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       # taz.de -- Evakuierung aus dem Gazastreifen: „Natürlich möchte ich ausreisen“
       
       > Über Rafah konnten weitere Menschen mit ausländischem Pass aus dem
       > Gazastreifen evakuiert werden. Doch die meisten Deutschen sitzen noch
       > fest.
       
   IMG Bild: Auch sie wollen weg: Palästinenser*innen am Grenzübergang Rafah (02.11.2023)
       
       Berlin taz | Den zweiten Tag in Folge konnten am Donnerstag Menschen den
       Gazastreifen verlassen, der seit fast vier Wochen unter heftigem
       Bombardement durch die israelische Armee steht. Am Morgen verließen laut
       palästinensischen Angaben zwei Busse mit insgesamt 100 Personen das Gebiet.
       Alle Ausgereisten hatten demnach ausländische Pässe.
       
       Wie bereits am Vortag verließen sie [1][Gaza] über den Übergang Rafah an
       der Grenze zur ägyptischen Sinai-Halbinsel. Dieser ist seit Mittwoch für
       Ausländer geöffnet. Seit dem Großangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober
       war Rafah – wie alle anderen Grenzübergänge des Gazastreifens – für
       Personen geschlossen worden. Im Laufe des Donnerstags sollten ägyptischen
       Angaben zufolge insgesamt bis zu 400 Menschen mit ausländischem Pass sowie
       60 Verletzte die Grenze passieren.
       
       Weiterhin warten jedoch noch mehrere Tausend ausländische Staatsangehörige
       darauf, ausreisen zu können – darunter sei auch eine „niedrige dreistellige
       Zahl“ Deutscher, wie es aus dem Auswärtigen Amt in Berlin hieß.
       
       Einer von ihnen ist der Deutsch-Palästinenser Wesam Amer, der seit nun vier
       Wochen im Gazastreifen feststeckt. „Natürlich möchte ich ausreisen“, sagt
       er am Donnerstag zur taz. „Ich habe es mit der Elefand-Liste
       (Krisenvorsorgeliste des Auswärtigen Amts; d. Red.) versucht und auch eine
       E-Mail an die deutsche Vertretung in Ramallah geschickt“, erzählt er. Bis
       Donnerstagnachmittag hatte er allerdings noch keine Information erhalten,
       ob auch er bald ausreisen kann.
       
       ## Etwa 7.000 Ausländer*innen noch im Kriegsgebiet
       
       Amer, der eigentlich an der Universität von Gaza-Stadt in Nordgaza
       arbeitet, hält sich aktuell in Chan Junis im Süden des Küstenstreifens auf.
       Israel hatte die gesamte Bevölkerung im Norden aufgefordert, das Gebiet zu
       verlassen. „Um ein paar Laibe Brot zu bekommen, muss ich drei bis fünf
       Stunden am Tag in einer Schlange stehen“, sagt Amer. Eine seiner größten
       Sorgen ist, dass seine schwangere Frau entbindet, bevor die beiden
       ausreisen können. „Wenn sie entbindet, kann sie nicht mehr gehen und ich
       kann auch keine Dokumente wie eine Geburtsurkunde oder einen Pass für das
       Baby besorgen.“
       
       Der stellvertretende ägyptische Außenminister Ismail Chairat erklärte am
       Donnerstag, dass sich insgesamt etwa 7.000 Ausländer*innen aus mehr als
       60 Ländern im Gazastreifen aufhielten. Unter ihnen seien viele Menschen mit
       Familie, aber auch Mitarbeiter*innen von internationalen
       Organisationen. Am Mittwoch hatten – erstmals seit Beginn des Krieges –
       mehrere Dutzend schwer verletzte Palästinenser*innen und einige
       Hundert Personen mit ausländischer Staatsbürgerschaft [2][das Kriegsgebiet]
       verlassen dürfen.
       
       Wie Wesam Amer wartet auch die Familie der Berlinerin Samira, die in der
       aktuellen Lage ihren echten Namen nicht in der Zeitung sehen möchte, noch
       auf positive Nachrichten der Behörden. Samira bangt um ihre Mutter, die zu
       Besuch zu ihrer Schwiegertochter in den Gazastreifen gereist war, um ihr
       gerade geborenes Enkelkind kennenzulernen. Dann brach der Krieg aus und die
       Grenzen waren dicht. „Es ist unerträglich“, sagt Samira am Donnerstag, die
       zuletzt am Mittwoch mit ihrer Mutter telefonieren konnte, „jedes Mal, wenn
       wir auflegen, verabschiedet sie sich.“
       
       Auch Samiras Mutter, die vor Jahrzehnten aus Gaza nach Deutschland
       ausgewandert ist, hat einen deutschen Pass. Auch sie sei auf der
       Elefand-Liste registriert, sagt Samira, doch bislang bekomme sie die immer
       gleiche Nachricht: Sie solle sich bereit halten und all ihre Dokumente zur
       Hand haben. Am Mittwoch sei ihre Mutter sogar in der Hoffnung, ausreisen zu
       können, und unter lebensbedrohlichen Umständen zum Grenzübergang Rafah
       gereist – nur um zu erfahren, dass ihr Name nicht auf der Liste der
       Ausreisegenehmigungen stand.
       
       ## Evakuierung aus Gaza kaum ein Thema
       
       Dass es fast vier Wochen gedauert hat, bis die ersten Deutschen ausreisen
       konnten, ist für viele Betroffene nicht nachvollziehbar. „Wir sind einfach
       deutsche Staatsbürger, genau wie die aus Israel Evakuierten“, sagt Amer.
       „Wir haben nie einen Anruf oder eine E-Mail von der Botschaft erhalten, in
       der man sich nach uns erkundigt und gefragt hat, wie wir überleben oder ob
       wir irgendetwas brauchen.“ Immer habe es geheißen: „Wir arbeiten daran.“
       „Sie arbeiten seit 25 Tagen daran“, sagt Amer.
       
       Aus Israel wurden relativ schnell nach dem Terroranschlag der Hamas mehrere
       Tausend Bundesbürger*innen und Familienmitglieder evakuiert. Viele
       wurden mit Sonderflügen der Lufthansa aus dem Land gebracht. Die
       Evakuierung aus dem Gazastreifen gestaltete sich schwieriger. Die ersten
       Ausreisen am Mittwoch waren nach einer Einigung zwischen Israel, Ägypten
       und der Hamas zustande gekommen.
       
       Dass [3][die Evakuierung aus Gaza] in Deutschland kaum ein Thema ist, kann
       Samira nicht verstehen: „Wir brauchen hier auch Fürsprecher für die
       Bevölkerung in Gaza. Sie muss auch die Möglichkeit haben, vernünftig
       informiert zu werden, um rechtzeitig ausreisen zu können“, sagt sie. „Ist
       das Leben des einen Menschen mehr wert als das des anderen?“ Im Moment
       erscheine es ihr, als würden die deutschen Staatsbürger*innen im
       Gazastreifen von ihrer Regierung im Stich gelassen.
       
       Laut Auswärtigem Amt konnte bislang lediglich eine niedrige einstellige
       Zahl deutscher Staatsbürger*innen aus dem Gazastreifen ausreisen. Es
       habe sich um Mitarbeiter*innen von Hilfsorganisationen gehandelt.
       
       Unter den mehr als 400 Personen, die am Mittwoch ausreisen konnten,
       befanden sich 361 Ausländer*innen, darunter neben den Deutschen auch
       Personen mit österreichischem, italienischem, französischem und
       US-amerikanischem Pass.
       
       2 Nov 2023
       
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