URI: 
       # taz.de -- Antisemitismus und Rassismus: Wenn Moral zum Werkzeug wird
       
       > Rechte passen ihre Meinungen gerne so an, dass die Argumentation passt.
       > Marginalisierte Gruppen werden auf diese Art oft gegeneinander
       > ausgespielt.
       
   IMG Bild: Antisemitische Schmierereien an den Hauswänden im 14. Arrondissement von Paris Ende Oktober
       
       Oft werde ich gefragt, wen ich eigentlich mit diesem „Wir“ meine, das sich
       durch meine Texte zieht. Sehr treffend haben es Fatma Aydemir und Hengameh
       Yaghoobifarah im Vorwort zum Sammelband „Eure Heimat ist unser Albtraum“
       beschrieben:
       
       „Nicht die Herausgeber_innen und Autor_innen dieses Buchs entscheiden, wo
       das „Wir“ endet und das „Ihr“ beginnt. Sondern jede_r Leser_in bestimmt für
       sich selbst: Will ich in einer Gesellschaft leben, die sich an völkischen
       Idealen sowie rassistischen, antisemitischen, sexistischen,
       heteronormativen und transfeindlichen Strukturen orientiert? Oder möchte
       ich Teil einer Gesellschaft sein, in der jedes Individuum, ob Schwarz
       und/oder jüdisch und/oder muslimisch und/oder Frau und/oder queer und/oder
       nicht-binär und/oder arm und/oder mit Behinderung, gleichberechtigt ist?“
       
       Marginalisierte Gruppen werden ständig gegeneinander ausgespielt: Es gibt
       Leute, die belächeln beispielsweise Safer Spaces für Frauen. Doch wenn es
       darum geht, [1][Argumente gegen die Selbstbestimmung von trans Frauen zu
       finden], werden Safe Spaces plötzlich wieder interessant.
       
       ## Marginalisierte gegeneinander ausgespielt
       
       Zugänglichkeit und Inklusion von Behinderten ist für diese Menschen nur
       dann relevant, wenn nach einem Argument gegen gendergerechte Sprache
       gesucht wird. Das Sicherheitsgefühl von Frauen im öffentlichen Raum wird
       erst dann angesprochen, wenn nach einem Grund dafür gesucht wird,
       obdachlose Menschen aus den Parks zu vertreiben.
       
       Und auf die Situation von Obdachlosen, Altersarmut oder medizinische
       Unterversorgung wird genau dann aufmerksam gemacht, wenn Steuergelder in
       die Hand genommen werden sollen, um die Situation Geflüchteter zu
       verbessern.
       
       Rechte und Konservative, die sonst eigentlich davon sprechen, dass man es
       mit der Erinnerung an die [2][Shoa] und dem Antisemitismus-Thema nicht
       übertreiben solle, interessieren sich auf einmal für die Sicherheit von
       Jüdinnen und Juden, wenn ihnen das ermöglicht, so gegen Muslime hetzen zu
       können.
       
       Mein „Wir“ bleibt davon meist unbeeindruckt. Nicht nur, weil hier mit
       Unwahrheiten und Vorurteilen gespielt wird, um die Behauptung aufzustellen,
       eine marginalisierte Gruppe sei eine Gefahr für die andere. Diese
       Konkurrenz ist ein „Ihr“-Problem, denn wir haben den Anspruch, möglichst
       alle mitzudenken, Menschen als Individuen wahrzunehmen und nicht als
       Gruppen abzuwerten. Wir tun das, um gemeinsam an der gerechteren
       Gesellschaft zu arbeiten.
       
       ## Antisemitismus nicht mit Rassismus bekämpfen
       
       Je besser die Zeiten, desto einfacher ist das. Je sicherer ich mich fühle,
       desto besser kann ich auf andere achtgeben. Doch wenn ich das Gefühl habe,
       selbst mit meinem Schmerz und meiner Angst kein Gehör zu finden, dann fällt
       es mir schwer, anderen zuzuhören. Deshalb schreibe ich hier etwas, das
       eigentlich klar sein sollte:
       
       [3][Antisemitismus lässt sich nicht mit Rassismus bekämpfen.] Wir müssen
       aufstehen gegen die Verschärfung des Asylrechts und des
       Staatsbürgerschaftsrechts. Wir müssen uns gegen antimuslimische
       Stimmungsmache und Gewalt wehren.
       
       Und außerdem gilt: Die eigene Rassismuserfahrung rechtfertigt keinen
       Antisemitismus und ist kein Grund dafür, Antisemitismus in Deutschland
       kleinzureden. Wir müssen antisemitischen Parolen laut widersprechen. Wir
       müssen uns schützend vor jüdische Einrichtungen stellen.
       
       3 Nov 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Sicherheitsbedenken-gegen-Unisex-Raeume/!5888758
   DIR [2] /Beunruhigende-EU-Studie/!5965442
   DIR [3] /Terror-verharmlosen-in-Deutschland/!5962422
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Simone Dede Ayivi
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Antisemitismus
   DIR Schwerpunkt Nahost-Konflikt
   DIR Kolumne Diskurspogo
   DIR Moral
   DIR Ableismus
   DIR TikTok
   DIR Schwerpunkt Nahost-Konflikt
   DIR Robert Habeck
   DIR Schwerpunkt Nahost-Konflikt
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Diskriminierung durch Ableismus: Es kann jede Person treffen
       
       Spätestens im Alter sind wir alle auf Barrierefreiheit, Außenfahrstühle und
       leichte Sprache angewiesen. Trotzdem wird wenig gegen Ableismus getan.
       
   DIR Hass durch Memes auf TikTok: Bomben zwischen Katzenvideos
       
       Auf TikTok verbreiten sich Verschwörungstheorien und antisemitische
       Inhalte. Das liegt am Algorithmus und an der Lust auf Einfachheit.
       
   DIR Verbot von Hamas und Samidoun: Schlag gegen Israelhass
       
       Schon vor drei Wochen war es angekündigt, nun erteilt Innenministerin
       Faeser ein Betätigungsverbot für die Hamas und Samidoun in Deutschland.
       
   DIR Hamas-Angriff auf Israel: Viel Lob für Habeck-Video
       
       Der Vizekanzler erklärt in einem Video Israels Sicherheit als deutsche
       „Staatsräson“ und verurteilt Antisemitismus – von links, rechts, von
       Muslimen.
       
   DIR Israel-Solidarität in Berlin: Was hängen bleibt
       
       In Berlin haben Polizist_innen Plakate der israelischen Hamas-Geiseln
       entfernt. Rechte Sticker und Katzengesuche bleiben. Das also sind die
       Prioritäten.