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       # taz.de -- Neue Ausstellung „The Great Repair“: Reparieren statt neu bauen
       
       > Die Ausstellung „The Great Repair“ in der AdK Berlin plädiert für die
       > sozial-ökologische Revolution im Städtebau. Ein Schlüssel dafür: mehr
       > Reparatur.
       
   IMG Bild: Blick in die Ausstellung „The Great Repair“ in der Akademie der Künste, Berlin, 2023
       
       Mit dieser Ausstellung habe man die altehrwürdige Institution aufgemischt,
       sagt [1][Anh-Linh Ngo, Redaktionsleiter der in Berlin erscheinenden
       Architekturzeitschrift Arch+] und einer der Kuratoren der Ausstellung „The
       Great Repair“ („Die große Reparatur“). Gemeint ist die 1696 gegründete
       Akademie der Künste (AdK) – und die Ausstellung, die Ngo gemeinsam mit fünf
       weiteren Expert:innen aus dem Bereich der Architektur und Stadtforschung
       in deren Ausstellungshallen am Hanseatenweg kuratiert hat, gibt sich gleich
       eingangs Mühe, diesem Anspruch gerecht zu werden. Statt wie sonst üblich
       den Zugang über die Haupttreppe zu führen, gelangt man in die Hallen im
       ersten Stock nun quasi über die Hinterbühne – über ein funktionales und
       keinesfalls repräsentatives Treppenhaus, sonst nur Mitarbeitenden der AdK
       zugänglich.
       
       Mit diesem kuratorischen Kniff richtet sich der Blick statt auf die
       Architektur des Gebäudes auf dessen Bausubstanz, denn unversehens trifft
       man hier auf die Beschriftung zu einem Exponat, auf dem man bereits steht:
       „Der Boden entspricht nicht den heutigen DIN-Normen, aufgrund ihrer
       Robustheit ist die Konstruktion aber gut gealtert und zeigt keine
       erheblichen Schäden. Ein Eingriff ist nicht notwendig.“
       
       „The Great Repair“ ist eine von einem Vermittlungsprogramm und zwei
       Arch+-Ausgaben gesäumte Ausstellung, die den Versuch wagt, das große
       Projekt dringend anstehender gesellschaftlicher Transformationen aus
       bereits existierenden (architektonischen, stadtplanerischen,
       restauratorischen etc.) Praktiken abzuleiten.
       
       Fallbeispiel AdK: Für die in den 2000er Jahren nötig gewordene Sanierung
       des von [2][Werner Düttmann] und Sabine Schumann entworfenen, 1960
       fertiggestellten und unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes galt dem
       Berliner Büro „Brenne Architekten“ die Prämisse, trotz notwendiger
       technischer Eingriffe so wenig wie möglich an dessen Materialsubstanz zu
       verändern. Einige Beispiele, wie dies „kreativ“ gelöst wurde, werden hier
       im Treppenhaus gezeigt.
       
       Der Bezug zur AdK endet für die Ausstellung damit aber auch schon
       weitgehend. Vielmehr ist die Sanierung der Akademie nur ein Beispiel von
       vielen in den anschließenden Ausstellungshallen, in denen es, angesichts
       von [3][Ressourcenverschwendung und den insbesondere im Baugewerbe
       exorbitant hohen CO2-Emissionen], ums vor allem bauliche Umdenken,
       Anknüpfen, Umbauen, Innehalten geht, mal künstlerischer, mal
       dokumentierender.
       
       Die sozialökologische Revolution, so die These der Ausstellung, wird durch
       Reparatur gelingen, jenseits grüner Wachstumsideen. Arbeiten und Exponate
       von rund 40 Beteiligten – Architekturbüros, Künstler:innen,
       Universitätsinstitute – sollen dabei nicht die Dringlichkeit notwendiger
       systemischer Veränderungen illustrieren, sondern sind stets schon einen
       Schritt weiter, probieren aus, erforschen, ermitteln, realisieren.
       
       ## Kontinuierliche Instandsetzung
       
       Da ist das Modell eines Hauses in Tokio, das die Architekt:innen
       Fuminori Nousaku und Mio Tsuneyama im Sinn einer „kontinuierlichen
       Instandsetzung“ bewohnen und es so vor dem eigentlich programmierten Abriss
       retteten – mit der Konsequenz, dass es für die einen wie eine
       Dauerbaustelle aussehen mag, für andere ein Vorbild des Erhaltens und
       ressourcensparenden Lebens darstellt.
       
       Da ist das Beispiel der „Triemli-Türme“ in Zürich, dreier noch stehender
       Hochhäuser aus den 1960er Jahren, deren Abrissbeschluss vor 20 Jahren
       mittlerweile von der „Zürcher Arbeitsgruppe für Städtebau“ mit konkreten
       Vorschlägen für eine Um- und Weiternutzung erfolgreich hinterfragt und der
       Abriss zunächst aufgeschoben wurde.
       
       Da ist das Video „Cars into Bicycles“ des Berliner Künstlerduos Folke
       Köbberling & [4][Martin Kaltwasser], das den Umbau eines kaputten Autos in
       ein funktionierendes Lastenfahrrad dokumentiert. Wie dies mit Stadtplanung
       zusammenhängen kann, zeigt ein Projekt der Universität Luxemburg, bei dem
       es um Ideen für die Umnutzung eines großen Gewerbegebiets geht, dessen
       Bodenversiegelung nicht unwesentlich durch Parkplätze bewirkt wird.
       
       ## Radikaler Ausdruck der Selbstreparatur
       
       Dass dies alles Transformationsideen sind, die das Systemische des Problems
       – den „warenförmigen Zustand von Architektur“ – nur punktuell angehen
       können, ist der Ausstellung durchweg bewusst. Ein Plakat mit dem Text des
       „Global Moratorium on New Construction“ (2020), ein Aufruf der Architektin
       Charlotte Malterre-Barthes zum weltweiten Unterlassen jeglicher
       Neubautätigkeiten, legt hier als „radikalster Ausdruck der Selbstreparatur“
       die Latte des Visionären am höchsten.
       
       Das von dem Architekturhistoriker Alexander Stumm 2022 initiierte
       „Abriss-Moratorium“, das den Erhalt oder Umbau aller nach erfolgreicher
       sozialökologischer Prüfung erfasster Bestandsgebäude fordert, bringt den
       gestaltungspolitischen Geist der Ausstellung da schon eher auf den Punkt.
       Am Ende des Parcours kann man es sich zudem zur weiteren Verteilung
       mitnehmen, indem man es – diesen Witz darf man den Kurator:innen
       durchgehen lassen – von einem Block abreißt.
       
       2 Nov 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Oekonomie-und-Architektur-in-Berlin/!5741438
   DIR [2] /Essay-zu-Architekt-Werner-Duettmann/!5760766
   DIR [3] /Recycling-von-Haeusern/!5761378
   DIR [4] /Nachruf-auf-Martin-Kaltwasser/!5890292
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Martin Conrads
       
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