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       # taz.de -- Kinotipp der Woche: Lücken schließen
       
       > Für die 8. Ausgabe des Film Restored Festivals hat die Deutsche
       > Kinemathek unter dem diesjährigen Titel „Absence“ verschollene Filme neu
       > restauriert.
       
   IMG Bild: „Pojat“ (FI 1962), Regie: Mikko Niskanen
       
       Brasilien total: Strandszenen, Karneval und brasilianischer Pop. Zwei
       Männer rennen ins Wasser, lieben sich, alles ist wunderbar. Aber nur
       scheinbar. „Era Vermelho Seu Batom“, ein Kurzfilm von Henrique Magalhães,
       ist 1983 entstanden, da war die Militärdiktatur in Brasilien kurz vor ihrem
       Ende, aber sie hielt sich immer noch am Leben.
       
       Wer da queer war, hatte es nicht leicht und musste mit Repressionen
       rechnen. Trotzdem war es ganz offensichtlich möglich, sich zu seinem
       Schwulsein zu bekennen, der Film zeigt es ja. Man sieht Szenen einer
       ausgelassenen Drag-Party und der Spaß, den die Männer hier haben, ist
       grenzenlos.
       
       Und doch bleibt da das Gift der Vorurteile. Einer der beiden Männer, die
       eben noch eng umschlungen in den Wellen standen, sieht den anderen auf der
       Party als Frau verkleidet. Und kommt damit gar nicht klar. Der ausgelassene
       Spaß weicht schlagartig der Scham und die Rhythmen der brasilianischen
       Musik verstummen.
       
       „Era Vermelho Seu Batom“ ist einer der Filme, die beim Film Restored
       Festival der [1][Deutschen Kinemathek gezeigt werden]. „Absence“ lautet das
       Thema der diesjährigen Ausgabe. Das heißt, diese ausgemachten Lücken im
       weltweiten Filmerbe sollen geschlossen werden, in dem man vergessene oder
       verschollene Filme nicht nur wieder ausgegraben hat, sondern auch
       restaurieren ließ.
       
       So wie den auf Super-8 gedrehten „Era Vermelho Seu Batom“. Dem merkt man
       zwar immer noch an, dass die erhaltene Filmkopie lange irgendwo
       herumgegammelt haben muss, Staubkörner und ähnliches haben sich in die
       Bilder gefressen und der Ton fällt manchmal aus, aber man hat den Film
       immerhin gerettet und das wahrscheinlich so gut wie es nur möglich war. Und
       damit auch einen queeren Blick auf Brasilien in dunklen Zeiten.
       
       Restored, das sich selbst als das „Filmerbe-Festival“ begreift, zeigt vom
       25. bis zum 29. Oktober unzählige solcher Ausgrabungen, begleitet werden
       viele der Vorführungen von Panels und Vorträgen. Bei manchen dieser Werke
       fragt man sich, warum diese nur als Randerscheinungen der Filmgeschichte
       gelten und erst jetzt wieder restauriert wurden.
       
       „Pojat“ (1962) von Mikko Niskanen etwa ist so ein Fall. Er spielt in einem
       kleinen finnischen Kaff an der Grenze zur Sowjetunion während des Zweiten
       Weltkriegs. Für die Finnen ist die Sowjetunion der große Feind und sie
       lassen sich auf einen Pakt mit den Nazis ein.
       
       Die Deutschen marschieren dann als die großen Helden ein in dem Grenzdorf
       und für fünf finnische Jungs sind sie die Größten. Sie bekommen Schokolade
       von ihnen und umgekehrt drehen sie den Soldaten geklautes Zeug im Tausch
       gegen Schnaps und eine Kamera an.
       
       In Schule und Elternhaus wird ihnen Drill und Patriotismus eingeimpft,
       während für sie selbst der Krieg nur etwas sehr Abstraktes ist. Doch schon
       bald merken auch sie, dass die Deutschen zu bösen Dingen fähig sind. Und
       für sie ist es das eine, wenn sie überall sehen, wie die finnischen Mädchen
       und Frauen reihenweise den Soldaten verfallen.
       
       Aber wenn die eigene Mutter einen Onkel Fritz mit nach Hause bringt und der
       einfach nicht mehr gehen und stattdessen die Mutter nach Deutschland
       mitnehmen will, ist das etwas ganz anderes. Die finnischen Jungs erfahren
       den Krieg nie direkt, sind aber doch schon bald immens von ihm betroffen.
       Und aus Spaß und Spiel wird Tod und Verderben in diesem Film, bei dem man
       dankbar sein kann, dass er nun einem Publikum in grundrenovierter Form neu
       zugänglich gemacht wird.
       
       25 Oct 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.deutsche-kinemathek.de/de/besuch/festivals-symposien/film-restored-06
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Hartmann
       
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