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       # taz.de -- Sozialkaufhaus in Hamburg-Wandsbek: Bei den Schwächsten gespart
       
       > Dem Sozialkaufhaus „Spenda Bel“ in Hamburg-Wandsbek droht die Schließung,
       > weil der Bund Gelder kürzt. Leidtragende sind Kund*innen und
       > Beschäftigte.
       
   IMG Bild: Vieles ist viel günstiger als im gewöhnlichen Einzelhandel: Regal in einem Sozialkaufhaus
       
       Hamburg taz | Draußen nieselt’s, drinnen brummt’s. Das Sozialkaufhaus
       „Spenda Bel“ in Wandsbek ist gut besucht. Kund*innen stöbern durch die
       Kleiderstangen im Verkaufsraum, im Café auf der anderen Seite des Raums
       sind alle Tische besetzt. Auf der Speisekarte stehen Kuchen, belegte Brote
       und ein täglich wechselnder Mittagstisch. Der Latte Macchiato kostet hier
       1,20 Euro. Einkaufen können im Spenda Bel alle, die im Monat weniger als
       die aktuelle Pfändungsfreigrenze zur Verfügung haben. Gerade sind das
       1.402,28 Euro.
       
       An diesem Dienstag ist Tag der offenen Tür, doch „es gibt viele Menschen,
       die jeden Tag hierher kommen“, erklärt Jörg Münch. Der 48-Jährige bezieht
       Bürgergeld und ist hier über einen Ein-Euro-Job beschäftigt, [1][im
       Jobcentersprech: „Arbeitsgelegenheit“ (AGH)]. Heute führen Münch und seine
       Kolleg*innen Interessierte durch die Räume, zu denen neben dem Café eine
       Schneiderei und eine Werkstatt gehören.
       
       „Die Arbeit hier war meine Rettung“, sagt die 44-jährige
       Langzeitarbeitslose Miriam Zorn. Wie ihr Kollege Münch arbeitet sie im
       Verkauf, seit drei Monaten ist sie fünf Tage die Woche hier. Vorher sei sie
       kaum unter Menschen gekommen, sagt sie. So geht es einigen der insgesamt 45
       über eine AGH Beschäftigten im Spenda Bel.
       
       Der Grundgedanke der „Arbeitsgelegenheit“ ist im Sozialgesetzbuch II
       festgeschrieben. Es geht darum, Arbeitslose für den ersten Arbeitsmarkt fit
       zu machen und soziale Teilhabe zu fördern. [2][Bürgergeld-Beziehende]
       sollen darüber bis zu 24 Monate lang 15 bis 30 Stunden die Woche in einer
       Einrichtung arbeiten, die „im öffentlichen Interesse liegt“. Dafür gibt es
       eine „Mehraufwandsentschädigung“ von zwei bis drei Euro pro Stunde,
       zusätzlich zum Bürgergeld. Die Arbeitsagentur kann Menschen auch zur
       Annahme einer AGH zwingen.
       
       ## „Hier macht einen keiner dumm“
       
       Der 26-jährige Aja Zettler hat seine Arbeitsberaterin gebeten, ihm eine
       AGH-Stelle zu suchen. Er macht die Arbeit wegen der Menschen und der
       Atmosphäre. „Hier macht einen keiner dumm, weil man etwas nicht so gut
       kann, wir sind hier alle gleich“, sagt er und seine Kolleg*innen nicken.
       Die Arbeit im Kaufhaus sei eine wichtige Stütze in ihrem Alltag, erzählen
       sie.
       
       Doch diese Stütze bröckelt. Am 31. Januar wird das Sozialkaufhaus in
       Wandsbek wohl seine Türen schließen müssen. Hintergrund ist eine
       Entscheidung des Bundes, der für den Haushalt 2024 Geld für die Jobcenter
       einsparen will. Für Hamburg heißt das: rund 9,6 Millionen Euro weniger für
       Eingliederungsmaßnahmen in den Arbeitsmarkt. Mit den angekündigten
       Kürzungen umzugehen, ist die Aufgabe des Jobcenters Hamburg, das nun die
       Hälfte der insgesamt 1.600 AGH-Stellen streichen möchte.
       
       Ohne die Finanzierung der AGH-Plätze sei das Kaufhaus in Wandsbek aber
       nicht mehr haltbar, erklärt Grietje Bergmeyer, eine der
       Geschäftsführerinnen des Trägervereins „einfal“. Besonders ärgerlich sei
       das, weil das Projekt vor nicht einmal zwei Jahren erst eröffnet wurde –
       und zwar im Zuge einer Entscheidung des Jobcenters, gerade solche
       Einrichtungen zu fördern, die wie das Spenda Bel „mehr sind als das
       klassische Sozialkaufhaus“, so Bergmeyer. Insgesamt sind sieben
       Einrichtungen des Trägers von den Kürzungen betroffen. In ganz Hamburg sind
       es 34 Projekte, darunter Sozialkaufhäuser, Cafés und Seniorenhilfen.
       
       Bergmeyer hält die Streichung der AGH-Stellen durch das Jobcenter für eine
       „voreilig getroffene Entscheidung zulasten der schwächsten Gruppe in dieser
       Gesellschaft“. Die Sparvorhaben des Bundes hätten ihrer Meinung nach auch
       an anderen Stellen umgesetzt werden können, zum Beispiel in der Verwaltung
       des Jobcenters. Vorschläge der Landesarbeitsgemeinschaft der
       Beschäftigungsträger, wie die Kürzungen anders umgesetzt werden könnten als
       durch die Streichung der Hälfte aller AGH-Stellen, hat die Sozialbehörde
       allerdings als „nicht finanzierbar“ abgelehnt ohne eigene Zahlen
       offenzulegen, wie die taz im September berichtete.
       
       ## Die Stadt sollte einspringen, sagt die Linke
       
       Olga Fritzsche, Sprecherin für Arbeitsmarktpolitik der Fraktion Die Linke
       in der Hamburger Bürgerschaft, sieht die Ursache des Problems dagegen
       woanders: Zwar kritisiert auch Fritzsche die Kürzungspläne des Bundes,
       findet aber, dass Träger wie Einfal ihre Finanzierung zu sehr auf die
       AGH-Plätze gebaut hätten. So habe die Stadt sich jahrelang aus der
       finanziellen Verantwortung gezogen.
       
       Statt auf den Erhalt der befristeten AGH-Stellen zu pochen, findet
       Fritzsche daher, dass die Stadt Hamburg einspringen und die Grundstruktur
       von Projekten wie dem Sozialkaufhaus in Wandsbek mit eigenen Mitteln
       finanzieren sollte, „bestenfalls sogar mit sozialversicherungspflichtigen
       Stellen“. Nur so könne die soziale Infrastruktur der Stadt langfristig
       erhalten bleiben.
       
       Die Menschen im Sozialkaufhaus Wandsbek müssen gerade kurzfristig denken.
       Weil die Finanzierung über die AGH-Stellen sehr wahrscheinlich ausläuft,
       hat der Träger „einfal“ vorsorglich den Mietvertrag gekündigt. „Stand jetzt
       gehen Ende Januar hier die Türen zu“, steht für Geschäftsführerin Bergmeyer
       fest. Für die Beschäftigten ist das bitter. „Wenn das Kaufhaus dichtmacht,
       sitzen wir alle wieder in der Butze“, sagt Miriam Zorn. „Ich würde dann
       eingehen.“
       
       Bevor es soweit ist, mobilisiert das Team vom Spenda Bel aber noch mal
       alles, um das Kaufhaus zu retten. Am vergangenen Donnerstag haben sie
       zusammen mit anderen betroffenen Hamburger Einrichtungen auf dem
       Rathausplatz demonstriert, es kamen 400 Menschen. Jörg Münch ist
       entschlossen: „Ohne Widerstand gehen wir nicht.“
       
       17 Oct 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Hamburgs-Jobcenter-kuerzt-Angebote/!5956750
   DIR [2] /Buergergeld-und-Lohnabstand/!5958461
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Amira Klute
       
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