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       # taz.de -- Pro-kurdische Aktivisten in Haft: Türkei setzt Delegation fest
       
       > Mehrere ausländische Aktivisten, darunter drei aus Göttingen, waren am
       > Donnerstag in der Türkei festgenommen worden. Nun wurden sie abgeschoben.
       
   IMG Bild: Wäre in der Türkei unterbunden worden: pro-kurdische Demonstration wie hier in Düsseldorf 2021
       
       Göttingen taz | Türkische Sicherheitskräfte haben am Donnerstag im Südosten
       des Landes [1][eine aus Kurden und Ausländern bestehende Beobachter- und
       Solidaritätsdelegation] festgesetzt. 15 der insgesamt 35
       Delegationsmitglieder kommen den Angaben zufolge aus Deutschland,
       Frankreich und Italien. Unter den neun Deutschen seien drei Personen aus
       Göttingen, sagte Mako Qocgiri, ein Sprecher des kurdischen Vereins Civaka
       Azad, am Freitag der taz.
       
       Die Delegation war vom Jugendrat der Grünen Linkspartei Yeșil Sol Parti
       (YSP) eingeladen worden und bestand hauptsächlich aus Studierenden. Die
       Jugendlichen und jungen Erwachsenen wollten am Donnerstag bei einer von
       ihnen einberufenen Pressekonferenz in der Stadt Urfa eine Erklärung zu den
       jüngsten Angriffen der türkischen Armee gegen die kurdisch geprägten
       Autonomieregionen in Nord- und Ostsyrien verlesen. Die türkische Polizei
       verhinderte das und ging teils gewaltsam gegen die Gruppe vor.
       
       Ein auf X, vormals Twitter, verbreitetes Video zeigt Szenen des
       Handgemenges: Mehrere Mitglieder der Delegation werden dabei von den
       Beamten ruppig zu Boden gerissen und weggeschleift. Auch Schlagstöcke
       seien eingesetzt worden, heißt es in einer Mitteilung des in Berlin
       ansässigen kurdischen Vereins.Die türkischen Sicherheitskräfte hätten ihr
       Vorgehen mit einem Verbot der Pressekonferenz durch den Provinzgouverneur
       erklärt und darüber hinaus darauf verwiesen, dass Ausländern die Teilnahme
       an Pressekonferenzen und ähnlichem untersagt sei.
       
       Die übrigen Festgenommenen gehören den Angaben zufolge linken Parteien und
       Organisationen wie der YSP, der größten kurdischen Partei Demokratische
       Partei der Völker (HDP) sowie der Partei der demokratischen Regionen (DBP)
       an.
       
       ## In Abschiebehaft gehalten
       
       „Wir sind entsetzt über das Vorgehen der türkischen Polizei und besorgt um
       die Jugendlichen. Wir fordern die sofortige Freilassung und ihre
       uneingeschränkte Bewegungsfreiheit“, sagte Michaela Kirchner von der
       Initiative Defend Kurdistan Göttingen. „Protest gegen die
       völkerrechtswidrigen Angriffe der Türkei auf zivile Infrastruktur und die
       Menschen in Rojava ist legitim und das mindeste, was wir aus Solidarität
       tun müssen.“
       
       In Göttingen hatten Mitglieder der Initiative und andere Aktivisten in
       den vergangenen Monaten immer wieder [2][gegen die Operationen der
       türkischen Armee in Rojava protestiert.] Das de facto autonome Gebiet im
       Nordosten von Syrien entstand 2016 und wird von einer Koalition aus
       kurdischen, assyrischen, arabischen und turkmenischen Organisationen
       geführt.
       
       Die internationale Gruppe war seit dem 7. Oktober in der Türkei unterwegs.
       Nach einem zweitägigen Aufenthalt in Istanbul reiste sie in die
       mehrheitlich von Kurden bewohnten Gebiete im Süden und Osten des Landes
       weiter. Auf dem Programm standen dabei Treffen vor allem mit verschiedenen
       kurdischen Organisationen, darunter auch dem kurdischen
       Journalistenverband. An diesem Sonntag wollte die Gruppe am Parteikongress
       der YSP in Ankara teilnehmen. Für Montag war die Abreise der Delegation
       geplant.
       
       Während die 20 kurdischen Teilnehmer am Freitag auf freien Fuß kamen – sie
       erwartet nun ein Verfahren wegen Verstoßes gegen das türkische
       Versammlungsgesetz –, wurden die Ausländer in Abschiebehaft genommen.
       Nach Informationen der ARD wurden neun der Festgenommenen im Laufe des
       Wochenendes nach Hamburg geflogen.
       
       ## Polizei umstellt Büro der HDP
       
       Die Pressekonferenz in Urfa sollte vor einem Einkaufszentrum im Bezirk
       Xelîlî (Haliliye) stattfinden. Doch bis dorthin kam die Delegation erst gar
       nicht. Die Polizei umstellte das örtliche Büro der HDP und verhinderte,
       dass sich die dort versammelten Menschen in Bewegung setzen konnten. Als
       die Anwesenden dennoch das Gebäude verlassen wollten, drängte die Polizei
       die Beteiligten unter dem Einsatz von Tränengas zurück. Aktivisten der
       YSP hätten daraufhin die Parole [3][„Bijî Berxwedana Rojava“ („Es lebe der
       Widerstand von Rojava“)] skandiert, berichtete das Kurdische Zentrum
       weiter.
       
       Urfa ist die Hauptstadt der türkischen Provinz Şanlıurfa mit über zwei
       Millionen Einwohnern. Die Stadt ist mehrheitlich von Kurden bewohnt.
       Zeitlich zu der Pressekonferenz in Urfa sollte die Presseerklärung auch in
       neun anderen türkisch-kurdischen Städten verlesen werden. All diese
       Veranstaltungen wurden jedoch von den Behörden verboten und teils – wie in
       Urfa – von der Polizei gewaltsam aufgelöst. Zur Begründung hieß es, dass
       die geplanten Pressekonferenzen gegen die zuvor erteilten
       Versammlungsverbote verstoßen würden.
       
       Die Initiative Defend Kurdistan Göttingen wandte sich noch am Freitagabend
       mit einem offenen Brief an drei Göttinger Mitglieder des Bundestags – Fritz
       Güntzler (CDU), Konstantin Kuhle (FDP) und Jürgen Trittin (Grüne). Die
       Sprecherin Michaela Kirchner kritisiert darin den brutalen Umgang der
       Polizei mit den Studierenden. „Die festgenommenen jungen Menschen hatten
       stundenlang ihre Hände auf dem Rücken gefesselt“, heißt es in dem Brief.
       Und weiter: „Das türkische Regime muss sofort die völkerrechtswidrigen
       Angriffe auf die Selbstverwaltungsgebiete in Nord-Ost-Syrien einstellen.“
       Das Ziel der Angriffe sei neben der Tötung von Bewohnern auch die gezielte
       Zerstörung ziviler Infrastruktur, um eine gesellschaftliche Katastrophe in
       den multi-ethnischen und multi-religiösen Gebieten herbeizuführen.
       
       Dieser Artikel wurde aktualisiert am 15.10.23 um 17:19 Uhr. 
       
       In einer früheren Version dieses Artikels wurde fälschlicherweise
       berichtet, dass der aus Osterholz-Scharmbeck bei Bremen stammende
       [4][Linkenpolitiker Mizgin Ciftci] ebenfalls festgenommen wurde. Er war nie
       Teil dieser Delegation und befindet sich in Freiheit. Die entsprechende
       Passage wurde nachträglich gestrichen.
       
       13 Oct 2023
       
       ## LINKS
       
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