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       # taz.de -- Bundesverfassungsgericht kippt Gesetz: Unnötig kleinkariert
       
       > Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass von Mord
       > Freigesprochene nicht erneut angeklagt werden dürfen. Doch die Argumente
       > überzeugen nicht.
       
   IMG Bild: Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts während der Urteilsverkündigung am Dienstag
       
       Eigentlich kann man stolz sein auf das Bundesverfassungsgericht. Es
       verteidigt die Grundrechte auch dann, wenn es um unsympathische und
       gefährliche Personen geht. Aber nicht jedes unpopuläre Urteil ist schon
       deshalb überzeugend, weil es unpopulär ist.
       
       Aktuelles Beispiel: [1][Karlsruhe hat jetzt ein Gesetz für nichtig
       erklärt], das die Wiederaufnahme von Strafverfahren nach einem Freispruch
       ermöglicht, wenn es neue überzeugende Beweismittel gibt, zum Beispiel eine
       DNA-Analyse, die früher noch nicht möglich war. Das Verfassungsgericht hat
       das Gesetz für nichtig erklärt, weil es gegen das grundgesetzliche Verbot
       der Mehrfachverfolgung verstoße.
       
       Nun kann eigentlich in jedes Grundrecht – außer der Menschenwürde – mit
       einem verhältnismäßigen Gesetz eingegriffen werden, wenn es um den Schutz
       anderer Verfassungswerte geht. Dagegen soll jetzt das Recht eines
       mutmaßlichen Mörders, nach einem Freispruch nicht erneut vor Gericht
       gestellt zu werden, absolut geschützt sein. Das ist nicht stimmig. Man
       hätte die Karlsruher Strenge vielleicht nachvollziehen können, wenn es hier
       um den ersten Eingriff in das Verbot der Mehrfachverfolgung überhaupt
       ginge.
       
       Aber es gibt ja bereits vier Ausnahmen: So ist durchaus ein neuer Prozess
       möglich, wenn der Freispruch auf einer gefälschten Urkunde beruhte oder
       wenn der Täter nach dem Freispruch ein Geständnis ablegt. Das alles soll
       laut Karlsruhe verfassungskonform sein, nur eine neue Beweislage muss aus
       verfassungsrechtlichen Gründen ignoriert werden. Das überzeugt nicht. Es
       hätte auch kein Dammbruch gedroht. [2][Das gekippte Gesetz sollte auf Fälle
       von Mord und Menschheitsverbrechen anwendbar sein]. Es hätte also wohl eh
       nur alle paar Jahre einen Anwendungsfall gegeben.
       
       So ein Gesetz muss man als Gesetzgeber nicht machen. Aber wenn das Gesetz
       schon mal da ist, stärkt es auch nicht gerade das Vertrauen in den
       Rechtsstaat, dass es mit wenig zwingender Begründung gleich wieder für
       nichtig erklärt wird. Karlsruher Heldenmut ist gut – aber hier war er
       schlecht investiert.
       
       31 Oct 2023
       
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   DIR [1] /Bundesverfassungsgericht/!5966851
   DIR [2] https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/verfassungsgericht-freispruch-rechtssicherheit-fall-frederike-prozess-100.html
       
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   DIR Christian Rath
       
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