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       # taz.de -- Chinesischer Ex-Premier gestorben: Trauer um Li Keqiang
       
       > Pekings Ex-Premier war das Gegenteil von Chinas heutigem Staatschef Xi
       > Jinping. Rechtsstaatlichkeit war ihm ein Anliegen – trotz eigener Fehler.
       
   IMG Bild: Der frühere chinesische Premier Li Keqiang im November 2015
       
       Peking taz | Das letzte Mal, als die Öffentlichkeit Li Keqiang erblickte,
       erschien der Ex-Premierminister in außerordentlich guter Stimmung. Mit
       breitem Lächeln im Gesicht besuchte der 68-Jährige die Mogao-Grotten im
       Nordwesten des Landes. Endlich schien der geschasste Parteikader im
       wohlverdienten Ruhestand seinen inneren Frieden gefunden zu haben. Doch nur
       wenige Woche später wurde Li tot aufgefunden. Er habe einen Herzinfarkt
       erlitten, schreiben die Staatsmedien.
       
       Das plötzliche Sterben chinesischer Führungskader hat immer wieder zu
       sozialen Umbrüchen in der Volksrepublik geführt. Nachdem etwa der liberale
       Parteisekretär Hu Yaobang 1989 einem Herzinfarkt erlag, mündeten die darauf
       folgenden Trauermärsche in der Protestbewegung vom Pekinger
       Tiananmen-Platz.
       
       Auch der Tod Li Keqiangs stellt für Staatschef Xi Jinping eine sensible
       Angelegenheit dar. Der tiefen Trauer der Öffentlichkeit wohnt nämlich auch
       eine implizite Botschaft inne: Das Volk betrauert nicht nur die Person
       selbst, sondern auch die politischen Wertvorstellungen, für die sie stand.
       Und der Wirtschaftspragmatiker Li Keqiang verkörperte zweifelsohne ein
       [1][China], das teils im krassen Gegensatz zum derzeitigen Status quo
       steht.
       
       Geboren wurde Li in Anhui, einer der ärmsten Provinzen des Landes. Als die
       Hochschulen nach dem Tod von Staatsgründer [2][Mao Tsetung] endlich wieder
       ihre Pforten öffneten, schrieb sich Li Keqiang an der renommierten
       Peking-Universität ein. Dort machte sich der Student schnell einen Namen
       als brillanter Kopf, der sich für Wirtschaft interessierte und auch
       kontroverse Themen nicht scheute. Darüber hinaus brachte er sich
       autodidaktisch Englisch bei, wie sich der Kommilitone und Anwalt Tao
       Jingzhou erinnert: Stets führte der wissbegierige Li Dutzende Karteikarten
       mit Vokabeln in den Taschen seines Mantels, um diese bei jeder Gelegenheit
       herauszuholen.
       
       ## Auch Li Keqiang hatte Leichen im Keller
       
       Tatsächlich wollte Li Keqiang damals seine Studien im Ausland fortsetzen.
       Doch der Parteisekretär der Peking-Universität intervenierte – und sorgte
       dafür, dass der schlaue und gewiefte Li der kommunistischen Jugendliga
       beitrat, wo er für eine Laufbahn als Führungsfigur aufgebaut werden sollte.
       Dementsprechend steil verlief seine spätere Karriere: Noch vor seinem 50.
       Lebensjahr hatte Li Keqiang bereits zwei chinesische Provinzen regiert.
       
       In jener Zeit ereignete sich auch das dunkelste Kapitel seines politischen
       Werdegangs: Als sich Ende der 1990er Jahre im zentralchinesischen Henan
       Tausende Bauern nach Blutplasma-Spenden mit [3][HIV] infizierten,
       ignorierte Li die rechtsstaatlichen Ideale seiner Jugend. Stattdessen
       wandte er die repressiven Taktiken der kommunistischen Partei an: Er
       zensierte Journalisten, setzte Whistleblower unter Hausarrest. Der Skandal
       sollte unbedingt unter Verschluss gehalten werden.
       
       In einer Demokratie hätte Li Keqiang eine solch beschämende Causa wohl kaum
       überlebt. Doch in der Volksrepublik China wurde er stattdessen immer weiter
       befördert: Zu Beginn der Zehnerjahre galt er gar als aussichtsreichster
       Kandidat für den Posten des Parteivorsitzenden. Doch stattdessen wurde er
       nur die Nummer zwei: Als Premierminister kümmerte sich Li fortan um die
       ökonomischen Geschicke des Landes.
       
       Seine ersten öffentlichen Äußerungen aus jener Zeit mögen zwar nur eine
       Dekade her sein, doch sie wirken angesichts der rasanten politischen
       Transformationen wie aus einer weit entfernten Vergangenheit: So sagte Li
       in einer Rede, dass die Unternehmen in China alles tun dürfen sollen,
       solange es das Gesetz nicht verbietet. Die Regierung jedoch dürfe
       ausschließlich das tun, wozu sie vom Gesetz verpflichtet sei. Xi Jinping
       hingegen propagiert mittlerweile gegenteilige Botschaften. Er bezeichnet
       Rechtsstaatlichkeit als westlichen Irrtum.
       
       ## „Ein Mann mit gebrochenem Herzen“
       
       Wie kaltherzig die Regierung Lis Tod handhabt, ist geradezu befremdlich. In
       den sozialen Medien wurden am Freitag fast alle User-Kommentare gelöscht,
       und die staatliche Nachrichtenagentur hatte die Nachricht zunächst mit
       einer sechszeiligen Randnotiz abgespeist.
       
       Außerhalb Festlandchinas ist die Empathie jedoch umso größer. Die
       mittlerweile in Hongkong lebende Journalistenlegende Wang Xiangwei
       betitelte einen Nachruf auf Li Keqiang kurz und knapp: „Ein Mann mit
       gebrochenem Herzen“.
       
       27 Oct 2023
       
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   DIR Fabian Kretschmer
       
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