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       # taz.de -- Inflation in Argentinien: Peso im freien Fall
       
       > Vor den Wahlen in Argentinien verliert der Peso weiter an Wert. Als
       > „Scheißdreck“ bezeichnet ihn der rechte Präsidentschaftskandidat Javier
       > Milei.
       
   IMG Bild: Peso, verliert immer mehr an Wert
       
       Buenos Aires taz | Der Wert des argentinischen Peso befindet sich im freien
       Fall. Zwölf Tage vor den Präsidentschafts- und Kongresswahlen wurden in den
       klandestinen Wechselstuben erstmals mehr als 1.000 Pesos für einen Dollar
       verlangt. Allein am Dienstag verteuerte sich die US-Währung um 65 Pesos,
       seit Monatsbeginn sind es damit 210 Pesos.
       
       Angeheizt hatte den steilen Anstieg der rechte Präsidentschaftskandidat
       Javier Milei. Am Montag antwortete er auf die Frage, ob man fällige
       Festgeldanlagen jetzt noch erneuern sollte: „Niemals in Pesos. Der Peso ist
       die von den argentinischen Politikern ausgegebene Währung. Er ist einen
       Scheißdreck wert und taugt als solcher nicht einmal als Dünger.“
       
       Mileis Wahlversprechen, das Finanz- und Wirtschaftssystem zu dollarisieren
       und die Zentralbank abzuschaffen, sind seit Wochen zentrale
       Wahlkampfthemen. [1][Der 52-Jährige erhielt bei den Vorwahlen im August die
       meisten Stimmen] und hat gute Aussichten, der nächste Präsident
       Argentiniens zu werden. Mileis Versprechen mögen den Verfall des Pesos
       beschleunigen, die Ursache des Wertverlustes sind sie nicht.
       
       Seit Jahren ist [2][der Dollar in Argentinien ein knappes Gut]. Dennoch
       versucht die Zentralbank mittels ihrer klammen Dollarreserven durch
       Stützungsverkäufe den offiziellen Wechselkurs von aktuell 365 Peso pro
       Dollar zu halten. Die ohnehin angespannte Situation wurde zu Beginn des
       Jahres durch die dürrebedingten Ernteverluste von 20 Milliarden Dollar bei
       den landwirtschaftlichen Exporten noch verschärft.
       
       ## Die Zentralbank ist pleite
       
       Technisch gesehen [3][ist die argentinische Zentralbank pleite]. Dennoch
       muss sie auf Anweisung der Regierung das Defizit im Staatshaushalt
       finanzieren – mangels Alternativen mit der Notenpresse. Im laufenden Jahr
       emittierte sie bereits 12 Billionen Peso. Buntes bedrucktes Papier, das in
       einer seit Jahren in der Rezession steckenden Realwirtschaft keinen
       materiellen Gegenwert hat.
       
       Wirtschaftsminister Sergio Massa, zugleich Präsidentschaftskandidat des
       Regierungsbündnisses Unión por la Patria, hat die Emission beschleunigt.
       Seit Wochen verordnet Massa Steuersenkungen und Bonuszahlungen an formell
       und informell Beschäftigte, Rentner*innen und
       Sozialhilfeempfänger*innen. Allein im September lieferte die Notenpresse
       2,3 Billionen Peso.
       
       ## IWF prognostiziert Preisanstieg von 135 Prozent
       
       Am Donnerstag gibt die Statistikbehörde Indec [4][die Inflationsrate]
       bekannt. Seit Januar pendelt der monatliche Preisanstieg zwischen 6 und 8,4
       Prozent. Im August stieg er auf 12,4 Prozent, die höchste Rate der letzten
       32 Jahre. Für September wird abermals eine zweistellige Zahl erwartet und
       für das Jahr 2023 prognostiziert der Internationale Währungsfonds (IWF)
       gerade einen Preisanstieg von 135 Prozent. Im Vergleich dazu erwartet der
       IWF für Deutschland eine jährliche Preissteigerungsrate von 6,9 Prozent.
       
       Der Lohnzuwachs hält damit nicht mit. Zwar stiegen die Löhne von Januar
       2016 bis Juli 2021 um sage und schreibe 446,5 Prozent, doch mit 591,6
       Prozent lag die Inflation deutlich darüber. Und obwohl der
       durchschnittliche Monatslohn eines abhängig Beschäftigten in diesem
       Zeitraum von knapp 16.000 Pesos auf knapp über 90.000 Pesos stieg, verlor
       er 16 Prozent seiner Kaufkraft. Alles offizielle Zahlen der
       Statistikbehörde, die zudem 40 Prozent der 46 Millionen
       Argentinier*innen als arm ausweist.
       
       „Wir haben die niedrigste Arbeitslosenquote seit 2016 und mit über 40
       Prozent die höchste Armutsquote der letzten 20 Jahre“, sagt der linke
       Wirtschaftswissenschaftler Claudio Katz. Dies sei die Folge eines seit
       Jahren vorherrschenden Anpassungsmodells, bei dem die Anpassung nicht durch
       eine staatliche Sparpolitik erfolgt, sondern durch die Inflation, die einem
       Kaufkraftverlust der Einkommen gleichkommt, so Katz. Der Anstieg der
       Lebensmittelpreise liegt in der Regel sogar über der durchschnittlichen
       Rate und trifft damit vor allem die unteren Einkommensschichten.
       
       Es erscheint paradox, dass vor allem Milei von der Abwertung des Peso und
       der steigenden Inflation profitiert. Die Dollarisierung und die Abschaffung
       der Zentralbank würden Millionen Argentinier*innen zusätzlich oder
       noch weiter in die Armut treiben. Doch Frustration und Wut über das nie
       enden wollende Zerbröseln der Kaufkraft scheinen größer als Ende 2001. „Que
       se vayan todos – Alle sollen abhauen“, lautete damals die Forderung. Ein
       rechter Populist, der verspricht den Laden aufzumischen, stand nicht zur
       Wahl.
       
       11 Oct 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Jürgen Vogt
       
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