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       # taz.de -- Wagenknechts neuer Verein: Die One-Woman-Show
       
       > Unter großem Medieninteresse stellt Sahra Wagenknecht ihren Verein vor,
       > der in einer Partei münden soll. Die Linksfraktion steht vor dem Aus.
       
   IMG Bild: Wie ein Filmstar auf der Berlinale: Sahra Wagenknecht mit Amira Mohamed Ali und Christian Leye
       
       Berlin taz | Groß ist das Medieninteresse, als Sahra Wagenknecht mit ihren
       Gefolgsleuten an diesem Berliner Oktobermorgen das Haus der
       Bundespressekonferenz betritt. Der Saal ist am Montag so voll wie schon
       lange nicht mehr, und minutenlang steht die Hauptperson im
       Blitzlichtgewitter. Wie ein Filmstar, der zur Berlinale die Stadt besucht.
       
       Auf einem dreiseitigen Papier, das ausliegt, sind die wichtigsten Eckpunkte
       jenes Vereins formuliert, [1][der hier offiziell vorgestellt werden soll:
       „Bündnis Sahra Wagenknecht – Für Vernunft und Gerechtigkeit“, kurz BSW.]
       Auf der dazugehörigen Website wird man von einem knapp zweiminütigen Film
       begrüßt, in dem die Protagonistin um Unterstützung wirbt. Es ist die
       perfekte Promotion zur Einführung eines neuen Produkts. In diesem Fall ist
       es eine neue Partei.
       
       Der „Vertrauensverlust in die etablierte Politik“ habe sie zu ihrem Schritt
       bewogen, erklärt die bisherige Linken-Politikerin Wagenknecht den
       anwesenden Medienvertretern. Die Bundesrepublik habe derzeit „die
       schlechteste Regierung ihrer Geschichte“, die „arrogante Ampelregierung“
       sei daran schuld: Die „Außenpolitik des erhobenen Zeigefingers“ isoliere
       Deutschland in der Welt und gefährde Absatzmärkte. Die „ungeregelte
       Zuwanderung“ verschärfe die Probleme an den Schulen und auf dem
       Wohnungsmarkt.
       
       Und in diesem Ton geht es weiter: Ein „blinder, planloser Öko-Aktivismus“
       mache den Menschen das Leben schwer. Deutschland drohe die „Abwanderung
       wichtiger Industrien“ und ein „Wohlstandsverlust“, malt sie ein
       rabenschwarzes Bild an die Wand der gegenwärtigen Lage. „So wie es derzeit
       läuft, darf es nicht weitergehen“, sagt sie. „Denn sonst werden wir unser
       Land in zehn Jahren wahrscheinlich nicht wiedererkennen.“ Es ist ein
       düsteres Bild, das Wagenknecht da vor der blauen Wand der
       Bundespressekonferenz zeichnet.
       
       ## Retterin aus der Düsternis
       
       Aber zum Glück, so ihre Botschaft, gibt es ja Licht am Ende des Tunnels:
       Zum Glück gebe es die Lichtgestalt Sahra Wagenknecht, die uns aus dieser
       Düsternis der Gegenwart retten kann. Im Imagefilm sind die Szenen, die den
       aktuellen Zustand der Bundesrepublik beschreiben sollen, entsprechend in
       Schwarz-Weiß gehalten. Erst mit dem Auftritt von Sahra Wagenknecht wechselt
       der Film in Farbe. Es ist das klassische Erzählmuster des Populismus. Dazu
       gehört auch die Konzentration auf eine charismatische Führungsperson an der
       Spitze. Es wäre nicht die erste populistische Partei, die mit so simplen
       Mustern arbeitet.
       
       Und doch: Solch eine One-Woman-Show hat es in Deutschland bisher noch nicht
       gegeben. Einen Coup hat Wagenknecht zudem mit dem Millionär Ralph Suikat
       gelandet, den sie bei ihrem Auftritt in Berlin an ihrer Seite hat. Der
       IT-Unternehmer hat den Appell „Tax me now“ unterschrieben und engagiert
       sich dafür, dass Reiche mehr Steuern zahlen. Er kommt an diesem Morgen aber
       wenig zu Wort.
       
       Das BSW ist zunächst einmal auch nur ein Verein. Er soll die Gründung einer
       Partei vorantreiben, die offiziell erst für Anfang kommenden Jahres geplant
       ist. Das hat auch finanzielle Gründe, da so die Wahlkampfkostenerstattung
       größer ausfällt. Die Finanzierung spielt auch bei der Pressekonferenz eine
       große Rolle. Mehr als ein Mal werben Wagenknecht und ihre Mitstreiter um
       Spenden.
       
       Apropos: Neben Wagenknecht und Suikat sitzt ein weiteres bekanntes Gesicht
       der Linken auf der Empore der Bundespressekonferenz: Amira Mohamed Ali,
       ihres Zeichens bisherige Co-Chefin der Linksfraktion im Bundestag. Sie
       übernimmt den Vorsitz des Vereins. Wagenknecht, Mohamed Ali und weitere
       Bundestagsabgeordnete verkünden an diesem Montag zudem, aus der Linkspartei
       ausgetreten zu sein. Diese Entscheidung sei allen „nicht leichtgefallen“,
       sagt Mohamed Ali. „Gleichwohl sind wir davon überzeugt, dass das ein
       notwendiger und richtiger Schritt war.“ Die Partei verlassen haben unter
       anderem die Abgeordneten Sevim Dağdelen, Klaus Ernst und Andrej Hunko.
       Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch bestätigte am Montag, dass bislang 10
       der 38 Fraktionsmitglieder die Partei verlassen hätten.
       
       Der Versuch, die Parteiführung zu einem neuen Kurs zu bewegen, sei
       gescheitert, sagt Mohamed Ali noch. Man sei aber bereit, in der Fraktion zu
       bleiben, um einen „geordneten Übergang“ zu gewährleisten. Was dahinter
       steckt: Sollte die Wagenknecht-Gruppe die derzeit 38 Abgeordnete umfassende
       Fraktion der Linkspartei im Bundestag verlassen, würde diese ihren
       Fraktionsstatus verlieren – was spürbare Folgen hätte: Sie bekäme dann
       weniger Geld aus dem Bundestagsetat und hätte weniger Rechte im
       Parlamentsbetrieb. Damit wären auch die Jobs der mehr als 100 Mitarbeiter
       der Fraktion gefährdet.
       
       Der Chef der Linkspartei, Martin Schirdewan, forderte Wagenknecht und ihre
       Unterstützer am Montag dennoch auf, ihre Bundestagsmandate abzugeben. Er
       schloss aber auch nicht aus, dass die Ausgetretenen noch bis Jahresende in
       der Fraktion bleiben. „Das Interesse der Beschäftigten dieser Fraktion ist
       uns eine Herzensangelegenheit“, sagte Schirdewan. Als „unverantwortlich und
       inakzeptabel“, kritisierte auch Fraktionschef Bartsch die Parteiaustritte.
       Aber: „Unsere Fraktion wird souverän und in großer Ruhe darüber
       entscheiden.“ Der frühere Linken-Parteichef Bernd Riexinger hingegen lehnt
       einen Verbleib von Wagenknecht und ihren Unterstützern in der
       Bundestagsfraktion ab: „Das Tischtuch ist zerschnitten“, sagte er der
       Rheinischen Post.
       
       ## Experte sieht Problem für die Linkspartei
       
       Befürchtet die Linke nun neue Konkurrenz? Wohl auch, da dieser Auftritt
       vorab angekündigt war, fielen die Reaktionen von Linken-Vertretern
       dahingehend eher gelassen aus: Eine neue Partei von Sahra Wagenknecht wäre
       aus Sicht von Parteichef Martin Schirdewan vor allem eine Konkurrenz für
       die AfD und weniger für die Linkspartei. „Wenn Sahra Wagenknecht mit ihrem
       Projekt Erfolg haben will, wird sie sich deutlich rechts aufstellen
       müssen“, sagte Schirdewan der Augsburger Allgemeinen.
       
       Auch der Linken-Abgeordnete Gregor Gysi äußerte Zweifel, ob Wagenknecht mit
       ihrer neuen Partei langfristig Erfolg haben wird. „Sie will
       Flüchtlingspolitik wie die AfD machen, Wirtschaftspolitik wie Ludwig Erhard
       und Sozialpolitik ein bisschen wie die Linke“, sagt er im ZDF. „Und dann
       hat man immer die Hoffnung, man kriegt von allen drei Wählerinnen und
       Wählern. Da kann man sich aber auch täuschen, das kann eine Minusrechnung
       werden.“ Er glaube, dass BSW am Anfang Erfolg haben werde – „und dann nicht
       mehr“.
       
       Der Politikwissenschaftler Thorsten Faas sieht in der
       Wagenknecht-Abspaltung hingegen sehr wohl [2][ein Problem für die
       Linkspartei]. So habe die Linke der „Strahlkraft von Sahra Wagenknecht“
       wenig entgegenzusetzen. Der Experte von der FU Berlin sieht einen weiteren
       Vorteil bei BSW: Die künftige Partei ist in keiner Regierung vertreten, sie
       könne „klarer und schärfer formulieren“ – was bei den Wahlen im kommenden
       Jahr sicher ein Punkt werde.
       
       Mit ihrer neuen Partei will Wagenknecht im Juni 2024 zur Europawahl
       antreten. Ob sie selbst kandiert, lässt sie am Montag offen. Unklar ist
       auch noch, ob die künftige Partei im September 2024 an allen drei
       ostdeutschen Landtagswahlen – in Sachsen, Thüringen und Brandenburg –
       teilnehmen wird. Einer Insa-Umfrage für Bild am Sonntag zufolge könnten
       sich 27 Prozent der Befragten in Deutschland vorstellen, eine
       Wagenknecht-Partei zu wählen. Wahlumfragen sind aber generell mit
       Unsicherheiten behaftet.
       
       Um Mitglieder wirbt das Team Wagenknecht nicht: Der Verein diene lediglich
       dazu, die Parteigründung vorzubereiten, betont der stellvertretende
       Vorsitzende Christian Leye. Um einen „Vertrauensvorschuss“ bittet Sahra
       Wagenknecht. Für die zu gründende Partei brauche es ein „geordnetes
       Wachstum“. Man wolle keine Glücksritter, Karrieristen und Menschen mit
       fragwürdigen politischen Ansichten anziehen, so Leye. Dieses Risiko bestehe
       bei neuen Parteien immer, sagt Wagenknecht.
       
       Die künftige Partei wird nach Angaben Wagenknechts nicht dauerhaft „Bündnis
       Sahra Wagenknecht“ heißen. Sie spricht am Montag von einer Übergangslösung.
       Man wolle eine Partei auf den Weg bringen, die sich „für die nächsten 40
       oder 50 Jahre“ im deutschen Parteiensystem etabliere. Denn, gibt sie den
       anwesenden Journalisten noch auf den Weg, so lange werde sie garantiert
       nicht mehr Politik in Deutschland machen. Ein bisschen Demut soll dann doch
       sein.
       
       23 Oct 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Daniel Bax
       
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