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       # taz.de -- Sechs Monate Krieg in Sudan: Und kein Ende in Sicht
       
       > Der Krieg zwischen Sudans zwei mächtigsten Generälen tobt unvermindert
       > weiter. Die Menschen überleben dank ihrer Selbstorganisation.
       
   IMG Bild: Wohnhaus und Schule getroffen: Nach einem Angriff der sudanesischen Armee auf ein Wohnviertel
       
       Berlin taz | Als [1][am 15. April 2023 in Sudans Hauptstadt Khartum] Krieg
       ausbrach, hatten viele Einwohner noch die Hoffnung, dass der Konflikt sich
       schnell legen würde. Der Krieg zog sich aber durch den Sommer, in dem die
       Menschen glühende Hitze ohne Strom und fließendes Wasser überstehen
       mussten. Er zog sich auch durch die Regenzeit und die Überflutungen, die
       Tausenden ihre Häuser nahmen. Und er zog sich in viele weitere Gebiete
       Sudans.
       
       Heute, nach sechs Monaten Krieg zwischen Sudans Armee SAF unter Führung von
       Staatspräsident Abdelfattah al-Burhan und der paramilitärischen RSF (Rapid
       Support Forces) unter Führung des ehemaligen Vizepräsidenten Mohamed Hamdan
       Dagalo, kurz Hemetti, befinden sich in Sudan laut UNHCR über 5,7 Millionen
       Menschen auf der Flucht – das Land hat 48 Millionen Einwohner. Die
       unabhängige Konfliktbeobachtungsstelle ACLED spricht von mindestens 9.000
       Toten. Tatsächlich ist von einer weit höheren Zahl auszugehen, denn viele
       Gebiete sind für Außenstehende nicht zugänglich und die Kommunikation
       dorthin ist eingeschränkt.
       
       Dazu kommen die Folgen des Krieges. Zahlreiche Seuchen verbreiten sich seit
       April rasch, darunter Masern, Malaria, Denguefieber und [2][Cholera].
       Gepaart mit dem landesweiten Mangel an Nahrungsmitteln und frischem
       Trinkwasser haben diese Krankheiten viele Opfer gefordert.
       
       Das ohnehin brüchige Gesundheitssystem Sudans ist fast vollständig
       kollabiert. In den umkämpften Gebieten sind laut UN-Menschenrechtsrat mehr
       als 70 Prozent aller Krankenhäuser geschlossen. Die restlichen
       Krankenhäuser arbeiten unter ständiger Bedrohung. So wurde Anfang
       vergangener Woche das Krankenhaus Al-Naw in der Stadt Omdurman, die
       gegenüber von Khartum am Nil liegt, von den RSF bombardiert. Al-Naw war das
       einzige funktionsfähige Krankenhaus in der Gegend, die weitgehend vom
       Militär kontrolliert wird. Berichten zufolge starben vier Personen bei dem
       Anschlag, dutzende wurden verletzt. Der Krankenhausbetrieb läuft weiter,
       aus Mangel an Alternativen.
       
       ## Widerstandskomitees leisten primär humanitäre Hilfe
       
       Die Widerstandskomitees, Überbleibsel der sudanesischen Demokratiebewegung
       von 2018/19, berichten von Überfällen, Verhaftungen und Tötungen ihrer
       Mitglieder. Widerstandskomitees sind lokale Graswurzelorganisationen, die
       seit Beginn der Revolution 2018 die zivilen Aufstände gegen Sudans Militär
       organisieren. Nach dem [3][Staatsstreich von RSF und SAF im Oktober 2021],
       der dem 2019 ausgehandelten Übergangsprozess zu einer zivilen Demokratie
       ein Ende setzte, leisteten sie erheblichen Widerstand gegen die erneute
       Militärherrschaft – unter anderem durch Blockaden, Proteste und Streiks.
       Seit Kriegsbeginn leisten sie primär humanitäre Hilfe für die Bevölkerung.
       Landesweit haben sie Notfallzentralen errichtet. Diese bieten medizinische
       Versorgung, Betreuungsstätten für Kinder und Auffanglager für Geflüchtete.
       Denn es gibt keine sicheren Korridore für humanitäre Hilfsorganisationen.
       Somit leisten die Notfallzentralen Erste Hilfe an Orten, die internationale
       NGOs nicht erreichen.
       
       Abdulrahman Dramly koordiniert die Notfallzentrale in Al-Jereif und
       beschreibt die Lage in seinem Stadtteil im Osten Khartums, der unter
       RSF-Kontrolle steht. Im Zentrum der Nachbarschaft stehe eine große Kanone
       der RSF, berichtet er: „Morgens schießt die Kanone, nachmittags kommt die
       Antwort vom Militär.“
       
       Auf die Frage, wie er in dem taz-Artikel genannt werden möchte, antwortet
       er: „Mit Namen. Es gibt nichts mehr, was wir noch fürchten müssten“. Dramly
       kommuniziert mit der taz über Sprachnachrichten. Für ein Telefonat ist die
       Verbindung zu schlecht. Immer wieder bricht das Internet ab, das Interview
       erstreckt sich über Tage. Im Hintergrund seiner Aufnahmen sind Schüsse zu
       hören. „Nach einer Weile wurden die Schüsse für mich Hintergrundgeräusche.
       Wir versuchen uns auf die positiven Dinge zu konzentrieren“, erklärt er. So
       wie etwa die Kinderbetreuung, die er übernimmt. Für sie haben die
       Freiwilligen eine Bücherei errichtet. Die Bücher holten sie aus den
       verlassenen Häusern der Stadt.
       
       Es gibt auch einen Unterrichtsplan: Gemeinsam malen, spielen oder lesen.
       „Wir versuchen das Leben für die Kinder so geregelt wie möglich zu
       gestalten, um ihnen ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln.“ In einer
       großen Küche kochen die Erwachsenen für die Gemeinschaft. „Wenn Menschen
       sich versammeln und gemeinsam kochen, dann fühlen sie sich sicherer“,
       erklärt Dramly.
       
       ## Nur wenige Krankenhäuser bleiben offen
       
       Für ihre Arbeit kooperieren die Notfallzentralen mit den wenigen noch
       offenen Krankenhäusern. Die noch verbliebenen Ärzt:innen arbeiten dort.
       Doch viele sind es nicht mehr, weshalb sie gelegentlich Ärzt:innen von
       außerhalb holen müssen. Das ist nicht nur teuer, sondern auch gefährlich.
       Dramly erzählt von einer Ärztin aus Khartum-Nord, die in der
       Notfallzentrale gearbeitet habe. Sie sei auf ihrem Heimweg von RSF-Soldaten
       überfallen und vergewaltigt worden. Auch in seiner Nachbarschaft sei
       vergangene Woche eine Frau von RSF-Soldaten erschossen worden, als sie
       diese daran hindern wollte, in ihr Haus einzudringen.
       
       Die Ermordete war Teil eines Teams, das Überlebenden von Vergewaltigung und
       anderer geschlechtsspezifischer Gewalt psychosoziale Unterstützung bietet.
       Denn sexuelle Gewalt hat seit Kriegsbeginn drastisch zugenommen. Obwohl
       Vergewaltigungen in Sudan nur selten von Frauen angezeigt werden, berichtet
       das feministische Netzwerk SIHA von weit über 100 Fällen, darunter sexuelle
       Versklavung, auch von Minderjährigen.
       
       Menschenrechtsaktivistin Najda Mansour bezeichnet den Krieg als einen
       „systematischen Krieg“, der über die Aggression zweier Generäle hinausgehe.
       Mansour stammt aus Sudans Westregion Darfur und lebte in Khartum. Nach
       Kriegsausbruch blieb sie noch für einige Wochen dort, bis die Gefahr zu
       groß wurde. Dann floh sie – wie Tausende andere Menschen – in die Stadt Wad
       Madani im Nachbarstaat Al-Jezeera. Dort lebt sie in einer Schule, die zur
       Unterkunft für Geflüchtete umfunktioniert wurde: Schulunterricht findet
       fast nirgends mehr statt. In der Unterkunft gibt es nur selten Strom, das
       Wasser ist knapp. „Für die Toiletten reicht es nicht“, sagt sie.
       
       Ihre Arbeit gibt Mansour nicht auf. Sie schreibt Berichte über die Lage von
       Geflüchteten und darüber, wie der Krieg das Leben in der Stadt beeinflusst.
       Drastisch beschreibt sie die gesundheitliche Situation für viele Menschen
       in den Lagern, insbesondere von Frauen. Auch ihre eigene Gesundheit leidet:
       „Ich muss auf dem Boden schlafen, deshalb bin ich an Haut und Niere
       erkrankt.“
       
       ## Ein „systematischer“ Krieg
       
       Die Systematik des Krieges sieht Mansour in der Besetzung von Gebieten
       durch die RSF. „Der Höhepunkt dieses Krieges ist die Besetzung der
       Ländereien der Menschen [4][in Darfur.] Das war schon lange ihr Ziel“,
       erläutert sie die Kriegsziele der RSF. Sie sieht den Ursprung des aktuellen
       Konflikts im Darfur-Bürgerkrieg von 2003. Damals begangen die „Janjaweed“
       und weitere sich als arabisch identifizierende regierungstreue Milizen
       unter der Führung von Hemetti einen Genozid an den dort lebenden
       afrikanisch bezeichneten ethnischen Gruppen, um Rebellen aus diesen Gruppen
       zu zerschlagen. Über 250.000 Menschen wurden damals getötet, mehrere
       Millionen dauerhaft vertrieben. Mansour spricht von „bewaffneten Gruppen,
       die Identitätspolitik nutzen, um Reichtum und Macht zu erlangen“. Man
       rekrutiere junge Männer aus marginalisierten Provinzen und verspreche ihnen
       Wohlstand durch Landnahme. Zugleich stachele man sie durch eine
       Ethnisierung des Konflikts zum Kampf an.
       
       Die Entwicklungen der letzten Monate scheinen Mansour zu bestätigen.
       Während RSF-Soldaten in Khartum Menschen aus ihren Häusern vertreiben, um
       diese zu besetzen und auszurauben, werden in Darfur ganze Städte zerstört.
       Immer wieder werden Massengräber entdeckt. Geflüchtetenlager werden
       wiederholt bombardiert und attackiert. Geflüchtete berichten von grausamen
       Hinrichtungen und Verfolgung durch arabische Milizen. Ihre Berichte
       zeichnen ein Bild, das dem Genozid Anfang der 2000er Jahre sehr nahekommt.
       
       ## Unzäglihe Kriegsvebrechen – auch seitens der Sudans Armee
       
       Doch auch die SAF begehen schwere Kriegsverbrechen. Die Armee bombardiert
       Wohngebiete und Krankenhäuser und nimmt den Tod von Zivilist:innen
       wissend in Kauf. Vor allem greift sie die Notfallzentralen an, verhaftet
       und tötet Mitglieder der Widerstandskomitees.
       
       Im Bundesstaat el-Gedareif hatten die Widerstandskomitees eine
       Jugendherberge zu einem Auffanglager für Geflüchtete umfunktioniert. Zur
       Finanzierung kooperierten sie mit internationalen NGOs. Als die lokalen
       Behörden davon erfuhren, forderten sie die Komitees dazu auf, die
       Notfallzentrale zu schließen und die NGOs an die staatlichen Behörden zu
       verweisen. Aus Angst vor Korruption weigerten sie sich – und wurden
       verfolgt. Mehrere Male seien Soldaten in der Jugendherberge aufgetaucht, um
       diese mit Zwang zu schließen, berichtet ein Angehöriger der
       Widerstandskomitees, der anonym bleiben möchte. Durch Unterstützung der
       Zivilbevölkerung blieb man zunächst standhaft. Nach wiederholten Vorfällen
       beschlossen die Komitees jedoch, das Geflüchtetenlager zu verlegen und die
       Verwaltung der Notfallzentrale aufzuteilen. Sie sind nun wieder zur Arbeit
       im Untergrund gezwungen.
       
       ## Nur eine düstere Zukunft in Sicht
       
       An einen positiven Ausgang des Krieges glaubt niemand. Dramly ist
       pessimistisch: „Um ehrlich zu sein, die Zukunft ist für mich düster“. Er
       hält die Spaltungen Sudans für so groß, dass der Krieg noch 20 bis 30 Jahre
       weitergehen könne. Pessimistisch ist auch Mansour: „Selbst wenn es zu einem
       Waffenstillstand kommt, werden die Janjaweed weiter Land besetzen. Sie
       werden weiter Menschen überfallen, Häuser und Eigentum plündern.“
       
       Am Donnerstagabend sendet Dramly Bilder. Sie zeigen zerstörte Häuser in
       Al-Jereif. Gegen Mittag hätten die SAF ein Wohnhaus in der Nähe einer
       Schule bombardiert. Die fünf Bewohner:innen des Hauses seien verletzt,
       ebenso zwei Schulkinder, eines schwer: „Ich habe mit den Kindern gespielt,
       als die Bomben fielen. Sie wurden hysterisch. Eigentlich ist die Schule ist
       ein Ort, an dem sie sich wohlfühlen sollen.“
       
       15 Oct 2023
       
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