärzte gebe,
       sagt Valerie K.. Ebenso zu wenige Sport- und Therapieangebote. Außerdem
       hätten die Frauen nicht so oft Hofgang wie die Männer, so die 51-Jährige,
       und fordert eine Gleichbehandlung. Und: täglich frisches Gemüse und reifes
       Obst.
       
       Gefragt, was für sie das Schlimmste sei, sagt K.: mangelnder Respekt des
       Pflegepersonals gegenüber den Patientinnen. Sie empfinde es als
       Machtmissbrauch, wenn die Insassinnen unter Druck gesetzt würden, ihre
       Medikamente zu nehmen. Auch die persönliche Ansprache und der Umgang sei
       oft grenzwertig.
       
       Drastisch sei auch die lange Wartezeit von durchschnittlich zwei Wochen auf
       einen Arzttermin bei akuten Beschwerden. Das KMV sei kein Krankenhaus,
       sondern „ein Krankmachhaus“, bringt es K. auf den Punkt
       
       Nach einer Reaktion auf ihren Hungerstreik gefragt, sagt K., dass der
       Stationsleiter mit ihr ein längeres Gespräch geführt habe. Er habe sich
       dafür spürbar Zeit genommen und versprochen, die Forderungen an die
       Klinikleitung weiterzugeben. Eine Aufstockung des Personals und eine
       Ausweitung der Angebote liege nicht in seinem Ermessen, habe der
       Stationsleiter betont.
       
       Von der Senatsverwaltung für Gesundheit war am Sonntag zum Hungerstreik und
       den Forderungen keine Stellungnahme zu erhalten.
       
       ## Bereits kleine Verbesserungen
       
       Valerie K. will ihren Hungerstreik fortsetzen, wie sie der taz sagt. Es
       gehe ihr gesundheitlich so weit gut. Sie trinke sehr viel und nehme auch
       Vitamintabletten. Auch weil sie hoffe, dass ihr nüchterner Magen die
       Psychopharmaka dann besser vertrage
       
       Kleine Verbesserungen seien im Übrigen bereits zu verzeichnen, sagt K.. So
       seien die Bäder auf der Frauenstation von einem Reinigungsdienst geputzt
       worden – was ungewöhnlich für einen Sonntag sei. Das Personal erweise sich
       seit ein paar Tagen zudem als nett und freundlich. Auch neue Zeitschriften
       seien ausgelegt worden. „Man gibt sich mehr Mühe.“ Ihre Sorge sei aber,
       dass das nicht von langer Dauer ist, so K.
       
       1 Oct 2023
       
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