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       # taz.de -- Homophobe evangelische Christen: Freikirche rät Queers zum Zölibat
       
       > Der Bund freier evangelischer Gemeinden will homofeindliche Leitlinien
       > festlegen. Der Lesben- und Schwulenverband sieht einen Widerspruch zum
       > Grundgesetz.
       
   IMG Bild: Queeren Menschen in den freien Gemeinden wird der Verzicht auf Sex empfohlen
       
       Berlin taz | Jonas Schmidt* ist entsetzt, wenn er hört, wie seine
       ehemaligen Glaubensgeschwister über ihn denken. Als Jugendlicher war er
       jahrelang in einer freien evangelischen Gemeinde. Als er am Ende seiner
       Pubertät erkannte, dass er queer und bisexuell ist, suchte er Hilfe bei
       seinem Pastor. Der erklärte ihm, dass Homosexualität eine freie
       Entscheidung sei, eine Sünde und eine Neigung, die er nicht ausleben dürfe.
       
       „Ich fühlte mich meiner geistigen Heimat beraubt“, sagt Schmidt. „Dabei
       sollte die [1][Liebe Gottes für alle da sein].“ Heute ist er nicht mehr
       Mitglied der Gemeinde.
       
       Wie schwer es queeren Menschen weiterhin in einer der freien evangelischen
       Gemeinden gehen muss, wird klar, wenn man sich die aktuelle Diskussion in
       deren Dachorganisation anschaut. Am Samstag trifft sich der [2][Bund Freier
       evangelischer Gemeinden (FeG) zu seiner Bundestagung] und will dort eine
       homophobe Ausrichtung bekräftigen.
       
       Laut einem internen Entwurf zu den künftigen Leitlinien der Gemeinden, der
       der taz vorliegt, heißt es in einer Empfehlung der Bundesleitung:
       „Homosexuelle Partnerschaften finden aus biblischer Sicht keine
       Zustimmung.“ Weder Traugottesdienste noch Segnungen sollen möglich sein,
       ebenso wenig die Rolle als Gemeindeleitung oder als Pastor oder Pastorin.
       
       Mehr noch: Homosexuellen Menschen wird empfohlen, auf Sexualität zu
       verzichten. So heißt es in Punkt 4 des Leitlinien-Entwurfs: „Aufgrund des
       biblischen Leitbildes der Ehe von Mann und Frau ergibt sich die
       Herausforderung, auf sexuelle Gemeinschaft mit Menschen gleichen
       Geschlechts zu verzichten […]. Eine zölibatäre Lebensform kann allerdings
       nur mit einer individuellen Bejahung gelebt werden.“
       
       ## Lesben- und Schwulenverband kritisiert Diskriminierung
       
       Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) kritisiert den Vorstoß der Gemeinden
       scharf: „Homosexuellen Menschen Enthaltsamkeit und ein zölibatäres Leben zu
       empfehlen widerspricht ihrem Grundrecht auf Selbstbestimmung“, erklärte
       Sarah Ponti, Referentin beim LSVD. Geschlechtliche Identität und sexuelle
       Orientierung gehörten genauso zur Person wie religiöse Identität und
       Orientierung. „Wenn die evangelikalen Kirchen für sich reklamieren,
       Menschen in ihrem Leben zu begleiten und ihnen die Liebe Gottes zu
       vermitteln, müssen sie sich fragen lassen, warum sie das Lesben, Schwulen,
       Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen sowie queeren Menschen
       verweigern.“
       
       Ein Sprecher des Bunds Freier evangelischer Gemeinden (FeG) wies den
       Vorwurf zurück: Man lehne jede Form von Herabwürdigung und Diffamierung ab.
       „Jedem Menschen gilt Gottes Gnade in Jesus Christus, völlig unabhängig von
       persönlichen Merkmalen wie Herkunft, Geschlecht, sexueller Orientierung
       oder sozialer Status.“ Seit Jahrtausenden sei das „biblische Leitbild der
       Ehe zwischen Mann und Frau auf Lebenszeit“ bekannt, aber allen, die von
       diesem Ideal abwichen, werde mit Liebe und Annahme begegnet.
       
       Der Entwurf der Leitlinien zum Umgang mit Homosexualität sei in den letzten
       Monaten in einem Gesprächsprozess diskutiert worden. Auf dem Bundestag der
       freien evangelischen Gemeinden werde nun am Samstag um Rückmeldung des
       obersten Gremiums gebeten.
       
       ## Diskussion um Konversionstherapie
       
       In den Leitlinien bekräftigt die Bundesleitung auch die Inhalte einer
       Broschüre zum Thema Homosexualität aus dem Jahr 2019. [3][Die
       „Orientierungshilfe“ mit dem Titel „Mit Spannungen umgehen“] war bereits
       vor vier Jahren in die Kritik geraten. [4][Das Politikmagazin Panorama
       hatte den freien evangelischen Gemeinden vorgeworfen], sie würden darin die
       sogenannte Konversionstherapie empfehlen, mit der Homosexualität
       vermeintlich geheilt würde. Laut Panorama hieß es in einer Ursprungsversion
       der Broschüre: „Homosexuell geprägte Menschen, die den Versuch einer
       Veränderung ihrer sexuellen Orientierung anstreben, sollten sich einem
       professionell begleiteten therapeutischen Prozess stellen.“
       
       Die Passage wurde laut Panorama später verändert. In der Broschüre heißt es
       heute: „Homosexuell empfindende Menschen, die ihre sexuelle Identität
       jedoch als unsicher oder konflikthaft erleben, können sich einem
       professionell begleiteten Klärungsprozess stellen.“ Das Bewerben, Anbieten
       oder Vermitteln von [5][Konversionsbehandlungen ist seit 2020 in
       Deutschland verboten.]
       
       Der Bund Freier evangelischer Gemeinden (FeG) hatte der Darstellung von
       Panorama damals widersprochen. Auch gegenüber der taz verwies ein Sprecher
       nun erneut auf ein [6][Interview des Präses Ansgar Hörsting von 2019 in der
       WELT], in dem dieser erklärt: „Wir empfehlen keine Konversionstherapie“.
       Hörsting sagt weiter: „Wir gebrauchen diesen Begriff und die damit
       verbundene Vorstellung nicht. Wir stellen lediglich fest, dass ein Mensch,
       der seine sexuelle Orientierung als unsicher und konflikthaft erfährt, das
       nicht im Rahmen unserer Gemeindeseelsorge angehen sollte. Bei diesen Fragen
       braucht man therapeutische Begleitung durch Profis.“
       
       ## Schwuler Baptistenpastor heißt Queers willkommen
       
       Dass der Umgang mit Homosexualität auch in Freikirchen anders laufen kann,
       zeigt das Beispiel von Dennis Sommer. Er ist offen homosexuell – und Pastor
       in der [7][Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Wetter-Grundschöttel in
       Nordrhein-Westfalen], die in einem anderen Verband organisiert ist. „Für
       mich ist das biblische Leitbild und Homosexualität definitiv vereinbar“,
       sagt Sommer.
       
       Sommers Baptistengemeinde versteht sich als [8][„Willkommensgemeinde“, die
       queere Menschen gern in ihren Reihen sieht]. „Ich muss sagen, dass ich
       darunter leide, wenn ich höre, dass Homosexuelle in einer Gemeinde keine
       Leitungsposition innehaben sollen“, sagt Sommer. Er kenne viele Menschen,
       die in der Kirche arbeiteten oder gearbeitet hätten und die an solchen
       Auseinandersetzungen gescheitert seien, die verletzt wurden und das als
       Diskriminierung empfunden hätten.
       
       „Letztendlich beruht die ablehnende Haltung auf einem sehr konservativen
       Schriftverständnis“, sagt Sommer. Er bevorzugt eine
       historisch-kontextualisierte Lesart der Bibel und verweist darauf, dass
       diese an vielen Stellen nicht konsistent ist und beispielsweise
       unterschiedliche Formen des ehelichen Zusammenlebens anführe – etwa auch
       mit mehreren Frauen. „Es bräuchte da eine größere Offenheit mit
       Widersprüchen innerhalb der Bibel umzugehen“, sagt Sommer. Er ist froh, in
       seiner Gemeinde eine Heimat für queere Menschen bieten zu können.
       
       ## Katholiken wollen homosexuelle Paare segnen
       
       Der Bund freier evangelischer Gemeinden ist dagegen mit seiner Haltung
       sogar konservativer als die deutschen Katholiken. Zwar verurteilt der
       Vatikan das Ausleben von Homosexualität bis heute, allerdings gibt es in
       Deutschland mittlerweile eine offenere Haltung bei dem Thema. In einzelnen
       katholischen Bistümern werden [9][homosexuelle Paare gesegnet], etwa in
       Berlin und Essen. Zuletzt hatte auch der Münchner Kardinal Reinhard Marx
       erklärt, dass er damit kein Problem hätte.
       
       Im Frühjahr beschloss zudem die [10][Synodalversammlung zur Reform der
       katholischen Kirche (Synodaler Weg), dass Segensfeiern für homosexuelle
       Paare ermöglicht werden] sollen – zu über Zweidritteln stimmten auch die
       Bischöfe dafür. In der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hingegen
       wird Homosexualität seit Jahren akzeptiert. Es gibt homosexuelle
       Pastorinnen und Pastoren, die auch in Pfarrhäusern zusammenleben.
       
       [11][Freikirchen] sind nicht Mitglieder der Landeskirchen, die in der EKD
       zusammengeschlossen sind. Sie erhalten keine Einnahmen aus Kirchensteuern
       und sind in Glaubensfragen unabhängig. In Deutschland gibt es Baptisten,
       Methodisten, Mennoniten, Pfingstler und viele andere. Sie sind in
       zahlreichen unabhängigen Verbände organisiert. Zum Bund freier
       evangelischer Gemeinden (FeG) gehören nach eigenen Angaben 503 Gemeinden
       mit insgesamt über 43.000 Mitgliedern.
       
       *Name von der Redaktion geändert
       
       22 Sep 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Ein-Jahr-OutInChurch/!5908186
   DIR [2] https://feg.de/tagesordnung-feg-bundestag2023/
   DIR [3] https://downloads.feg.de/2019_Mit_Spannungen_umgehen_Homosexualitaet.pdf
   DIR [4] https://daserste.ndr.de/panorama/aktuell/Freikirchenbund-empfiehlt-Schwulenheilung,schwulenheiler174.html
   DIR [5] /Bundestag-schuetzt-Homosexuelle/!5683595
   DIR [6] https://www.welt.de/regionales/nrw/article190005193/Umpolungstherapien-Wir-bezeichnen-Homosexualitaet-nicht-als-Krankheit.html?wtrid=onsite.onsitesearch
   DIR [7] https://efg-grundschoettel.de/
   DIR [8] https://www.zwischenraum.net/gemeinden/
   DIR [9] /Katholikinnen-Treffen-in-Frankfurt/!5921082
   DIR [10] /Katholikinnen-Treffen-in-Frankfurt/!5921082
   DIR [11] /Ausstieg-bei-den-Evangelikalen/!5786685
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jean-Philipp Baeck
       
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