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       # taz.de -- Polizeigewalt in Kolumbien: Vom Aktivismus ins Ministerium
       
       > Bei Protesten 2021 schoss ihm die Polizei in Bogotá ein Auge aus. Jetzt
       > soll der 26-jährige Gareth Sella in Kolumbien Vizeminister für Jugend
       > werden.
       
   IMG Bild: Gareth Sella
       
       Bogotá taz | Die schulterlangen Haare fallen ihm über eine Seite der
       Sonnenbrille. Auf dem linken Auge sieht Gareth Sella kaum noch. Er ist eins
       der prominentesten Gesichter des Kampfs gegen Polizeigewalt in Kolumbien.
       Jetzt wurde der 26-Jährige als Vizeminister für Jugend im neuen
       Gleichstellungsministerium nominiert.
       
       Der 24. Februar 2021 veränderte sein Leben. Seit Monaten waren [1][vor
       allem junge Menschen auf die Straße] gegangen gegen die Regierung des
       rechten Präsident Iván Duque, gegen die Ungerechtigkeit. An dem Tag schoss
       die berüchtigte Anti-Aufstandseinheit der Polizei Sella mit einem
       Gummigeschoss ins Auge. Zum zweiten Jahrestag veröffentlichte er ein
       [2][Video] mit Titel „Der Tod, der mich bewohnt“. Er steht darin an genau
       dem Ort, an dem ihn das Geschoss traf. „Wir Revolutionäre kommen in den
       Himmel“, sagt er. Und: „Die Polizei, der Staat und die Rechte haben mich
       getötet.“ Jetzt wird Gareth Sella Teil dieses Staats.
       
       [3][Präsident Gustavo Petro] erfüllte mit Sellas Nominierung sein
       Versprechen, dass das Vizeministerium jemand von den Jungen leiten würde,
       der bei den Protesten ein Auge verlor. Die Jugend war entscheidend, um den
       ersten linken Präsidenten ins Amt zu bringen.
       
       Sella war Teil der „Blauen Schilder“, die in vorderster Reihe
       Protestierende vor Polizeigewalt schützen wollten. Friedlich, wie Sella
       betont. Das [4][zweifeln die Opposition sowie rechte Medien an], die die
       Nominierung kritisierten. Präsident Gustavo Petro [5][reagierte scharf]:
       „Sie wollen (die Jungen) erniedrigt, gefoltert, im Gefängnis und nicht
       regierend.“
       
       ## Rund ein Fünftel der Jugendlichen ohne Arbeit oder Studium
       
       Sella hat Film und Fernsehen studiert, bezeichnet sich als Künstler und
       politischer Aktivist, der die Menschenrechte verteidigt. Zuletzt filmte er
       für die Stadtverwaltung von Bogotá. „Ich sehe mit dem Herzen, mit der Seele
       und mit der Liebe“, schreibt er auf X (ehemals Twitter). Ein politisches
       Amt hatte er noch nie inne.
       
       Wenige Tage nach den Schüssen auf sich hielt er eine vielbeachtete Rede im
       Kongress. Seitdem hatte er nicht aufgehört, die Polizeigewalt anzuprangern.
       Mindestens 103 Menschen erlitten allein 2021 schwere Augenverletzungen
       während der Proteste, wurden als Terroristïnnen stigmatisiert. Sella ging
       zeitweise nach Mexiko ins Exil, weil er Drohungen erhielt.
       
       Über seine Pläne will Sella derzeit noch nicht öffentlich sprechen, sagte
       er der taz. Als Vizeminister für Jugend soll er sich um eine
       Bevölkerungsgruppe kümmern, die es schwer hat. Keine Arbeit, keine
       Perspektive. 2,64 Millionen Kolumbianerïnnen zwischen 15 und 28 Jahren
       arbeiten weder noch studieren nach aktuellsten [6][Daten der
       Statistikbehörde DANE]. Das ist fast jeder Fünfte in der Altersgruppe, fast
       zwei Drittel davon sind Frauen.
       
       Außerdem treffen der Krieg und die Gewalt durch das organisierte Verbrechen
       die Jungen hart. Das macht sie anfällig, ihr Glück bei bewaffneten Gruppen
       zu suchen. Das Gleichstellungsministerium war ein Wahlversprechen von
       Petro. Die erste Schwarze Vizepräsidentin [7][Francia Márquez] leitet es.
       Wann es seine Arbeit aufnimmt, ist unklar. Erst zwei der fünf
       Vizeministerïnnen sind nominiert.
       
       Wie Sellas Personalie ist das Ministerium hoch symbolisch. Es soll sich um
       Gleichstellung auf allen möglichen Gebieten kümmern: Jugend, Frauen
       (darunter Sexarbeiterinnen), LGBTIQ, Behinderte, Obdachlose, Afros,
       Indigene, Bauernfamilien, Arme. Kolumbien ist eins der ungleichsten Länder
       der Welt. Ungleichheit gilt als eine der Grundursachen des jahrzehntelangen
       bewaffneten Konflikts.
       
       20 Sep 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Proteste-gegen-Kolumbiens-Regierung/!5770706
   DIR [2] https://x.com/GarethSella/status/1629172053604442117?s=20
   DIR [3] /Gustavo-Petro-folgt-auf-Ivan-Duque/!5868273
   DIR [4] https://www.semana.com/semana-tv/vicky-en-semana/articulo/esto-es-una-humillacion-para-las-victimas-del-paro-nacional-el-debate-tras-la-llegada-de-gareth-steven-sella-a-viceministerio-de-gobierno-petro/202355/
   DIR [5] https://x.com/petrogustavo/status/1704243331994112464?s=20
   DIR [6] https://www.larepublica.co/economia/hay-mas-de-1-03-millones-de-jovenes-desocupados-con-tasa-de-desempleo-de-16-6-3704518
   DIR [7] /Praesidentschaftswahl-in-Kolumbien/!5855528
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Katharina Wojczenko
       
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