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       # taz.de -- Architekt Zvi Hecker gestorben: Zur Not mit dem Brecheisen
       
       > Zvi Hecker baute für den jungen Staat Israel eine wilde, moderne
       > Architektur. Auch in Deutschland blieb er so undogmatisch. Ein Nachruf.
       
   IMG Bild: Da war er schon von Israel nach Berlin übergesiedelt: Zvi Hecker, 1997
       
       Es hätte Zvi Hecker gefallen, dass ein Nachruf auf ihn mit dieser Anekdote
       beginnt. Die Geschichte spielt im Jahr 1966. Da ist Zvi Hecker gerade 35
       Jahre alt, aber in Israel bereits ein gut beschäftigter Architekt. Er
       arbeitet mit seinem ehemaligen Lehrer Alfred Neumann an [1][radikal
       modernen Entwürfen, Ausdruck für einen neuen Staat im Aufbruch]. Sie bauen
       ein Rathaus in Bat Yam, das wie eine wilde Blume aus Beton wirkt. In die
       harsche Negev-Wüste stellen sie eine ebenso harsche Militärakademie, die
       aussieht wie eine gigantische Betonkommode mit allerlei Schubladen und
       Klappen – daneben den Solitär einer Synagoge, die wie aus kristallinem
       Stein geschnitten scheint. Es ist eine Zeit des Neuen, in der Radikales
       möglich ist.
       
       Die Anekdote handelt von einem solchen radikalen Bauwerk, dem
       Luftfahrtlabor für die Technion University in Haifa. Das Labor entwerfen
       Neumann und Hecker als großen, schroffen Riegel, der sich kraftvoll gegen
       den Hang schiebt. Streit gibt es zwischen der Universität und den
       Architekten von Anfang an. Zudem lässt 1966 die Bauherrin der steigenden
       Kosten wegen billigere Dachfenster einsetzen. Die Architekten hatten aber
       eigene Fenster entworfen, sie sollten Tageslicht in die Laborräume darunter
       reflektieren. Die billigere, nicht-reflektierende Variante ignorierte somit
       eine zentrale Qualität des gesamten Entwurfs.
       
       Als aller Widerspruch nichts nützt, steigt Hecker mit seinem Mitarbeiter
       Henry Hutter in der Nacht vom 31. Oktober ins Auto. Sie fahren nach Haifa,
       klettern aufs Dach der Baustelle und zerstören mit zwei Brecheisen alle 28
       der günstigen Fensterrahmen so gründlich, dass sie nicht zu reparieren
       sind. Am nächsten Tag zeigen sich Hutter und Hecker selbst an – nicht, ohne
       vorher die Presse zu informieren. In den israelischen Medien wird daraus
       die „Technion Affäre“, die Universität lenkt zähneknirschend ein und die
       ursprünglich geplanten Fenster werden eingebaut.
       
       Die Anekdote zeigt, mit welcher Entschlossenheit, Freude, Leidenschaft –
       vielleicht auch etwas Starrsinn – Zvi seine Entwürfe durchsetzen konnte.
       Kompromisse waren ihm verhasst. In Interviews sagte er gelegentlich, gute
       Architektur könne nicht legal sein, oder dass er schon seit 40 Jahren gegen
       den Willen seiner Bauherren arbeite. Dazu sein typisches, verschmitztes,
       leises Lächeln.
       
       ## Die usbekische Sonnenblume
       
       Was für ein Leben: Geboren 1931 in Krakau, vor dem deutschen Einmarsch
       geflohen, in Samarkand, Usbekistan, aufgewachsen. Dort lernte er zeichnen
       und Sonnenblumenkerne als Knabberei zu schätzen. Sie sollten später immer
       wieder in seinen Entwürfen auftauchen. Nach Kriegsende kehrt die Familie
       kurz nach Krakau zurück, findet dort aber kein Leben mehr und emigriert
       nach Israel. Architekturdiplom in Haifa, Kunststudium in Tel Aviv, Arbeit
       im Büro von Alfred Neumann. Nach dessen Tod 1968 [2][arbeitet Hecker
       alleine an weiteren spektakulären Großprojekten]: die modulare
       Großwohnsiedlung Ramot Polin bei Jerusalem oder das Palmach Museum of
       History in Tel Aviv.
       
       Dann sein wohl radikalstes Projekt, das Spiral Apartment House in den
       Hügeln über Tel Aviv. Hecker baut eine skeletthafte Struktur aus weiß
       verputzten Räumen, die sich wie eine Wendeltreppe spiralförmig in die Höhe
       schraubt. Jahrelang ist Hecker selbst täglich auf der Baustelle, er wohnt
       gegenüber und baut vieles selbst oder begeistert die Handwerker, Neues
       auszuprobieren. Diese dynamisch unfertige Bauskulptur hat Kraft, wie ein
       Strudel zieht sie einen in ihren Bann.
       
       Als Hecker 1991 den Wettbewerb für die Heinz-Galinski-Schule der Jüdischen
       Gemeinde zu Berlin gewinnt, ist ihm sofort klar, dass er nahe an der
       Baustelle sein muss. Er zieht nach Berlin und eröffnet im Trubel der gerade
       wiedervereinten Stadt ein kleines Büro im Prenzlauer Berg. Die Schule wird
       ein Meisterwerk. Schaut man von der Vogelperspektive darauf, so legen sich
       große verbogene Dreiecke spiralförmig um ein offenes Zentrum. Zvi Hecker
       ist oft auf der Baustelle, wieder muss er viele Bedenken überwinden, zum
       Brecheisen muss er allerdings nicht mehr greifen.
       
       ## In Berlin regieren die streng gerasterten Natursteinfassaden
       
       Viel baut er nicht mehr, obwohl er immer wieder an Wettbewerben teilnimmt,
       vor allem in Berlin. Aber Berlin interessiert sich nicht für seine Art von
       intensiver Künstlerarchitektur, es regieren die streng gerasterten
       Natursteinfassaden. Doch er entwirft für andere Orte und alles, was er dann
       auch baut, hat diese ihm eigene Kraft: einen wunderbar stillen Gedenkort
       für die zerstörte Synagoge in der Berliner Lindenstraße zum Beispiel, das
       jüdische Gemeindezentrum in Duisburg oder zuletzt die
       Königin-Máxima-Kaserne der niederländischen Polizei in Schiphol.
       
       Ansonsten malte er, nahm mit seiner Kunst an Ausstellungen teil, in
       Budapest oder Prag. Seine Bilder sind expressive Farbstudien, aus denen ab
       und zu architektonische Formen auftauchen. Und er plante bis zuletzt
       private Wohnhäuser in Italien und Polen. Am vergangenen Sonntag ist Zvi
       Tadeusz Hecker in seiner Berliner Wohnung verstorben.
       
       Hoffentlich muss er sich seine Wolke [3][nicht mit Le Corbusier oder einem
       anderen dogmatischen Modernen] teilen – Zvi Hecker würde sie ganz schön
       aufmischen.
       
       27 Sep 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Florian Heilmeyer
       
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