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       # taz.de -- Steinmeier und König Charles in Afrika: Verbeugungen vor der Geschichte
       
       > Der Bundespräsident entschuldigt sich in Tansania für Kolonialverbrechen.
       > Großbritanniens König Charles nennt sie derweil in Kenia
       > „unentschuldbar“.
       
   IMG Bild: Songea, Tansania: Frank-Walter Steinmeier gedenkt getöteter antikolonialer Widerstandskämpfer
       
       Berlin taz | Deutschlands Staatsoberhaupt ehrt Afrikaner, die gegen
       Deutschland gekämpft haben – Großbritanniens Staatsoberhaupt ehrt
       Afrikaner, die für Großbritannien gekämpft haben. Die Besuche von
       Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Tansania und König Charles III.
       in Kenia in diesen Tagen sind Gelegenheiten zur Pflege von
       Erinnerungskultur, und sie fällt sehr unterschiedlich aus.
       
       In Tansania hat der deutsche Präsident am Mittwoch die wichtigste Erwartung
       von deutschen Kritikern des Umgangs mit der eigenen Kolonialgeschichte
       erfüllt: um Entschuldigung zu bitten. Er reiste nach Songea im Süden des
       Landes, wo sich Tansanias wichtigste Gedenkstätte an den Maji-Maji-Aufstand
       gegen die deutsche koloniale Gewaltherrschaft Anfang des 20. Jahrhunderts
       befindet, und traf Nachfahren von Chief Songea Mbano, der dort 1906
       zusammen mit anderen Aufstandsführern öffentlich von den Deutschen
       hingerichtet worden war. Sein Schädel ist bis heute in Deutschland
       verschollen.
       
       Steinmeier hielt eine Ansprache und sagte laut dem [1][amtlich verbreiteten
       Redetext]: „Liebe Familie Mbano, auch wer in Deutschland mehr über deutsche
       Kolonialgeschichte weiß, muss entsetzt sein über das Ausmaß der
       Grausamkeit, mit der die deutsche Kolonialbesatzung vorgegangen ist, muss
       entsetzt sein über das, was ich von Ihnen gehört habe. Es beschämt mich! Es
       beschämt mich, was deutsche Kolonialsoldaten Ihrem Ahnherrn und seinen
       Mitkämpfern angetan haben (…) Ich trauere mit Ihnen um Chief Songea und um
       die anderen Hingerichteten. Ich verneige mich vor den Opfern der deutschen
       Kolonialherrschaft. Und als deutscher Bundespräsident möchte ich um
       Verzeihung bitten für das, was Deutsche hier Ihren Vorfahren angetan
       haben.“
       
       Schließlich schrieb er ins Gästebuch der Gedenkstätte den bemerkenswerten
       Satz: „Ich verneige mich vor den Helden des Maji-Maji-Krieges und trauere
       um alle Opfer der deutschen Kolonialherrschaft.“
       
       ## Maji-Maji und Mau-Mau
       
       Um Entschuldigung zu bitten – diese Forderung war auch an den britischen
       König Charles III. herangetragen worden, bevor er am Dienstag zu einem
       viertägigen Staatsbesuch nach Kenia aufbrach. Die britische Debatte um
       Kriegsverbrechen bei der Niederschlagung des antikolonialen
       Mau-Mau-Aufstands in Kenia in den 1950er Jahren ist ungleich heftiger als
       die deutsche, da viele Opfer und Täter von damals noch am Leben sind.
       
       Fünf Hinterbliebene verklagten 2009 in London die Regierung und erstritten
       nach drei Jahren Wiedergutmachung in Millionenhöhe für 5.228 Sammelkläger.
       Der damalige Außenminister William Hague erklärte 2013 im britischen
       Parlament, die Regierung erkenne nun an, „dass Kenianer Folter und anderen
       Formen von Misshandlung durch die Kolonialverwaltung ausgesetzt waren“ und
       „bedauert ehrlich, dass diese Übergriffe geschehen sind“. Der britische
       Botschafter in Kenia damals, Christian Turner, [2][verlas die Rede am
       gleichen Tag] in der Hauptstadt Nairobi vor Mau-Mau-Veteranen.
       
       Die Königsfamilie hat dies bislang vermieden. Sie pflegt die Nostalgie an
       die Siedlerkolonie Kenia, wo [3][Queen Elizabeth II. im Jahr 1952 zur
       Königin wurde]. Kolonialhistorikerin Caroline Elkins riet ihm in einem
       Zeitungsbeitrag am Sonntag, andere Töne anzuschlagen: „Sie müssen Ihren
       Paternalismus ablegen, sich entschuldigen und Wiedergutmachung für die
       Kolonialverbrechen anbieten, die im Namen Ihrer Familie verübt wurden.“
       
       König Charles hat diese Gelegenheit nicht ergriffen. Beim Staatsbankett in
       Kenias Präsidentenpalast am Dienstagabend äußerte er lediglich „Bedauern“ –
       die bestehende Sprachregelung. „Die Fehler der Vergangenheit geben Anlass
       zu größter Trauer und tiefstem Bedauern“, [4][sagte er wörtlich]. „Es gab
       schreckliche und nicht zu rechtfertigende Gewaltakte gegen Kenianer (…) Das
       ist unentschuldbar.“ Die Feststellung, eine Entschuldigung sei nicht
       möglich – „there can be no excuse“ im Original – geht vordergründig weiter
       als eine Bitte um Entschuldigung, aber sie vermeidet eben den
       Schlüsselbegriff „apology“.
       
       ## Gekommen, um zu lernen
       
       In Kenia ist Großbritannien heute viel präsenter als es Deutschland in
       Tansania ist. Das hat historische Gründe: Im Ersten Weltkrieg eroberte
       Großbritannien die deutsche Tanganyika-Kolonie, die 1964 mit dem britischen
       Sansibar zur Bundesrepublik Tansania vereint wurde. Tansania wandte sich
       danach lange vom Westen ab, der Nachbar Kenia blieb ein Bollwerk westlicher
       Militärpräsenz. In Nairobi ist die ökonomische Verflechtung mit London bis
       heute überdeutlich, die britischen Landenteignungen hatten nach der
       Unabhängigkeit Bestand, es stehen in Kenia britische Soldaten.
       
       König Charles ehrte am Mittwoch britische und kenianische Gefallene des
       Zweiten Weltkriegs. Am Soldatenfriedhof traf er den ältesten lebenden
       Weltkriegsveteranen der Welt: Samwel Nthigai Mburia, 117 Jahre alt, der
       sich vom nur 74 Jahre alten König neue Medaillen aushändigen ließ. Die
       alten hatte er während des Mau-Mau-Aufstandes weggeworfen. Jetzt wurden sie
       ersetzt.
       
       „Sie sind toll“, sagte der beeindruckte britische König dem kenianischen
       Exsoldaten im Rollstuhl. Etwa zeitgleich zwängte sich der deutsche
       Präsident in Songea in Tansania auf eine Holzbank in einer Grundschule mit
       drei eingepressten kleinen Kindern. Beide Staatsoberhäupter sagen, sie
       seien gekommen, um zu lernen. Es fällt beiden nicht leicht.
       
       1 Nov 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Frank-Walter-Steinmeier/Reden/2023/11/231101-Songea-Maji-Maji-Museum.html?nn=1892032
   DIR [2] https://www.gov.uk/government/speeches/uk-kenya-shared-history-recognition-and-reconciliation
   DIR [3] /Die-Queen-und-Afrika/!5877767
   DIR [4] https://www.royal.uk/news-and-activity/2023-10-31/a-speech-by-his-majesty-the-king-at-the-state-banquet-kenya
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dominic Johnson
       
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