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       # taz.de -- Protest gegen Gentrifizierung: Singen gegen Amazon
       
       > Eine Protest-Oper arbeitet sich am Amazon-Tower ab und zeigt, dass das
       > widerständige Berlin noch nicht Geschichte ist.
       
   IMG Bild: Aufwändige Inszenierung gegen die Übermacht des Turms
       
       Berlin taz | „Unser Kiez könnte schöner sein – aber ist er nicht“, singen
       zwei Jugendliche auf dem namenlosen Platz unterhalb der Warschauer Brücke.
       Am frühen Sonntagabend hat sich diese „Lücke zwischen nichts und gar
       nichts“ verwandelt in eine improvisierte Bühne: Aufgeführt wird das
       Straßentheater-Spektakel „Der Turm stürzt ein“.
       
       Hunderte Schaulustige säumen die umliegenden Fußgängerbrücken und verfolgen
       die zweistündige Protest-Performance von über 40 Akteur*innen der
       Lauratibor-Protestoper. Diese hatte sich 2019 gegründet, um gegen die
       Gentrifizierung zwischen Lausitzer und Ratiborstraße in Kreuzberg
       künstlerisch zu intervenieren. Zuletzt war sie im Sommer des vergangenen
       Jahres [1][auf den Straßen zu sehen].
       
       Dieses Mal geht es „gegen Big Tech, Verdrängung, Überwachung, Ausbeutung
       und vor allem gegen den bevorstehenden Einzug des Megakonzerns Amazon“, wie
       das Kollektiv in der Ankündigung schreibt.
       
       Der [2][Edge East Side Tower] nebenan ist fast fertig gestellt und soll
       noch in diesem Jahr eingeweiht werden. Das Bürogebäude gehört mit 142
       Metern zu den höchsten Berlins. Für die Protestgruppe ist der
       [3][Amazon-Tower die Zuspitzung vieler Krisen]: „explodierende Mieten und
       Wohnungslosigkeit, Verdrängung von Freiräumen und Kiezkultur, Greenwashing
       beim Bau des Turms, die Weiterentwicklung der digitalen Überwachung,
       Ausbeutung von Arbeitskräften in den Lagerhallen und im Versand,
       Monopolisierung, Steuervermeidung und die massive Zerstörung der Natur.“
       
       ## Innovative und aufwändige Inszenierung
       
       Und so wettert auch der Moderator zu Beginn des Stückes: „Dieser Turm ist
       kein Turm, dieser Turm ist eine Maschine zur Umverteilung des Reichtums von
       unten nach oben, dieser Turm organisiert deine Überwachung.“ Schließlich
       sagt er gar: „Dieser Turm ist eine Kriegserklärung!“
       
       Der Inhalt des Protestmusicals ist simpel: Drei Außerirdische kommen auf
       die Erde, weil sie verhindern wollen, dass die Menschen nicht nur die Erde,
       sondern auch das Weltall erobern und ausbeuten. Um dieses etwas platte
       Stilmittel entspannt sich ein Spektakel, das es in sich hat.
       
       Innovativ und aufwendig zeichnet das Kollektiv in sechs Szenen ein
       dystopisches Bild von Ausbeutung, Überwachung und Verdrängung. Begleitet
       wird das allen vom – selbst geschriebenen – Soundtrack des zwölfköpfigen
       „Profit-Orchesters“. Insgesamt haben sich über 40 Personen in diesem
       Mehrgenerationen-Theater aus dem Lauratibor-Umfeld zusammengetan. Gemeinsam
       haben sie Musik, Texte und Choreografien entwickelt und wochenlang geprobt.
       
       Die Akteur*innen tragen Kostüme aus Müll und Glitzer, Bengalos und
       Luftballons kommen zum Einsatz, das mehrseitige Textheft wird an
       Interessierte verteilt und sogar das Wetter spielt mit, während der Chor in
       einer „[4][Anhimmelung der Verpimmelung]“ den Turm anbetet.
       
       ## Abgesang auf das alternative Berlin
       
       „Konsum ist eine der effizientesten Waffen gegen die Intelligenz des
       Menschen“, lernen die Außerirdischen, während das Profit-Orchester eine
       Konsumpolka spielt: „Wie kommt es, dass die Menschen sich das alles
       gefallen lassen?“, fragt einer der Außerirdischen. Ein Engel antwortet:
       „Sie arbeiten, damit eines Tages alles gut wird. Obwohl es immer so
       weitergeht, glauben sie daran. Sie arbeiten hart. Und das ist dann der
       Fortschritt.“
       
       Weiter geht es mit einer vorgetragenen Klage: „Kapital vertreibt das Leben
       aus der Stadt, um als Investment immerzu zu wachsen in den Himmel. (…) Die
       Stadt der Reichen, der Konzerne und der Spekulation: Beschissen.
       Lächerlich. Brutal. Danke für nichts, auch dir, Senat (…) Sie sagen
       Wachstum, Wirtschaftsstandort, wir sagen Verdrängung und Enteignung unsrer
       Stadt! Wir sagen [5][Mietenwahnsinn]! Wir sagen Amazon, fuck off!“
       Schließlich stellen die Protagonist*innen fest: „Shit, diese Stadt ist
       ja vorbei. Oh no!“
       
       Hier setzt mal ein Mikro aus, da verheddert sich ein Ballon, dort lässt ein
       Betrunkener, der auch mal im Rampenlicht stehen möchte, eine Flasche
       fallen. Doch insgesamt ist die Performance ein opulenter Rundumschlag gegen
       den Kapitalismus und alles, was in dieser Stadt falsch läuft. Ein
       verzweifeltes Aufbäumen gegen die Zerstörung durch die Dampfwalze des
       großen Geldes. Das düstere Spektakel wirkt wie ein Abgesang auf das
       alternative, widerständige Berlin der 1990er Jahre. Der Kampf ist bereits
       verloren. Oder doch nicht?
       
       ## Der Protest geht weiter
       
       „Der Turm steht, das ist klar“, sagt eine der Organisatorinnen zur taz.
       „Aber einfach aufhören ist für mich keine Option.“ Sie befürchtet, dass
       sich die 3.400 Amazon-Angestellten, die hier einmal arbeiten werden,
       hauptsächlich damit beschäftigen werden, „wie man KIs weiterentwickelt und
       wie demokratische Grundstrukturen noch weiter abgebaut werden und in unser
       aller Leben immer noch mehr eingegriffen wird, indem wir auch immer weiter
       individualisiert werden und nachverfolgbar werden“. Es sei wichtig, dagegen
       ein Zeichen zu setzen.
       
       Und ihre Kollegin ergänzt: „Ich habe den Eindruck, viele wissen: [6][Amazon
       ist irgendwie nicht okay]. Aber die Dimensionen sind vielen Menschen nicht
       bewusst. Und ich finde es wichtig, dass die Menschen aufwachen.“ Ihnen geht
       es um den Einsatz für soziale Strukturen, bezahlbare Arbeits- und
       Wohnräume, faire Arbeitsverhältnisse. Das Kollektiv schreibt: „Wir bringen
       den Gedankenturm, die ewige Behauptung der Tech-Konzerne, es gebe keine
       Alternative zu ihrem digitalen Totalitarismus, zum Einsturz!“
       
       Und so versucht sich die Performance am Ende noch an einem hoffnungsvollen
       Ausblick: Angekündigt wird eine große Protestaktion am 24. November, dem
       „Black Friday“, gegen den Amazon-Tower. Verwiesen wird auch auf das Bündnis
       [7][Berlin vs Amazon]. Dieses hat 14 Forderungen aufgestellt, die erfüllt
       werden müssen, damit Amazon in Berlin willkommen ist, darunter die
       Vergesellschaftung und Zerschlagung des Konzerns.
       
       Um 19 Uhr muss das Spektakel zu Ende sein, denn direkt danach strömen die
       Besucher*innen aus der Mehrzweckhalle zwischen Ostbahnhof und
       Warschauer Straße, nachdem sie dort den Cirque du Soleil bewundern konnten.
       Welch eine Ironie: Der Gründer des Cirque du Soleil heißt Guy Laliberté
       („Die Freiheit“) und begann als Straßenkünstler. Und nun tritt der Zirkus
       in dieser gesichtslosen Halle auf, die einem Ufo ähnelt. Vielleicht ist das
       Stilmittel mit den Außerirdischen doch nicht so platt.
       
       9 Oct 2023
       
       ## LINKS
       
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   DIR [7] https://berlinvsamazon.noblogs.org/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Darius Ossami
       
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