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       # taz.de -- orte des wissens: Quallen for future
       
       > Erforscht wertvolle CO2-Speicher: Das Leibniz-Zentrum für Marine
       > Tropenforschung in Bremen
       
       Die Mangrovenqualle (cassiopeia Andromeda) liegt am Boden des Aquariums und
       auf dem Rücken. Andreas Kunzmann taucht seine Hand in das Becken und holt
       ein kleines Exemplar heraus. Die Qualle ist ein Selbstversorger und
       betreibt dank einer Symbiose mit in den Tentakeln sitzenden Algen
       Photosynthese. „Ein Tier, das sich wie eine Pflanze verhält“, fasst
       Kunzmann das Prinzip zusammen. Der Proteinanteil beträgt 50 Prozent der
       Trockenmasse, außerdem enthält die Qualle Vitamine und Antioxidantien. Die
       pflegeleichte Art könnte in Zukunft eine wichtige Eiweißquelle bieten,
       denken sie hier beim Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT) in
       Bremen.
       
       1991 hat Gotthilf Hempel, auch Gründer des Alfred-Wegener-Instituts, das
       ZMT aufgebaut. Im Laufe der Jahre manifestierten sich Mangroven und
       Korallen als Forschungsschwerpunkte, internationale Kooperationen wurden
       ausgebaut: Auf erste Projekte in Brasilien folgte Anfang des neuen
       Jahrtausends ein verstärkter Fokus auf den asiatisch-pazifischen Raum. In
       der letzten Dekade haben die Forschenden ihr Augenmerk zunehmend auf den
       afrikanischen Kontinent gelegt.
       
       Ein wichtiger Schritt war die Aufnahme des Instituts in die
       Leibniz-Gemeinschaft 2009. Neue finanzielle Mittel ermöglichten nun den
       Ausbau der Kapazitäten. In der Folge richtete sich das Zentrum immer
       interdisziplinärer aus und ersetzte 2017 den Begriff „Tropenökologie“ im
       Institutsnamen durch „Tropenforschung“. Inzwischen sind an jedem Projekt
       neben Naturwissenschaftler*innen auch
       Sozialwissenschaftler*innen beteiligt.
       
       Andreas Kunzmann betrachtet nun ein anderes Aquarium. Grüner Kaviar ist der
       Spitzname der Meerestraube (Caulerpa lentillifera), eine Algenart, die
       leicht salzig schmeckt und auf der Zunge zerplatzt. Sie ist für sich
       genommen schon eine „Delikatesse“, funktioniert aber auch im Team:
       integrierte multitrophe Aquakultur heißt es im Fachjargon. Anstelle der oft
       kritisierten Monokultur teilen sich hier mehrere Organismen den Platz und
       verwerten das Futtermittel in verschiedenen Zuständen: Was der Fisch nicht
       aufschnappt, nehmen Algen als gelöste Nährstoffe auf. Muscheln sind für
       kleine Partikel zuständig, Seegurken oder Krebse kümmern sich um die zu
       Boden fallenden Reste. Ein kleines Netz wie in der Natur.
       
       Diese nachhaltige Form der Aquakultur solle laut Kunzmann nur in
       kleinskaliger Form praktiziert werden. Mit solchen Systemen sowie der
       eingangs erwähnten Mangrovenqualle befasst sich die Arbeitsgruppe
       Experimentelle Aquakultur unter Kunzmanns Leitung im Projekt „Food for the
       Future“. Zwei weitere AGs nehmen sich ökonomische und soziologische
       Perspektiven ein.
       
       Zu beachten sind dabei die „Bremer Kriterien“: Schon in der Frühphase des
       Zentrums wurden diese wissenschaftsethischen Grundsätze formuliert. Sie
       beziehen sich auf die Langfristigkeit von Projekten, die Einbindung lokaler
       Akteure oder den uneingeschränkten Daten- und Informationsaustausch der
       Beteiligten. Immer wieder kommen auch Wissenschaftler*innen
       kooperierender Institute aus den tropischen Standorten nach Bremen, um ihre
       Daten auszuwerten. Andere bleiben gleich in der Hansestadt und arbeiten in
       dem internationalen Team aus rund 200 Mitarbeitenden mit. Dies geschieht
       auch mithilfe von Stipendien. Kunzmann ist froh darüber: „Wir sind dort im
       Feld und hier im Labor ein Team.“
       
       Der Tropengürtel ist und bleibt der zentrale Fokus des ZMT: „Das ist, wo
       knapp die Hälfte der Menschheit lebt“, sagt Geschäftsführer Raimund
       Bleischwitz. Zudem gebe es in dieser Klimazone die wertvollsten
       CO2-Speicher. Dort sind dem studierten Ökonomen zufolge mittlerweile
       exzellente Tropenforschungsinstitute entstanden – etwa in Indonesien. Dank
       der langjährigen Kooperationsarbeit sieht er das ZMT in der Rolle eines
       „gefragten und zuverlässigen Vernetzungspartners mit Chance auf gemeinsame
       Perspektivenentwicklung“. Es gelte, die Ökosysteme zu schützen und die
       Menschen vor Ort einzubinden. Sven Bleilefens
       
       2 Oct 2023
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sven Bleilefens
       
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