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       # taz.de -- Die Wahrheit: Gold für den scheuen Elektriker
       
       > Auch in Irland fliest das Handwerk den goldenen Boden. Wenn man mal wen
       > erreicht und der dann auch kommt.
       
       Handwerk hat goldenen Boden, so lautet ein Sprichwort völlig zu Recht. Es
       sind wir ungeschickten Nichthandwerker, die für das Gold bezahlen. Manchmal
       sogar zwei Mal. In Irland sind Handwerker, vor allem Elektriker, eine
       seltene Spezies. Man muss ihnen einiges bieten, um sie ins Haus zu locken –
       neben fürstlicher Bezahlung auch ein opulentes Mahl mit erlesenem Wein zum
       Beispiel. Manchmal reicht aber auch das nicht.
       
       Nachdem wir monatelang auf Paul, den Elektriker, gewartet hatten, erbarmte
       sich ein deutscher Bekannter, unseren Anbau zu verkabeln – gegen Bezahlung,
       versteht sich. Anton, so wollen wir ihn nennen, war zwar kein Elektriker,
       aber er galt als Perfektionist, und schon nach zwei Tagen waren Backofen,
       Steckdosen und Lampen angeschlossen. Das ging lange Zeit gut, und wir waren
       zufrieden.
       
       Eines Tages schaltete ein Gast jedoch Wasserkessel, Backofen und Licht
       gleichzeitig an, was das Stromnetz zum Erliegen brachte. Es nützte auch
       nichts, die Sicherung wieder hineinzudrücken: Sie sprang immer wieder
       heraus. Weil es ein Notfall war, kam der scheue Paul zu Hilfe. Er brachte
       den Nachbarn und einen deutschen Brandmeister und Kommandanten der
       Freiwilligen Feuerwehr aus Bayern mit, der gerade beim Nachbarn zu Besuch
       war.
       
       Paul schraubte die Steckdosen auf und stieß jedes Mal einen überraschten
       Schrei aus. „Die Kabel sind viel zu dünn“, meinte er. Außerdem sei die
       Lüsterklemme falsch, und der Backofen hätte direkt an den Sicherungskasten
       angeschlossen werden müssen, statt das mickrige Kabel unterwegs über zwei
       Steckdosen zu schleifen.
       
       ## Deutsch
       
       „Möglicherweise ist das der deutsche Standard“, meinte der Nachbar. „Der
       Mann, der das verkabelt hat, ist nämlich Deutscher.“ Das löste beim
       Brandmeister einen patriotischen Wutanfall aus. „Das ist kein deutscher
       Standard“, japste er. „Das ist absoluter Pfusch!“ In Deutschland würde so
       etwas niemals abgenommen. Paul pflichtete ihm bei: „Die Versicherung hätte
       sich ins Fäustchen gelacht, wenn das Haus abgebrannt wäre“, sagte er.
       „Keinen Cent hätte sie zahlen müssen.“
       
       Das gehöre alles neu verkabelt, fügte er hinzu: „Sucht euch dafür aber
       einen anderen. Und sollte jemand behaupten, ich hätte den Murks inspiziert,
       werde ich es leugnen. Ich bin nie hier gewesen. Ich kenne euch im Grunde
       gar nicht.“ Wir werden uns anstrengen müssen, um ihn umzustimmen. Ich habe
       schon mal Champagner besorgt und erwäge, dazu ein mit Blattgold umhülltes
       Steak zu servieren.
       
       Früher hatte der Spruch vom goldenen Boden übrigens die gegenteilige
       Bedeutung, er war eine sarkastische Anspielung auf die Armut kleiner
       Handwerksmeister, die zu zahlreichen Aufständen führte, zum Beispiel zum
       schlesischen Weberaufstand von 1844: „Handwerk hat goldenen Boden, sagte
       der Weber, als die Sonne in den leeren Brotbeutel schien.“
       
       2 Oct 2023
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ralf Sotscheck
       
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