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       # taz.de -- Klimapolitik in Australien: Nachhaltig ist einzig die Rhetorik
       
       > Australiens Regierung brüstet sich mit scheinbar „grüner“ Politik. Dabei
       > ist das Propaganda. Australien ist drittgrößter Exporteur fossiler
       > Brennstoffe.
       
   IMG Bild: KlimaaktivistInnen marschieren am 5. Juni 2023 zum Parlament in Sydney
       
       Canberra taz | Sanft schwenkt die Drohnenkamera über die unendliche Weite
       des zentralaustralischen Inlands. Orange Erde, felsige Hügel, dazwischen
       ein paar knorrige Bäume. Kängurus, die in Richtung der glühenden,
       untergehende Sonne hüpfen. Unberührte Natur, so die Botschaft –
       Tourismuswerbung vom Feinsten.
       
       Doch die atemberaubende Szene täuscht über die Realität hinweg. Im Gebiet
       [1][Beetaloo im Northern Territory] könnte bald eine der größten
       Gas-Industriezonen Australiens entstehen. In den vergangenen Wochen hat die
       Firma Tamboran mit dem „Fracking“ des Bodens begonnen, trotz massiver
       Proteste von Bauern und Ureinwohnerinnen. Mit hohem Druck wird mit giftigen
       Chemikalien vermischtes Wasser in tiefe Gesteinsschichten gepumpt, um aus
       ihm Erdgas zu lösen. Es ist eine der ökologisch schädlichsten Formen der
       Gasförderung, so ExpertInnen. In Deutschland ist Fracking verboten.
       
       Das von KritikerInnen als „Klimabombe“ bezeichnete Beetaloo ist nur eines
       von etwa 110 Kohle- und Gasprojekten, die Australien in der
       Planungspipeline hat. Solche Zahlen relativieren die Rhetorik der
       sozialdemokratischen Regierung unter Premierminister Anthony Albanese, nach
       fast zehn Jahren unter konservativer Führung sitze Australien bezüglich
       Klimaschutz wieder „am Tisch“ der Weltgemeinschaft. Polly Hemming,
       Analystin bei der Denkfabrik Australia Institute, bewertet das völlig
       anders: „Die rhetorische Wende der Regierung hat nicht zu einer Änderung
       des ehrgeizigen australischen Bestrebens geführt, die Produktion fossiler
       Brennstoffe zu steigern, und die politische Agenda scheint darauf
       ausgerichtet zu sein, die Gas- und Kohleexporte in absehbarer Zukunft
       fortzusetzen.“
       
       Dabei hatten Umweltaktivisten und -aktivistinnen [2][im Mai letzten Jahres
       viel Grund zu Optimismus]. Die Laborpartei war nicht zuletzt an die Macht
       gekommen, weil Albanese zuvor eine umweltpolitische Wende versprochen hatte
       – nach einer Dekade des Nichtstuns unter der von Klimaleugnern und Adlaten
       der Rohstoffindustrie dominierten konservativen Regierung, zuletzt unter
       Premierminister Scott Morrison. Die wirklichen Gewinner der
       Parlamentswahlen waren mehrere neu ins Parlament gewählte Unabhängige.
       Deren Versprechen war vor allem, sich für Klimaschutz einsetzen zu wollen.
       
       ## Noch mehr Kohlebergwerke
       
       Es scheint aber, Albanese habe diesen Wink mit dem Zaunpfahl nicht
       verstanden. „Seit ihrer Wahl hat die Regierung Albanese drei neue
       Kohlebergwerke und 116 Gasbohrungen genehmigt und mit Beetaloo die
       Erschließung einer der größten unerschlossenen Gasreserven der Welt
       ermöglicht. Sie hat außerdem eine Subvention in Höhe von 1,5 Milliarden
       australischen Dollar (900 Millionen Euro) für die Gasexportinfrastruktur im
       Northern Territory bereitgestellt“, rechnet Hemming vor. Die jährlichen
       Emissionen allein aus dem Beetaloo-Projekt – wenn in Vollproduktion –
       entsprächen den jährlichen Abgasen von 12 Kohlekraftwerken, so das
       Australia Institute. Es stelle damit „die jährlichen Emissionen aller
       pazifischen Länder“ in den Schatten.
       
       Hohen BesucherInnen des roten Kontinents erzählt die Regierung gern, dass
       sie sich – kaum im Amt – verpflichtet habe, Australiens Emissionen bis 2050
       auf null zu reduzieren. Bis 2030 sollen sie um 43 Prozent gesenkt sein.
       Auch gehört zum Briefing von Staatsgästen, welche Maßnahmen und
       Finanzmittel für die Reduzierung der Emissionen beschlossen seien, primär
       Investitionen in die Übertragungsinfrastruktur für erneuerbare Energien.
       Auch will Australien zu einer „Supermacht“ für erneuerbare Energieformen
       werden – durch den Export des alternativen und potenziell
       umweltfreundlicheren Treibstoffs Wasserstoff, den Verkauf von direkter
       Solarenergie, kritischen Mineralien und „grünen Metallen“. Das sind
       Rohstoffe, die unter Verwendung erneuerbarer Energien gefördert oder
       verarbeitet werden sollen. Mit Berlin hat Canberra eine Partnerschaft zur
       Förderung des Aufbaus einer Wasserstoffindustrie und den Export des
       Brennstoffs nach Deutschland unterzeichnet.
       
       ## Wenig ehrgeizig bei Klimazielen
       
       Das Problem mit den Klimazielen aber sei, dass der Kohlenstoff, der in
       Australiens Exporten fossiler Brennstoffe enthalten ist, nicht auf die
       australischen Klimaziele angerechnet werde, sondern denen der
       Abnehmerländer, so Hemming. Auf diese Weise könne Australien behaupten, die
       Emissionen im eigenen Land zu reduzieren, während es weiterhin Milliarden
       von Tonnen an klimaschädlichen Gasen in andere Länder exportiere. Zudem sei
       das australische Klimaziel für 2030 mehr mit 2 Grad Celsius globaler
       Erwärmung vereinbar als mit 1,5 Grad Celsius, wie im Pariser Abkommen
       festgehalten. Denn Maßnahmen, etwa zur Abkehr von Kohle als wichtigster
       Energiequelle zur Stromerzeugung, seien schwach.
       
       Und was Australiens Pläne angehe, zur „Supermacht“ für Erneuerbare zu
       werden – auch da muss Hemming den Enthusiasmus dämpfen. Die Regierung pumpe
       viel Geld in die Erschließung neuer Märkte für australische Kohle und Gas.
       Exporte grüner Energie seien „nur zusätzlich“ zu den fossilen
       Energieträgern. Offizielle Daten zeigten, „dass Australien beabsichtige,
       die Gas- und Kohleexporte bis mindestens 2028 beizubehalten oder zu
       steigern“.
       
       ## Pazifikstaaten protestieren
       
       Australiens Nachbarn, die von den Folgen der Erderhitzung bereits stark
       betroffenen kleinen Inselstaaten im Pazifik, scheinen die
       Doppelgesichtigkeit Canberras erkannt zu haben. [3][Während die Inseln
       wegen des steigenden Meeresspiegels untergehen], ihre Süßwasserquellen
       versalzen und ihre Palmen absterben, versucht Australien, sich mit
       Geldspenden und Entwicklungshilfe in der Region wieder Akzeptanz zu
       schaffen, nachdem das Verhältnis zu den Nachbarn unter den konservativen
       Vorgängern auf einen Tiefpunkt gefallen war.
       
       Doch unter den Kleinstaaten wächst der Widerstand gegen Pläne Canberras,
       die Klimakonferenz COP31 im Jahre 2026 in Australien als „Pazifische
       Konferenz“ zu bezeichnen. „Wir werden dazu als Region Stellung beziehen“,
       warnt die Außenministerin von Niue, Moa Ainu’u, im Gespräch mit der taz.
       Denn nicht nur weigert sich Canberra, auf die Forderung der Pazifikländer
       einzugehen, keine neuen Projekte für fossile Brennstoffe mehr zu
       bewilligen. Im vergangenen Jahr hat Australien die Rohstoffindustrie im
       Umfang von 11 Milliarden Dollar (6,5 Milliarden Euro) subventioniert – ein
       Mehrfaches dessen, was Canberra in Hilfe an die Pazifikstaaten investiert.
       
       29 Oct 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.theguardian.com/australia-news/2021/oct/20/empire-energy-cleared-to-start-fracking-in-the-beetaloo-basin
   DIR [2] /Nach-den-Wahlen-in-Australien/!5856158
   DIR [3] /Klimakrise-bedroht-Lebensraeume/!5921355
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Urs Wälterlin
       
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