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       # taz.de -- Angriffskrieg der Hamas gegen Israel: Sieg des Terrors, vorerst
       
       > Der brutale Angriff der Hamas ist eine Zäsur. Doch er wird Israel trotz
       > der bitteren Verluste weder lähmen noch nachhaltig schwächen.
       
   IMG Bild: Es sind dunkle Tage für Israel – aber es ist nicht sein Ende
       
       Es war ein Desaster für den Geheimdienst, die Politik, das Militär, die
       Gesellschaft, den Staat. An einem Samstag gegen 14 Uhr griffen ohne jede
       Vorwarnung mehr als 200 ägyptische Flugzeuge im Süden israelische
       Stellungen an, dazu feuerten 2.000 Geschütze. Im Norden drangen 700
       syrische Panzer vor.
       
       Vor exakt 50 Jahren, am 6. Oktober 1973, am höchsten jüdischen Feiertag
       Jom Kippur, nahmen Ägypten und Syrien Israel so in die Zange. [1][Im
       Jom-Kippur-Krieg schien es zeitweise so, als könnte Israel von der
       Landkarte verschwinden]. Auch wenn Israel am Ende wieder die Oberhand
       gewann: Der Krieg zerstörte den Nimbus von der Unbesiegbarkeit des
       jüdischen Staats und forderte Tausende Menschenleben. Was folgte, war ein
       nationales Trauma – wie hatte das nur passieren können? Israel knabbert bis
       heute an dieser Frage.
       
       Genau 50 Jahre später greift die islamistische Hamas aus dem Gazastreifen
       im Morgengrauen des Schabbats am Ende des Laubhüttenfests an. Sie setzt
       sich in Städten, Dörfern und Kibbuzim fest, tötet Hunderte Zivilisten,
       nimmt andere als Geiseln und verschleppt sie in den Gazastreifen. Etwa
       3.000 Raketen werden wahllos auf israelisches Territorium abgefeuert und
       treffen Autos, Wohngebäude, Straßen und ein Krankenhaus.
       
       Das hat eine andere Qualität als die Scharmützel, an die sich die Welt
       gewöhnt hat. [2][Der Angriffskrieg der Hamas gegen Israel ist eine Zäsur].
       Wie schon vor 50 Jahren wird Israel von diesem Krieg vollkommen überrascht.
       Die Geheimdienste haben offensichtlich komplett versagt – oder die Politik
       hat ihre Warnungen überhört.
       
       ## Unterschiede zum Jom-Kippur-Krieg
       
       Die Analogien zwischen Jom Kippur 1973 und Simchat Tora 2023 haben freilich
       Grenzen. Damals griffen reguläre Armeen benachbarter Staaten Israel an. Die
       Attacken begannen in Gebieten, die nicht zum israelischen Kernland zählten,
       sondern besetzte Gebiete waren. Heute ist es eine Terrortruppe, die Israel
       direkt angreift. Damals war es ein Krieg zwischen Soldaten. Heute sind der
       Hamas Zivilisten ein ebenso lohnendes Ziel ihres Terrors. Damals handelte
       es sich auch um einen Stellvertreterkrieg zwischen den USA und der
       Sowjetunion. Und damals ging es um die Zukunft des Landes Israel. So brutal
       die Hamas auch heute gegen israelische Bürger vorgeht – die Existenz des
       Staates wird sie nicht infrage stellen können.
       
       Für eine Bewertung des Kriegs ist es noch zu früh. Aber egal, wie die
       israelische Reaktion ausfällt (und sie wird furchtbar ausfallen): Die Hamas
       hat einen glänzenden Sieg eingefahren. Sie hat gezeigt, dass sie den
       scheinbar übermächtigen Gegner für 24 Stunden in die Knie zwingen kann.
       [3][In einer Weltregion, in der die Propaganda von Ehre, Religion und
       Nation eine der wichtigsten Währungen] ist, ist so etwas Gold wert. Viele
       radikale Muslime werden sich im Kampf gegen Israel ermutigt sehen.
       
       Mit der Hamas hat auch ihre Schutzmacht [4][Iran] gewonnen, deren Ziel es
       ist, eine Kooperation zwischen den arabischen Staaten und Israel
       zunichtezumachen. Insofern ist dieser Konflikt wieder ein
       Stellvertreterkrieg, diesmal ist Iran die im Hintergrund agierende Macht.
       Es ist offen, ob die [5][vorsichtige Annäherung] zwischen arabischen
       Staaten und Israel nun eine Fortsetzung finden wird. Das hängt auch davon
       ab, wie die militärische Reaktion Israels im Gazastreifen ausfällt. Wird
       sie in der arabischen Welt als zu brutal empfunden, käme jede mit Israel
       kooperierende Regierung in arge Legitimationsschwierigkeiten gegenüber der
       eigenen Bevölkerung. Dabei hat Israel zweifellos jedes Recht zur
       Selbstverteidigung.
       
       ## Für islamistische Propaganda der Hamas ein Erfolg
       
       In Israel wird der Überfall eine Debatte darüber auslösen, wie dies
       unbemerkt vorbereitet werden konnte und wie es den Terroristen gelingen
       konnte, die Hightech-Sperranlagen rund um den Gazastreifen zu überwinden.
       Dass dies unter der rechten Regierung von Benjamin Netanjahu geschehen
       konnte, wirft kein gutes Licht auf sie.
       
       Vor 50 Jahren war das Versagen der Verantwortlichen vor Beginn des
       Jom-Kippur-Kriegs Auslöser für das Zerbröckeln der Macht. Damals galt
       Ministerpräsidentin Golda Meir von der Arbeitspartei als eine der
       Schuldigen an dem Desaster. Vier Jahre später verlor die Linke in Israel
       zum ersten Mal überhaupt die Parlamentswahlen. Der rechte Likud kam
       erstmals an die Regierung.
       
       Im Jahr 2023 muss es nicht zum Machtwechsel kommen. Aber es ist möglich.
       Zunächst aber werden die Israelis durch den Krieg geeint werden,
       möglicherweise mit einer nationalen Einheitsregierung aus liberalen und
       rechtskonservativen Kräften an der Spitze. Wenn die Hamas geglaubt haben
       sollte, der Streit um die Justizreform könnte Israel lähmen, dann
       zumindest hat sie sich getäuscht.
       
       8 Oct 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Klaus Hillenbrand
       
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