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       # taz.de -- E-Mobilität in Benin: Akku wechseln statt laden
       
       > In Benin können „Zem“-Fahrer ihre Motorräder gegen elektrische tauschen.
       > Das klingt verlockend, könnte aber von einem Konzern abhängig machen.
       
   IMG Bild: Gildas Attachi betont: E-Mobilität schafft Arbeitsplätze und die grüne Wende
       
       Cotonou taz | Sie sind fast geräuschlos, die mehr als 5.000 Roller und
       Motorräder, die Spiro seit Ende vergangenen Jahres im westafrikanischen
       Benin verkauft und verpachtet hat. Es ist das erste Unternehmen, das mit
       Elektrorollern und E-Motorrädern an einen äußerst lukrativen Markt geht.
       
       Bis heute dominieren motorisierte Zweiräder den Verkehr in dem
       13-Millionen-Einwohner:innen-Land. Weder in der Wirtschaftsmetropole
       Cotonou noch in kleineren Städten und erst recht nicht in ländlichen
       Regionen hat sich je ein öffentliches Nahverkehrssystem entwickelt.
       
       Allein für Cotonou wird geschätzt, dass es mehr als 250.000 Zémidjans –
       häufig nur Zem genannt – gibt. Das Wort für die äußerst populären
       Zweiradtaxen stammt aus der Sprache Fon und bedeutet etwa: „bringe mich
       schnell irgendwohin“. Motorräder und Roller, die ausschließlich privat
       genutzt werden, sind nicht eingerechnet.
       
       Im Firmensitz von Spiro, das bis vor kurzem noch Mauto hieß, betont Gildas
       Attachi, Leiter der Marketing- und Kommunikationsabteilung, man sei Afrikas
       Marktführer. Neben Togo und Benin sollen die grünen Zweiräder künftig auch
       in Kenia, Ruanda und Uganda unterwegs sein. Der Preis sei „zauberhaft“ und
       E-Mobilität zentral für [1][die „grüne Wende“].
       
       ## In kleinen Geschäften können Batterien getauscht werden
       
       Je nach Größe kosten die Roller und Motorräder zwischen umgerechnet 900 und
       1.200 Euro. Die herkömmlichen Benziner-Modelle fangen bei rund 600 Euro an.
       Auch sie lassen sich weiterhin überall gebraucht und neu kaufen.
       
       Was [2][auf dem Kontinent] vielerorts bisher gegen E-Mobilität gesprochen
       hat, sind Stromausfälle und starke Stromschwankungen. Berüchtigt dafür ist
       vor allem Nachbarland Nigeria, wo ohne Dieselgenerator eine kontinuierliche
       Versorgung undenkbar ist. Spiro hat in Benin ein Netzwerk von bisher 150
       Ladestationen – Swaping Points – aufgebaut: In kleinen Geschäften können
       Nutzer:innen ihre Batterien tauschen. Lade-Wartezeiten fallen weg.
       
       Auch Gabin Bessanh ist umgestiegen. Der Zem-Fahrer sitzt auf seinem grünen
       Motorrad, trägt einen blauen Helm. An einer viel befahrenen Kreuzung mitten
       in Cotonou rauschen innerhalb weniger Minuten Dutzende Roller und
       Motorräder an ihm vorbei. Der Lärmpegel ist hoch, sein Gefährt dagegen
       leise. Der 41-Jährige sagt: „Das ist doch viel besser für die Umwelt. Auch
       die Abgase fallen nicht mehr an.“
       
       Trotzdem gibt er zu, dass es anfangs gewöhnungsbedürftig war. Die
       elektronische Variante war völlig unbekannt. An guten Tagen verdient er
       rund 9 Euro, was ausreiche, um die Familie zu versorgen, so Bessanh. Der
       Mindestlohn in Benin liegt bei 80 Euro. Die große Mehrheit arbeitet jedoch
       im informellen Sektor und ist nicht angestellt.
       
       ## Die alten Motorräder werden recycelt
       
       Zusätzlich muss Bessanh allerdings täglich knapp 5 Euro für die Pachtgebühr
       erwirtschaften. Damit hat er Anspruch auf geladene Batterien, mit denen er
       laut Spiro jeden Tag rund 200 Kilometer weit fahren darf, eine
       Vollkaskoversicherung, die Gebühr für die Zulassung. Gleichzeitig fallen
       beispielsweise Ausgaben für den Ölwechsel weg. Der Vertrag gilt für 150.000
       gefahrene Kilometer.
       
       Spiro will Ernst machen mit seinem Wechsel. Vor einer der Geschäftsstellen
       stehen nicht nur neue, grüne Zweiräder, sondern auf einem breiten, sandigen
       Mittelstreifen auch eng nebeneinander alte Benzin-Modelle. Teil des
       Konzepts ist es, dass Zem-Fahrer – Frauen üben den Beruf bis auf wenige
       Ausnahmen nicht aus – ihre alten Fahrzeuge abgeben und so in das
       Pachtmodell einsteigen.
       
       Die alten Maschinen werden nach Angaben des Unternehmens auseinandergebaut,
       Brauchbares wird recycelt und der Rest verschrottet. Wer bisher kein
       eigenes Motorrad hatte, zahlt täglich knapp 1,50 Euro zusätzlich.
       
       ## Kritik an Abhängigkeit vom Unternehmen
       
       Genau das ist es, was Zem-Fahrer Vincent Ahoussa kritisiert. Seit 2005
       verdient er mit dem Motorrad seinen Lebensunterhalt, sein aktuelles hat er
       2015 gekauft. Das abzugeben kommt für ihn nicht infrage. „Selbst wenn das
       neue fast kostenlos wäre: Ich denke nicht daran, mich von meinem zu
       trennen“, sagt der 39-Jährige. Er kritisiert die neu geschaffene
       Abhängigkeit. „Man ist komplett in der Hand des Unternehmens.“ Ihm fehlen
       auch Erfahrungswerte, wie lange die E-Motorräder halten.
       
       Die sollen künftig auch in Benin hergestellt werden, und zwar im neuen
       Industriegebiet Glo-Djigbé, das rund 45 Kilometer nördlich von Cotonou
       liegt. Es ist die Rede von bis zu 600 Motorrädern pro Tag.
       
       Für Benin als Standort spricht die wirtschaftsfreundliche Regierung von
       Patrice Talon, sagt Gildas Attachi. „Das Land will die Industrialisierung.“
       Die Kontakte dahin sind gut. Der bisherige Unternehmenschef Shegun Adjadi
       Bakari ist seit Juni Benins neuer Außenminister.
       
       10 Oct 2023
       
       ## LINKS
       
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