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       # taz.de -- Geburtstag des Kunstvereins in Bremen: Ein Hoch auf die Pauli-Bubble
       
       > Mit der großen Ausstellung „Geburtstagsgäste: Monet bis van Gogh“ feiert
       > der Kunstverein in Bremen sein 200-jähriges Bestehen.
       
   IMG Bild: Mit dem Ankauf von Gustav Courbets „Brandungswellen“ begann 1905 die Aufwertung der Sammlung
       
       BREMEN taz | Nicht erst im Zeitalter der sozialen Medien leben Menschen in
       Bubbles, wo die ständige Selbstbestätigung den Wohlfühlfaktor bestimmt und
       die Kraft generiert, Vertreter anderer Meinungsblasen schlau oder plump
       abzukanzeln. In der Kunstszene war dieses Verhalten schon immer stil- und
       erfolgsbildend, wenn die eigene Macht ausgespielt werden konnte,
       Öffentlichkeit herzustellen und für die eigenen Überzeugungen zu werben,
       was gerade das Gute, Wahre, Schöne sei.
       
       Bremen galt als Zentrum einer solchen Umbruchzeit. Zur vorletzten
       Jahrhundertwende lüfteten die dank Kolonialismus und globalisiertem Handel
       superreich gewordenen Kaufleute ihre Gründerzeitvillen durch,
       verabschiedeten sich vom spätbarock überladenen, romantisch finsteren oder
       biedermeierlich piefigen Repräsentations-Prunk und ließen das Interieur von
       Innenarchitekt Rudolf Alexander Schröder mit schmucker Klarheit etwas
       leichter und luftiger gestalten.
       
       Für noch mehr Distinktionsgewinn wurde Malerei der zeitgenössischen Moderne
       an die Wand gehängt. Inspirator war der erste Leiter der Kunsthalle Bremen,
       Bürgermeistersohn und Kunsthistoriker Gustav Pauli. In seinen Ausstellungen
       feierte er Realismus, Impressionismus, Postimpressionismus sowie die
       Worpsweder – und kaufte mit dem Geld des Kunstvereins, [1][Träger der
       Kunsthalle], entsprechende Werke an.
       
       ## Der Kunstverein sollte „Sinn für das Schöne“ verbreiten
       
       Dieser war am 14. November 1823 von 34 Bremer Bürgern gegründet worden, um
       den „Sinn für das Schöne zu verbreiten und auszubilden“. Heute ist er mit
       mehr als 10.000 Mitgliedern einer der größten in Deutschland.
       
       Der Verein, das Museum und der Freundeskreis „Die goldene Wolke“ bildeten
       die kleine missionarische Bubble zur Durchsetzung der französischen Kunst
       des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Zu der reichsweit noch Museumsdirektoren
       aus Berlin, Hamburg, Mannheim, Weimar oder Wuppertal gehörten, aber auch
       deutsche Künstler wie Max Liebermann.
       
       Aus der Behauptung, die düster formalistische Malerei sei perdu,
       Impressionismus jetzt angesagt, wurde eine erfolgreich geschmacksbildende
       Kampagne. Denn die subjektiv empfundenen, lebens- und genussfreudigen
       Bilder des Impressionismus passten prima zum erstarkten Selbstbewusstsein
       des wohlhabenden Bürgertums.
       
       Heute sorgt das lieblich lichte Farbengeflimmer und der kleinteilig freie,
       das Dargestellte tänzerisch umspielende Pinselduktus regelmäßig für
       Blockbuster-Ausstellungen. Eine solche gibt es nun auch in Bremen zu Ehren
       des 200. Kunstverein-Geburtstages. „Geburtstagsgäste: [2][Monet] bis van
       Gogh“ ist die Schau betitelt.
       
       Gezeigt werden Paulis Erwerbungen, aber auch Meisterwerke aus angeworbenen
       Schenkungen, Vermächtnissen und Überlassungen sowie Gemälde aus Bremer
       Wohnzimmern, die heute in alle Welt verstreut sind und für einen Besuch
       zurück an die Weser geholt wurden.
       
       ## Kunsthalle hatte eine katalysatorische Bedeutung
       
       Die Ausstellung verfolgt die kunstgeschichtliche Entwicklung von 1850 bis
       1900, dokumentiert dabei die katalysatorische Bedeutung der Kunsthalle und
       den Wandel des ästhetischen Empfindens. Das ist exquisit kuratiert und
       inszeniert. Keine Chance gab es, im 2. Weltkrieg geraubte Werke
       auszuleihen, die heute in der St. Petersburger Eremitage und dem
       Pushkin-Museum in Moskau hängen, daher sind sie als
       Schwarz-Weiß-Reproduktionen zu sehen.
       
       Hübsch verächtlich startet der Rundgang mit monumental allegorischer
       Malerei im Rubens-Gestus von Arthur Fitger, einst Konsenskünstler der
       Bremer High Society. Ein Bild aus dem Speisezimmer des Kaufmanns Joseph
       Hachez und eines aus dem Festsaal des Hauses Seefahrt sind zu sehen.
       
       Daneben platziert: vier von Carl Vinnen gemalte Birken in Worpswede. Er
       wurde zum Freund und Unterstützer Paulis, Fitger motzte gegen ihn in der
       Weser-Zeitung. Beim großen Kunststreit 1911 verbündeten sich beide gegen
       Pauli. Hatte der doch das „Mohnfeld“ (1889) von van Gogh für 30.000 Mark
       erworben, etwa so viel wie damals ein Reihenhaus in Bremen gekostet hat.
       
       Die folgende nationalistische Debatte war schon 2002 Thema der
       Kunsthallen-Schau „Van Gogh: Felder“: Kritiker sahen Deutschland als
       führende Kulturnation, um ihre „Überfremdung“ zu verhindern, sollte
       vornehmlich „vaterländische Kunst“ gekauft werden. Scharfsinnig und mutig
       visionär wehrte sich die Pauli-Bubble.
       
       ## Pauli kaufte vor, die Bremer kauften nach
       
       Start zur Aufwertung der Kraut-und-Rüben-Sammlung der Kunsthalle war 1905
       Paulis erster Ankauf: Gustav Courbets kraftvoll naturalistische
       „Brandungswellen“ (1869). Ihm folgten die Nationalgalerie Berlin und das
       Frankfurter Städel, die weitere Varianten des Motivs erwarben. Und schon
       kauften auch Bremer Kunstsammler Courbets, 1909 waren bereits neun in
       hansestädtischem Privatbesitz. Etwa der „Kirschlütenzweig“ (1863) beim
       Bankiersehepaar Wolde oder die „Blumenschale (Magnolien)“ (1862) bei
       Petroleum-König Carl Schütte.
       
       Und so ging es weiter mit der Bubble-Dynamik. Pauli erwarb Monets „Camille“
       (1866) für 50.000 Mark, daraufhin begannen Sammler:innen wie Leopold
       Biermann, Sohn eines Zigarrenfabrikanten, und Alfred Heymel, Adoptivsohn
       eines Großkaufmanns, Impressionisten anzukaufen.
       
       1911 verbannte Pauli zwei prominent im Treppenhaus des klassizistischen
       Kunsthallen-Designs platzierte Skulpturen der Antike ins Archiv und
       ersetzte sie durch zwei erworbene Figuren von Auguste Rodin, um den Wandel
       des Hauses vom historischen Einerlei zur progressiven Galerie der Moderne
       zu verdeutlichen.
       
       1914 wurde Pauli von der [3][Hamburger Kunsthalle] abgeworben. Und die
       Bubble verlor an innerer Bindungsenergie. Nach dem Ersten Weltkrieg konnte
       die Kunsthalle Bremen nicht mehr ihre führend fortschrittliche Strahlkraft
       behaupten. Auch weil die Finanzkraft des Kunstverein-Großbürgertums
       deutlich gesunken war.
       
       ## Mal eben einen van Gogh erwerben geht heute nicht mehr
       
       Das ist alles nicht neu, aber überzeugend recherchiert und exemplarisch
       verdeutlicht. Natürlich kommt die Ausstellung als
       Selbstbeweihräucherungsshow für den Kunstverein daher. Aber zu diesem
       runden Geburtstag ist das schon okay. Auch zur Kontrastierung der heutigen
       Situation. Mal eben einen van Gogh zu erwerben, ist nicht mehr möglich. Die
       Kunsthalle besitzt dafür keinen Etat.
       
       Ankäufe zeitgenössischer Kunst ermöglichen aber unter anderem noch der
       „[4][Förderkreis für Gegenwartskunst]“ (jährlicher Ankauf) und der
       „Stifterkreis für den Kunstpreis der Böttcherstraße“ (alle zwei Jahre ein
       Ankauf). Auch Crowdfunding funktioniert: Knapp 160 Vereinsmitglieder
       machten den Ankauf der Bronzeskulptur „Der Maskenverkäufer“ von Zacharie
       Astruc möglich. Es wurden insgesamt 40.000 Euro dafür gesammelt. Die Folgen
       der von Gustav Pauli gestarteten Ankaufpolitik aber ziehen immer noch die
       Besuchermassen an.
       
       16 Oct 2023
       
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   DIR Jens Fischer
       
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