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       # taz.de -- Pro und Contra: Strafe wegen Pro-Palästina-Posts?
       
       > Etliche Fußball-Profis positionieren sich auf Social Media. Sollen sie
       > belangt werden, wenn sie im Nahost-Konflikt Partei ergreifen?
       
   IMG Bild: „Friedliebender Mensch“: Noussair Mazraoui, Verteidiger des FC Bayern München und Freund Palästinas
       
       ## Ja,
       
       der Hass ist deutlich zurückzuweisen.
       
       Fußballprofis mischen sich ein, wer sollte etwas dagegen haben? Der von
       Mainz 05 freigestellte Niederländer Anwar El Ghazi postete „From the River
       to the Sea / Palestine will be free“. Der Ex-Nationalspieler Mesut Özil
       unterzeichnete einen Post mit „#FreePalestine“. Gegen den Algerier Youcef
       Atal vom französischen OGC Nizza ermittelt die Polizei, weil er das Video
       eines Hasspredigers geteilt hat. Immerhin, der FC Bayern attestiert seinem
       Angestellten [1][Noussair Mazraoui], „dass er als friedliebender Mensch
       Terror und Krieg entschieden ablehnt“. In die Kritik war der Marokkaner
       geraten, weil er ein Video mit einer Hasspredigt verbreitet hatte: „Gott,
       hilf unseren unterdrückten Brüdern in Palästina, damit sie den Sieg
       erringen.“
       
       Ja, Fußballprofis sollen sich politisch äußern. Und sie sind ernstzunehmen,
       das heißt: zu kritisieren. Und gegebenenfalls sollten sie die Auswirkung
       der Kritik spüren. Was Noussair Mazraoui verbreitet hatte, war die
       Hoffnung, die Partei, die mit einem [2][Pogrom] gegen israelische
       Zivilisten einen [3][Terrorkrieg] begonnen hatte, möge ihre Kriegsziele
       erreichen. Nicht anders ist die von El Ghazi gepostete Forderung zu
       verstehen: Neben einem Palästina, das vom Jordan bis zum Mittelmeer reicht,
       gäbe es kein Israel mehr.
       
       Wie reagieren die Arbeitgeber, die Fußballvereine auf diesen Hass? Meist
       argumentieren sie mit „Werten“, für die ihre Vereine angeblich stehen.
       Schaut man sich Bayern München an, das seinen jüdischen Präsidenten Kurt
       Landauer in der Klubgeschichte mehrmals verjagt hat und das durch seine
       Ultras erst gezwungen werden musste, sich dessen Vermächtnis anzunehmen,
       klingt der Bezug auf die „Werte des Klubs“ nicht gerade glaubwürdig. Da
       muss man nicht einmal an die Sponsorendeals etwa mit Katar erinnern, um das
       Wohlfeile darin zu erblicken. Dass die Forderung, den Staat, der nach dem
       Holocaust Zufluchtsort für bedrohte Juden geworden ist, vernichten zu
       wollen, antisemitisch ist, sagen nämlich die Funktionäre nicht.
       
       Entsprechend fehlt bei den Klubs auch die Perspektive der jüdischen
       Bevölkerung, was bei Bayern, das sich gern in eine jüdische Tradition
       stellt, besonders auffällt. Der Eröffnung des Terrorkriegs in Israel
       folgten international Angriffe auf jüdische und israelische Einrichtungen –
       und auf Menschen. Spiele [4][jüdischer Sportvereine] finden unter
       besonderem Polizeischutz statt, mehr als ohnehin (was man durchaus als
       Hinweis verstehen sollte, dass Judenhass nicht erst durch den
       Nahostkonflikt nach Deutschland gekommen ist). In Berlin versuchten
       Unbekannte, eine Synagoge anzuzünden, auf der Straße werden Israelfahnen
       verbrannt, Morddrohungen skandiert, und zu all diesen Hassorgien gehören
       die Parolen, die die Fußballprofis geteilt haben: „Free Palestine“, „From
       the River to the Sea …“ et cetera.
       
       Solche Sprüche im aktuellen Klima, das von Todesdrohungen gegen Juden
       gekennzeichnet ist (bei gleichzeitigem – nicht zu vergessen – dramatischen
       Anwachsen der AfD) sind nichts anderes als Antisemitismus. Sophistische
       Überlegungen, ob mit „Free Palestine“ nicht ganz allgemein ein
       Freiheitswunsch verbunden sein könnte, sind verlogen, weil sie den
       eigentlich doch unübersehbaren Kontext einfach ausblenden. Und sie legen
       zugleich offen, warum alle Versuche, sie etwa mit den Mitteln des Arbeits-
       oder Strafrechts zu bekämpfen, nicht funktionieren können.
       
       Was sollte juristisch gegen eine Palästinafahne, gegen das sogenannte
       Palituch oder gegen den Spruch „Free Palestine“ einzuwenden sein? Was
       nottut, und wozu der Sport – siehe Mainz 05, siehe Bayern München, siehe
       OGC Nizza – sich unfähig gezeigt hat, ist, den Hass so deutlich
       zurückzuweisen, dass er fürderhin geächtet ist. Voraussetzung dafür ist die
       Bereitschaft, Antisemitismus zu erkennen.
       
       Zu den üblichen Politikerphrasen gehört, dass Judenhass in diesem Land
       keinen Platz habe. Ich fürchte, die traurige Realität lautet: Doch, den
       Sportplatz. Martin Krauss
       
       ## Nein,
       
       seit dem Angriff der Hamas und der fortlaufenden Bombardierung Gazas durch
       Israel hat die deutsche Gesellschaft den Raum für [5][propalästinensische
       Stimmen] dramatisch verkleinert: Demoverbote, mögliche Symbolverbote an
       Schulen, Verhaftungen und Unterdrückung israelkritischer Stimmen. Im
       Fußball hat sich diese Repression verselbstständigt: Anwar El-Ghazi von
       Mainz 05 („From the river to the sea“) ist rausgeflogen, ähnliches fordern
       viele für Noussair Mazraoui, der Palästina einen Sieg wünschte.
       
       Der FC Bayern hat, als pragmatische und politisch desinteressierte
       Weltmarke, eine Strafe abgelehnt. Und Unions Aïssa Laïdouni muss schon
       wegen einer palästinensischen Flagge zum Rapport. Bayerns israelischer
       Torhüter Daniel Peretz hingegen, der aufrief, „gemeinsam gegen das Böse
       [zu] kämpfen“, blieb unbehelligt. Man muss die Statements nicht teilen, um
       zu erkennen, dass diese Dynamik falsch, populistisch und vor allem
       politisch opportun ist.
       
       Freie Meinungsäußerung und freie Kritik sind ein hohes Gut. Um sie in einer
       Demokratie zu verbieten oder zu erschweren, muss schon mehr passieren als
       ein Siegeswunsch für eine Kriegspartei oder auch die Infragestellung der
       Existenz Israels. Natürlich muss man das dürfen. Es ist schlicht falsch,
       diese Kritik pauschal als Antisemitismus zu labeln. Natürlich darf man sie
       dann ebenso scharf kritisieren. Aber einseitige Strafforderungen sind
       gefährlich für eine Debatte, in der es gerade erst zwei Themen – Pandemie
       und Ukraine-Krieg, wo ebenfalls Militärinteressen durch linksliberale Werte
       legitimiert wurden – mit extrem verengtem akzeptierten Meinungsspektrum
       gab.
       
       Der Verein als Arbeitgeber nimmt sich zunehmend heraus, seinen
       „Botschaftern“ auch in der Freizeit den Mund zu verbieten. Nicht umsonst
       waren die Posts fast alle schnell gelöscht. Für nur ansatzweise mündige
       Sportler:innen darf es keine Kultur geben, wo ein Rauswurf oder eine
       Abmahnung derart leicht von der Hand gehen. Auch Fans haben hier eine
       Verantwortung.
       
       Gleichzeitig lohnt es, bei der Analyse nicht naiv zu sein. Derzeit streiten
       zwei Lager der Linken darüber, ob Statements wie die der Profis
       widerständig oder antisemitisch, regressiv oder progressiv seien. Es ist
       natürlich oft eine Mixtur. Offenbar sind viele Deutsche überfordert davon,
       dass hier zwei Ebenen von Betroffenheit existieren: Betroffenheit durch
       wachsenden Antisemitismus und Vernichtungswünsche der Anti-Israel-Koalition
       aufseiten von Jüd:innen. Und die jahrzehntelange Besatzung, Vertreibung,
       Unterdrückung und Demütigung von Palästinenser:innen, jene alltägliche
       Gewalt, die Gewalt gebiert und sie nutzt, um neue Unterdrückung zu
       rechtfertigen, und zu der die meisten schweigen, wenn nicht gerade Bomben
       fallen.
       
       Hinzu kommt eine spezifisch [6][europäische Ebene]: Der Konflikt zwischen
       arabischen, oft marginalisierten Minderheiten und der
       Mehrheitsgesellschaft, in Frankreich noch eine koloniale Vergangenheit. Ein
       Interesse an Eskalation dieser Klassenkonflikte haben die Rechten: In
       Deutschland begann die Schlacht um Fußballer-Postings die Bild-Zeitung,
       während rechte Politiker einander mit rassistischen Forderungen von
       Ausweisung (Mazraoui) bis Entzug der Staatsbürgerschaft (Benzema)
       überboten.
       
       In dieser Lage ist es auch strategisch völlig unklug, einseitige Repression
       auszuüben. Wo nicht gesprochen werden kann, werden Spieler und ihre
       jugendlichen Fans in ihren Positionen unversöhnlich. Ein Klub kann einen
       gesellschaftlichen Konflikt nicht „raushalten“. Die demokratische Lösung
       ist Aushandeln. Freilich mit klaren Grenzen des Tolerierbaren. Sinnvoller
       als Standpauken wären teaminterne, moderierte Dialoge, unter in einer
       geschützten Atmosphäre für alle. Auch Weiterbildungsangebote für
       Spieler:innen. Stattdessen überlegt etwa Bayern, die Spieler „im Umgang“
       mit dem Konflikt zu schulen. Das heißt: Öffentlich schweigen. Alina
       Schwermer
       
       21 Oct 2023
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Martin Krauss
   DIR Alina Schwermer
       
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