# taz.de -- Parteitag der britischen Tories: Konservative auf dem Ego-Trip
> Auf ihrem Parteitag in Manchester laufen sich die Konservativen für den
> Wahlkampf warm – mit schrillen Tönen von Tory-Rechten.
IMG Bild: Premierminister Rishi Sunak und seine Frau Akshata Murty am 4. Oktober in Manchester
Manchester taz | Keir Starmer sei eine „Qualle“, ein „Wendehals“: Immer
wieder wird in Manchester auf den Chef [1][der britischen
Labour-Opposition] eingedroschen, aber auch auf dessen Parteikollegen Sadiq
Khan, Londons Bürgermeister.
Es ist ein Indiz, dass der Jahresparteitag der Konservativen, der am
Sonntag in der nordwestenglischen Stadt begann und am Mittwoch mit der
Rede von Partei- und Regierungschef Rishi Sunak zu Ende ging, mehr ist als
nur ein alljährliches Treffen von Tories: Es ist die Eröffnung der
britischen Wahlsaison. Mit aller Wahrscheinlichkeit werden im Vereinigten
Königreich 2024 Wahlen stattfinden, ob im Frühling oder Herbst, ist noch
nicht klar. Die seit 2010 regierenden Konservativen liegen in aktuellen
Umfragen weit hinter Labour.
„Madchester“ nennen einige den Ort der Zusammenkunft im
Tory-Parteitagswahn, Stadt der Verrücktheit. Verrückt ist da einiges.
Da gibt es Liz Truss, die ehemalige Premierministerin, die mit 44 Tagen die
kürzeste Amtszeit in Großbritanniens Geschichte aufweisen kann. Die
Vorgängerin Rishi Sunaks, die auf ihrem „Great British Growth Rally“ zum
Star der Rechten wurde und laut und ohne Selbstkritik Sunak auffordert, die
Steuern zu senken.
Da gibt es Nigel Farage, der 1992 im Streit über die EU die Konservativen
verließ und als Anführer einer Reihe rechtspopulistischer und
EU-feindlicher Parteien die Tories in den Brexit zwang. Der jetzt zum
Parteitag kommt und dem Auftritt von Truss und ihrer „Wachstumskoalition“
von etwa 60 konservativen Abgeordneten beiwohnt.
Am selben Tag geht Farage zur Party des rechten Privatsenders GB News, für
den er derzeit moderiert, und tanzt und singt mit der ehemaligen
Innenministerin Priti Patel zum 1967-Hit „Can’t Take My Eyes Off You“. Will
er etwa wieder den Konservativen beitreten? Das verneint er zwar, doch als
Rishi Sunak danach gefragt wird, sagt dieser, die Tories seien eine „broad
church“, also für alle offen.
## Innenministerin versus Ex-Innenministerin
Da ist Priti Patel, die zu Beginn des Tory-Parteitags abwertende
Bemerkungen zu ihrer Nachfolgerin Suella Braverman macht. Im Vorfeld hatte
Braverman bei einer rechten Denkfabrik in Washington Multikulturalismus für
gescheitert erklärt. Braverman solle bitte ihren Job machen, sagte Patel
nun, und Menschen wie sie selbst seien doch der Beweis des multikulturellen
Erfolgs. Die aktuelle wie die ehemalige Innenministerin haben indische
Wurzeln.
Am Tag darauf wiederholt Braverman ihre Ansichten auf der Parteitagsbühne
nicht nur, sondern setzt noch einen drauf. Angst, des Rassismus beschuldigt
zu werden, sei der Grund, weshalb die Einwanderungspolitik der letzten 30
Jahre gescheitert sei, behauptet sie. Niemand könne ihr erzählen, sie sei
rassistisch. Sie bezeichnet das britische Menschenrechtsgesetz als Gesetz,
das Kriminelle schütze. Dafür erntet sie riesigen und stehenden Beifall
fast aller Anwesenden.
Dann schießt Braverman mit dem Arsenal US-amerikanischer Kulturkrieger,
kritisiert das Knien aus Anteilnahme an die Ermordung George Floyds,
bezeichnet Klimaaktivist:innen als Idioten und nennt den
islamistischen Extremismus die Hauptgefahr für das Land. Linke mit
„Luxusglauben“ erzählten der Allgemeinheit, dass es ihnen an Moral mangele,
schimpft die Innenministerin; Keir Starmer verbreite das Woke-Denken der
Privilegierten über das ganze Land.
Als Andrew Boff, seit 50 Jahren in der Partei und konservatives Mitglied
des Londoner Stadtrats, im Saal hörbar „Irrsinn“ ruft und Bravermans Worte
homophob und transphob nennt, wird er vom Sicherheitspersonal abgeführt.
Im vergangenen Jahr waren es noch Klimaaktivist:innen, die so aus dem Saal
geführt wurden – nun sind es die eigenen Parteifreunde. Sunaks große
Tory-Kirche ist bei Braverman zur evangelikalen Kleinkirche geschrumpft,
zum tobenden Beifall der Mitglieder.
Bravermans Rede folgt einer ebenfalls provokanten Rede am Vortag der
nigerianischstämmigen Handelsministerin Kemi Badenoch, in der sie sich
gegen die „Critical Race“-Theorie ausspricht und das Vereinigte Königreich
zum besten Land der Welt für Schwarze erklärt. Sowohl Badenoch als auch
Braverman werden als potenzielle Nachfolgerinnen Rishi Sunaks gehandelt.
Doch noch stellten sie sich geschlossen hinter ihn. Aber die Wahlen 2024
stehen bevor.
## „Sein Kurs stabilisierte das Schiff“
Viele von der taz befragte Parteimitglieder bestätigen, dass Sunak seine
Sache bis jetzt gut gemacht habe. „Sein Kurs stabilisierte das Schiff“,
sagt Joyce Osborn, 80, aus dem Londoner Außenbezirk Harrow. Rebecca Burns,
36, aus dem ländlichen westenglischen Dorset sieht Sunak als beruhigende
Kraft nach den Tumulten der letzten Jahre unter Boris Johnson und Truss.
Beide sagen, dass die vor Kurzem [2][von Sunak verkündete Verzögerung der
Klimaneutralitätspolitik] positiv in ihren Gemeinden aufgenommen werde, da
das die Menschen entlaste. Sunak müsse nun so weitermachen. Tatsächlich
haben die Tories ihren Rückstand zu Labour binnen der vergangenen Tage laut
dem Meinungsinstitut Opinium auf nur noch 10 Prozentpunkte verringern
können – so wenig wie nie seit Johnsons Rücktritt 2022.
Dem Banker und Anlagenberater Charles Hancock ist jedoch fast der Kragen
geplatzt. Er glaubt, dass Finanzminister Jeremy Hunt und der Premier falsch
liegen, wenn sie keine Steuern senken. Zur entsprechenden Forderung von Liz
Truss sagt auch Lord Robin Hodgson, dass sie ja recht habe. Nur, ergänzt
das 82-jährige Oberhausmitglied: „Sie spricht aus Verbitterung.“
Fast unauffällig signiert derweil die frühere Premierministerin Theresa May
auf dem Parteitag ihre Memoiren, in denen sie über ihre Jahre in der
Politik reflektiert und für eine Politik für die Menschen plädiert. Einst
erklärten viele Tories die Pfarrerstochter für untauglich und verrückt.
Heute erscheint die zwischen 2016 und 2019 regierende May wie ein Relikt
vergangener Zeiten – während sich ihre Tories auf dem Ego-Trip nach rechts
befinden.
4 Oct 2023
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## AUTOREN
DIR Daniel Zylbersztajn-Lewandowski
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