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       # taz.de -- Kritische Rohstoffe: Die EU ruft nach dem Bergbau
       
       > Ohne Metalle keine Transformation. Europa muss fast alle importieren.
       > Deshalb will die EU nun auf Recycling und heimische Rohstoffe setzen.
       
   IMG Bild: Visionen des Bergbauunternehmens Saxore: noch virtueller Stolleneingang bei Rittersgrün
       
       Berlin taz | Ein Klick auf die Internetseite der kleinen Gemeinde
       Breitenbrunn, und [1][das Problem der Rohstoffgewinnung in Deutschland] ist
       verstanden: Unter dem Reiter „Geschichte“ wird über den Bergbau berichtet,
       der das Dorf im sächsischen Erzgebirge „über Jahrhunderte prägen sollte“
       und schon in der ersten urkundlichen Erwähnung im Jahre 1380 vorkommt.
       Unter „Gegenwart“ wird auf der Website über Sportplätze, Restaurants und
       Wanderwege informiert: „Moderne Ferieneinrichtungen“, „fernab des
       Massentourismus“. Früher Bergbau – heute Tourismus. Und morgen?
       
       „Wir hoffen, dass wir im Laufe des Jahres 2026 mit der Zinn-Förderung
       anfangen können“, sagt Thomas Bünger, Geschäftsführer der Saxore Bergbau
       GmbH mit Sitz in Freiberg, eins von 35 Unternehmen der Bergbaubranche, die
       sich [2][im Rahmen des neuen „Berggeschreis“ in Sachsen] niedergelassen
       haben.
       
       Mit der Förderung von Lithium, Gallium oder Silber begonnen hat allerdings
       noch keines. Experten gehen nicht davon aus, dass im Erzgebirge in den
       nächsten zehn Jahren Dutzende Bergwerke eröffnet werden. Zwei bis drei
       Projekte könnten eine Genehmigung erhalten, und die Freiberger Saxore ist
       in den Verfahren schon weiter fortgeschritten als andere. Sie will mehrere
       Metalle fördern, darunter Zinn, Antimon, Indium, Gallium, Silber.
       
       Einige dieser Stoffe führt die [3][EU auf ihrer Liste „kritischer
       Metalle“]; sie werden für die Transformation der Wirtschaft dringend
       benötigt, für Photovoltaik, Turbinen, Batterien, und ihre sichere und
       günstige Versorgung auf dem Weltmarkt ist nicht gewährleistet. Das Problem
       ist nicht neu, doch der Angriff Russlands auf die Ukraine und das [4][neue
       Selbstverständnis Chinas haben es verschärft].
       
       ## Kurzer Prozess geplant
       
       Die [5][EU reagiert darauf mit dem „Critical Raw Materials Act“]. Am
       Dienstag verhandeln Parlament, Kommission und Rat der Europäischen Union
       darüber, wie dieses „Gesetz über kritische Rohstoffe“ genau formuliert sein
       soll. Weil das Thema drängt, könnte das Vorhaben ungewöhnlich schnell
       vorangehen: Bis Ende des Jahres soll verhandelt werden, im Frühjahr könnte
       das Gesetz verabschiedet werden. Die Folgen währen weitreichend.
       
       Trilogverfahren finden klassischerweise hinter verschlossenen Türen statt,
       der genaue Verhandlungsstand ist unbekannt. Im Kern geht es um mehr
       heimischen Bergbau, [6][mehr Recycling] und stabilere Lieferpartnerschaften
       mit sicheren Herkunftsländern. Die EU will Zielvorgaben machen, wie viele
       der „kritischen Rohstoffe“ aus Recycling und wie viele aus europäischem
       Bergbau stammen müssen. 34 „kritische Stoffe“ führt sie auf ihrer Liste,
       von Antimon über seltene Erden bis zu Vanadium.
       
       „Das Bewusstsein dafür ist groß, dass wir in Sachen kritische Rohstoffe
       mehr europäischen Bergbau brauchen“, sagt Nicola Beer. Die FDP-Politikerin
       führt die Trilogverhandlungen für das EU-Parlament. Hierbei gelte es,
       Genehmigungsverfahren zu straffen und Projekte schneller zu genehmigen. Es
       gehe nicht darum, die Umweltstandards zu senken oder die Mitsprache der
       Bürgerinnen und Bürger einzuschränken, betont sie, „die Beschleunigung
       bewirken wir durch Bündelung“. Sie stellt sich einen „One Stop Shop“ vor –
       eine einzige Stelle, an der alle Verfahren eines strategischen
       Bergbauprojekts von der Umweltverträglichkeitsprüfung bis zur Bauplanung
       und Verkehrsanbindung zusammenlaufen.
       
       ## Sieben lange Jahre
       
       „Es ist gut, dass sich Europa jetzt um das Thema kümmert“, sagt Bünger. Vor
       allem die 2-Jahres-Frist, die diskutiert wird, hält er für notwendig. Seit
       dem Jahr 2011 arbeitet die Saxore an dem Projekt. 2019 erteilte das
       zuständige Sächsische Oberbergamt aus Freiberg ihr eine
       Aufsuchungsgenehmigung. Das heißt, die 20-Mann-Firma durfte in dem
       benannten Gebiet nach Zinn suchen. Die noch im selben Jahr erteilte
       Gewinnungsberechtigung erlaubte dem Unternehmen, die Anträge für die
       weiteren Genehmigungsverfahren zu stellen – das Raumordnungsverfahren, die
       Umweltverträglichkeitsprüfung oder das Planfeststellungsverfahren. Die
       Dauer aller Genehmigungsverfahren ist schwer vorhersehbar, Bünge hofft auf
       insgesamt sieben Jahre.
       
       Bernhard Cramer kennt die Vorwürfe, die Verwaltungen arbeiteten zu
       bürokratisch und zu langsam. Er leitet das Sächsische Oberbergamt in
       Freiberg, bei dem alle Genehmigungsverfahren über sächsische
       Bergbauprojekte zusammenlaufen. „Unsere Verfahren dauern, weil die
       Unternehmen bei uns umfangreiche Unterlagen und Planungen vorlegen müssen,
       damit wir rechtssichere Entscheidungen treffen können“, sagt er. Die
       aufwändigen und langen Verfahren seien nötig, damit im Vorfeld möglichst
       alle Konflikte gelöst werden könnten, die ein Bergwerk für Umwelt und
       Bevölkerung bedeuten könnte.
       
       Für das Zinnbergwerk in Breitenbrunn bedeutet das etwa, dass der zu
       erwartende Verkehr berechnet werden muss. Das Ergebnis der Verkehrsstudie
       gefiel den Breitenbrunnern allerdings gar nicht: Täglich zwischen 8 und 18
       Uhr sollen bis zu zehn Lkws pro Stunde über die Staatsstraße im
       Erzgebirgstal fahren, und das für die nächsten 10, vielleicht 25 Jahre.
       Diese Belastung sei zu groß, finden die Anwohner.
       
       ## Komplexe Genehmigungsverfahren
       
       Also hat die Saxore eine weitere Verkehrsstudie in Auftrag gegeben, die nun
       ermitteln soll, wie der Verkehr „noch effizienter organisiert werden
       könnte“, so Bünger. Ist es nicht richtig, vor solch großen Projekten Zeit
       in die Planung zu stecken, um Fehler und Belastungen im Vorfeld so klein
       wie möglich zu planen oder gar auszuräumen? „Um die Firma Saxore GmbH zu
       betreiben, brauchen Sie im Monat 100.000 Euro“, sagt Bünger trocken, „sie
       können die Investoren nicht ewig hinhalten“,
       
       Im vergangenen Jahr hat die Unternehmensberatung Ernst & Young im Auftrag
       der Bundesregierung die [7][Genehmigungsverfahren im Rohstoffsektor]
       untersucht. Ergebnis in der Kurzfassung: Die Verfahren werden komplexer, es
       gibt mehr Initiativen zur Rohstoffgewinnung – doch „in den Behörden gibt es
       keinen Personalaufbau, es gibt immer weniger Kompetenz vor allem in den
       unteren Genehmigungsbehörden, aber auch in den Bergämtern“, sagt
       Studienautor Ferdinand Pavel von Ernst & Young. „Dabei sind die Gesetze und
       Vorschriften nicht das Problem, sondern Teil der Lösung“, sagt Pavel. Zwar
       sei etwa die bei Unternehmen berüchtigte UVP – die
       Umweltverträglichkeitsprüfung – eine hohe Hürde. „Aber wenn man da einmal
       drübergesprungen ist, dann hat man auch Ansprüche und Rechtssicherheit“, so
       Pavel. Zunächst „fundamental erscheinende Gegensätze zwischen Bergbau und
       Naturschutz lassen sich auflösen“, sagt der Ökonom, „es gibt etwa Konzepte
       wie ‚Natur auf Zeit‘, bei dem Lebensräume als Ausgleich geschaffen werden“.
       
       Die Einwände der Breitenbrunner allerdings lassen sich kaum auflösen: Sie
       halten generell nichts von dem Projekt. „Die Firma hat ihren Sitz nicht vor
       Ort“, sagt der parteilose Ortsbürgermeister Lars Dsaak, „wir hätten also
       die Belastungen, bekämen aber nicht einmal Gewerbesteuern.“ Es sei nicht
       einmal sichergestellt, dass die geförderten Metalle am Ende in Europa
       blieben – „hinterher werden sie nach China verkauft“, befürchtet Dsaak. Er
       vermisst echte Beteiligungsverfahren.
       
       Zwar habe sich die Saxore einige Male mit seinem Amtsvorgänger getroffen
       und das Projekt auch im Gemeinderat vorgestellt.„Aber mehr als eine
       Stellungnahme abgeben können wir nicht“, sagt Dsaak. Auf die rund 100
       Arbeitsplätze, die im Bergwerk entstehen sollen, lege man in der Gemeinde
       keinen großen Wert: „Wir haben hier Fachkräftemangel.“ Inzwischen gründet
       sich im Breitenbrunner Ortsteil Rittersgrün eine Bürgerinitiative gegen das
       Projekt. „Natürlich hat der Bergbau hier Tradition“, sagt Dsaak, „aber wir
       haben hier jetzt ganz auf Tourismus gesetzt, und unsere Natur ist uns
       heilig.“ Und überhaupt: Es sei so viel Zinn im Umlauf, den Bedarf könne man
       aus Recycling decken.
       
       Man benötige beides, sagt Unternehmensberater Pavel, Recycling und mehr
       Bergbau. Irgendjemand werde in den sauren Apfel beißen müssen. „Es wird
       Leute geben, die werden von ihrem Schlafzimmer aus Windmühlen sehen und
       andere haben Bergbau vor der Tür. Dabei muss es gerecht und transparent
       zugehen, dafür helfen gleiche Regeln, am besten auf europäischer Ebene.“
       
       Es sei doch so, sagt Bergamtschef Cramer: Weltweit glaubhaft für
       Klimaschutz und die Transformation der Wirtschaft eintreten, das könne
       Europa nur dann, wenn es die dafür notwendigen Rohstoffe auch in Europa
       gewinnen würde. „Wir [8][leben hier in einer der reichsten Regionen der
       Erde und nutzen die Rohstoffe aus ärmeren Ländern,] das geht nicht.“
       
       24 Oct 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Kiesabbau-in-Deutschland/!5909002
   DIR [2] /Lithiumabbau-im-saechsischen-Zinnwald/!5823635
   DIR [3] /EU-Gesetz-zu-kritischen-Rohstoffen/!5919994
   DIR [4] /Exportbeschraenkungen-fuer-Rohstoffe/!5945746
   DIR [5] https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/ip_23_1661
   DIR [6] /Abhaengigkeit-von-Rohstoffen/!5885948
   DIR [7] https://www.ey.com/de_de/government-public-sector/deutsche-versorgungssicherheit
   DIR [8] /Co-Chefin-des-Club-of-Rome-ueber-Europa/!5910575
       
       ## AUTOREN
       
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