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       # taz.de -- Kunst in Zeiten des Krieges: Kriegsspiel im Schlosspark
       
       > Wie arbeiten Künstler*innen im Angesicht des Krieges? Fabian Knecht
       > zeigt in Wolfsburg Kunst mit Tendenz zum Gesinnungskitsch.
       
   IMG Bild: Keine Bombenidee: Auf der grünen Wiese im Wolfsburger Schlosspark wirkt ein Krater eher harmlos
       
       Hannover taz | Wie arbeiten eigentlich Künstler:innen angesichts eines
       Krieges? Und: können sie sich in solchen Ausnahmesituationen überhaupt
       einer politischen Positionierung enthalten?
       
       Für Künstler:innen aus der Ukraine legte Anfang des Jahres Zhanna
       Kadyrova im Kunstverein Hannover [1][ihre Antwort] vor. Sie beschäftigt
       sich seit Langem mit den materiellen wie mentalen Hinterlassenschaften der
       Sowjetära in der Ukraine, macht sie stellvertretend an Materialien des
       öffentlichen Raumes fest.
       
       Neben realsozialistischer Baukeramik sind es Straßenbeläge, etwa aus Kyjiw,
       die sie in teils großformatigen „Daten-Extraktionen“ birgt. In der
       künstlerischen Strategie des Readymade interpretiert sie ihr brüchiges oder
       ausgetretenes Material als ein Porträt der Stadt. 2022 nahm Kadyrova
       aktuelle Erweiterungen vor: In Hannover hingen schwere Asphaltflächen an
       den Wänden, zerfetzt von russischen Projektilen.
       
       An diese Arbeiten muss man unweigerlich denken, steht man im Schlosspark
       Wolfsburg nun vor dem Krater, den Fabian Knecht einem solchen im
       ukrainischen Isjum nachgebildet hat. Harmlos sieht er aus, nicht besonders
       tief oder martialisch aufgewühlt, und muss doch gemäß deutschen
       Sicherheitsvorschriften mit dem Hinweis „Betreten verboten“ eingefriedet
       werden. Man fragt sich dann, was dieses Objekt eigentlich soll: nur eine
       weitere Akquisition in der Sammlung von Kunst im Grünraum, die den
       Schlosspark ziert?
       
       Fabian Knecht, 1980 in Magdeburg geboren, ist Absolvent der Universität der
       Künste Berlin. Seit 2005 ist er der Ukraine verbunden, als ein Freund,
       studierter Agrarwirt, in der Westukraine sein Glück versuchte. Mittlerweile
       bewirtschaftet dieser dort 5.000 Hektar und beschäftigt eigentlich 50
       Angestellte, wenn er sich nicht um die eigene wie gemeinsame Zukunft sorgt,
       um Flüchtlinge, Kriegsopfer, Beschädigte.
       
       Knecht ist allein seit [2][Kriegsbeginn] elf Mal in der Ukraine gewesen,
       pflegte davor schon intensive Kontakte in die ukrainische wie auch die
       russische Kunstszene, hat dort ausgestellt. Insofern überrascht es nicht,
       dass er zum tätigen Aktivisten wurde. Gleich zu Kriegsbeginn hat er
       kugelsichere Westen, Helme und medizinisches Material in die Ukraine
       gebracht, finanziert durch Spenden aus Berlin. Dieses Engagement hält bis
       heute an, ein Dankesschreiben für seinen Einsatz liegt in Wolfsburg aus.
       
       Klar, dass sich auch das Konzept seiner schon lange geplanten Wolfsburger
       Ausstellung radikal änderte: Knecht zeigt nun eine Reihe so bezeichneter
       „humanitärer Plastiken“. In den Räumen der Städtischen Galerie hängen etwa
       Tarnnetze, wie sie Zivilist:innen überall in der Ukraine aus
       Alttextilien knüpfen, um Schützenswertes zu verhängen.
       
       Knecht hat sichtbar schöne Exemplare gegen professionelle militärische
       Netze eingetauscht, will sie als Elemente des zivilen Widerstands gewürdigt
       sehen. Seine vielen Fahrten durchs Land sind in einem gut halbstündigen
       Film aus kurzen Sequenzen festgehalten. Sie zeigen apokalyptische Zustände,
       die uns westlich weichgespülte Medien vorenthalten: verglühte Wälder,
       zerstörte Fabriken, Straßen, Brücken, ausgebrannte Panzer und
       Plattenbauten, Scharen herrenloser Hunde und Katzen.
       
       Mulmig aber wird einem vor den großen Leinwänden mit tiefschwarzen Spuren,
       abstrakt gestischen Zeichnungen ähnlich. Für sie hat Knecht literweise
       Leinöl in einen ausgebrannten Panzer gegossen, so die Aschepigmente
       gebunden. Und durch diese dunkle Flüssigkeit dann, batikgleich, seine
       Leinwände stückweise gezogen, oder sie tief hineingetaucht – mit „Intuition
       und Muskelkraft“, so Knecht.
       
       ## Feuertod im Panzer
       
       Aber was war das denn für eine Asche? [3][Wird ein Panzer so attackiert],
       per Drohne, durch Artillerie oder spezielle Waffen, dass er komplett in
       Flammen aufgeht, stirbt in der Regel auch die gesamte Besatzung im Inneren
       den Feuertod. Je nach Typ sind dies drei oder vier Menschen. Darf das also
       die Kunst, solch „Eintauchen der Leinwand in den Tod“, wie Knecht es weiter
       beschreibt?
       
       Schnell werden dann kuratorische Referenzen [4][christlicher Schweiß- oder
       Leichentücher] bemüht, auch sie ja schon bemerkenswerte Artefakte verrohten
       Gesinnungskitsches. Verrutscht der „westlichen Wertegemeinschaft“ und ihrer
       freien Kunst also gerade, und wieder einmal, der ethische Kompass?
       
       3 Dec 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Ausstellung-Daily-Bread-in-Hannover/!5909259
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   DIR [4] /Eine-westfaelische-Ikone/!5717225
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bettina Maria Brosowsky
       
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